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Ägyptens Armee feiert Niederlage

Machthaber nutzen Jahrestag des Jom-Kippur-Krieges zur eigenen Heroisierung

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Ägypten ist wohl das einzige Land weltweit, daß den Beginn eines Krieges zu seinem Nationalfeiertag erklärt hat. Sechs Jahre nach der Niederlage der arabischen Staaten im Sechs-Tage-Krieg gegen Israel 1967 hatten syrische und ägyptische Truppen am 6. Oktober 1973, dem jüdischen Feiertag Jom Kippur, einen Überraschungs­angriff auf den Erzfeind durchgeführt. Israels Stellungen auf dem damals noch besetzten Sinai wurden von Ägyptens Armee überrannt, doch der Gegenangriff israelischer Truppen schlug die Angreifer zurück, und israelische Panzer nahmen Kurs auf Kairo.

Trotz der faktischen militärischen Niederlage nimmt das Datum bis heute einen wichtigen Platz im Selbstverständnis der ägyptischen Armee ein und wird im Land am Nil als politischer und militärischer Sieg verkauft. Im Osten Kairos, wo das Verteidigungsministerium und mehrere Kasernen liegen, fanden sich deshalb am Sonntag Dutzende die Armee rühmende Großplakate, die den Krieg heroisch bebildern. Das Kriegspanorama, ein Museum und beliebtes Ausflugsziel in Ost-Kairo, bietet nicht nur unzählige Bilder und Filme, die mutig vorwärts stürmende ägyptische Soldaten zeigen, sondern erklärt auch den Verlauf des Krieges aus der Sicht des ägyptischen Militärs. Vor dem Gebäude sind erbeutete israelische Panzer ausgestellt.

Angesichts der derzeitigen politischen Turbulenzen am Nil nutzten Armee und Übergangsregierung am Sonntag den Jahrestag, um die Muslimbrüder zu dämonisieren und sich selbst als Helden zu stilisieren. Kairos Innenstadt wurde herausgeputzt und mit Nationalfahnen geschmückt. Hassen Shahin, der Sprecher der Tamarud-Bewegung, die die Unterschriftenkampagne gegen den im Juli gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi initiiert hatte, rief die Bevölkerung auf, an den Feierlichkeiten auf dem Tahrir-Platz und am Präsidentenpalast in Kairo teilzunehmen und sich den Solidaritätskundgebungen für Ägyptens Armee anzuschließen. Der Oktober-Krieg hätte den »zionistischen Feind« abgewehrt. Zudem verglich er den »Terror« Israels mit dem »Terror« der Muslimbrüder im heutigen Ägypten.

»Jeder, der gegen die Oktober-Feierlichkeiten Stellung bezieht, steht außerhalb des ägyptischen Nationalismus und wird als zionistischer Feind betrachtet«, sagte Shahin am Samstag auf einer Pressekonferenz. Das Innenministerium teilte mit, es werde auf »jede Form des Gesetzesbruchs oder der Gewalt von Unterstützern der Muslimbrüder während ihrer Proteste« mit Härte reagieren. Denn auch die »Anti-Putsch«- und »Pro-Demokratie«-Koalition unter Führung der Muslimbrüder hatte für den gestrigen Sonntag zu Protestmärschen in Richtung Tahrir-Platz aufgerufen. Dabei kam es Medien­berichten zufolge erneut zu Zusammenstößen. Die Zeitung Al-Shorouk berichtete online, daß bei einer Demonstration in der Provinz Al-Minja drei Menschen von Sicherheitskräften getötet wurden.

* Aus: junge Welt, Montag, 7. Oktober 2013


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