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Muslimbrüder weiter im Visier

Ägyptens Übergangsregierung verbietet Medien und bringt neue restriktive Verfassung ins Gespräch

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Ägyptens Übergangsregierung geht weiterhin mit ganzer Härte gegen Islamisten vor. Die Luftwaffe bombardierte mehrere Dörfer auf dem Sinai. Ein Fernsehsender wurde verboten, weil er zu Gewalt angestachelt haben soll. Außerdem legten die neuen Machthaber den Entwurf für eine neue Verfassung vor: Religiöse Parteien sollen künftig verboten werden.

Es war die größte Militäroperation auf der Sinai-Halbinsel seit dem Abzug Israels 1981. Stundenlang bombardierte die Luftwaffe vor allem im Norden des Wüstengebietes Dörfer, deren Bewohner militanten Islamisten Unterschlupf gewährt haben sollen, aber auch Tunnel zum palästinensischen Gebiet Gaza-Streifen. Sicher ist, dass es dabei Tote gegeben hat. Doch wie viele, darüber gibt es keine zuverlässigen Angaben.

Der Militäreinsatz habe das Ziel, die Sicherheitslage in der Region nachhaltig zu verbessern, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Kairo. In den vergangenen Wochen hatte es in der Region immer wieder Anschläge gegeben. Zuletzt waren bei einem Angriff auf einen Konvoi 24 Polizisten ums Leben gekommen.

Die Operation war zuvor mit dem Nachbarland Israel abgesprochen worden, wie beide Regierungen bestätigen. Denn der Friedensvertrag von Camp David regelt eigentlich rigoros, wie viele Sicherheitskräfte mit welcher Art von Bewaffnung Ägypten auf der Sinai-Halbinsel einsetzen darf. Jede Abweichung davon wird vorher vereinbart.

Die Operation ist Teil der Bemühungen der Übergangsregierung, den Islamismus in Ägypten zurückzudrängen. Die Grenze zwischen Gewaltbekämpfung und der Einschränkung bürgerlicher Freiheit ist dabei allerdings nur diffus erkennbar.

So verbot die Übergangsregierung Anfang der Woche den Fernsehsender Al-Hafes, weil seine Moderatoren zu Gewalt, vor allem gegen Christen aufgerufen haben sollen. Die den Salafisten nahe stehende TV-Station hatte vor ihrer Abschaltung Anfang Juli regelmäßig die These verbreitet, die im Lande lebenden Christen verfolgten das Ziel, Ägypten zu einem christlichen Land zu machen und den Islam zu zerstören. Das wurde in den vergangenen Wochen auch oft von Tätern als Rechtfertigung für die Übergriffe auf christliche Einrichtungen genannt. Doch gleichzeitig sind auch viele andere Medien, die die Sichtweise vor allem der Muslimbrüder verbreitet haben, aber nicht zu Gewalt aufrufen, von einem endgültigen Verbot bedroht. Ihre Arbeit ist bereits seit dem Umsturz nur sehr eingeschränkt möglich.

Die Einschränkungen könnten bald noch umfassender werden. Am Sonntag gab die Übergangsregierung die Namen der 50 Mitglieder jenes Gremiums bekannt, das in den den kommenden Monaten über eine neue Verfassung beraten soll.

Nominiert wurden diese Personen von der Übergangsregierung, dem offiziellen Gewerkschaftsdachverband, den staatlich ernannten Funktionären der Universitäten und offiziell auch den Parteien, wobei sich sehr viele von ihnen weigerten, mitzumachen. Denn Grundlage für die Beratungen soll der Entwurf eines zehnköpfigen Komitees sein, der bereits in der vergangenen Woche öffentlich wurde, und der, wie die Übergangsregierung klar stellt, die Basis für die neue Verfassung sein wird. Über sie sollen die Bürger dann im Herbst per Referendum abstimmen.

Eine Basis, die es in sich hat. Parteien sollen künftig wieder, so wie es unter Ex-Präsident Hosni Mubarak bereits der Fall war, einem rigorosen Genehmigungsprozess unterworfen werden. Parteien mit religiösem oder ethnischem Hintergrund werden explizit ausgeschlossen. Auch alle Verfassungsänderungen, die unter dem gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi eingeführt wurden, sollen wieder gestrichen werden, darunter Artikel 219, der festschrieb, dass Ägyptens Gesetze auf der sunnitischen Rechtspraxis zu basieren haben.

Darüber hinaus ist geplant, den Schura-Rat abzuschaffen, eine zweite Kammer des Parlaments, in der der Präsident bislang ein Drittel der Mitglieder ernannte. Außerdem soll künftig wieder eine Personenwahl in den Wahlkreisen stattfinden – ein Schritt der von vielen Parteien als undemokratisch kritisiert wird, weil nur solche Kandidaten eine Chance haben, die einen Wahlkampf bezahlen können.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. September 2013


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