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Wo steht die ägyptische Linke?

Wolfgang Gehrcke über den Kongress der ägyptischen Sozialisten / Gehrcke ist außenpolitischer Sprecher der LINKEN im Bundestag


ND: Sie waren am Wochenende in Kairo bei einer Parteigründung dabei. Hat Ägypten jetzt auch offiziell eine Linke?

Gehrcke: Ägypten hat sehr viele unterschiedliche, miteinander diskutierende linke Richtungen. Seit Sonntag gibt es nun eine Ägyptische Sozialistische Partei (ESP). Sie versteht sich als Wiedergründung, denn es gab schon einmal eine sozialistische Partei in Ägypten.

1921 war die Ägyptische Kommunistische Partei die erste ihrer Art in der arabischen Welt. Allerdings war sie die meiste Zeit in die Illegalität gedrängt. Bezieht sich die neue Partei auch auf die Kommunistische Partei?

Es gibt in Ägypten auch heute eine kommunistische Partei. Ich hoffe, dass es zu einer vernünftigen Form der Zusammenarbeit mit dieser Partei kommt. Die ägyptische Linke und die ägyptischen Kommunisten haben immer eine wunderbare, ausstrahlende Intellektualität gehabt. Sie haben auch während der Jahrzehnte des Verbotes aus der Emigration heraus sehr viel zur Entwicklung ökonomischer Analysen und Politik im arabischen Raum geleistet.

Auf welche Schichten der Bevölkerung bezieht sich die ESP? Wer repräsentiert sie?

Man sollte viel Verständnis aufbringen, wenn nach langen Jahren der Unterdrückung eine neue Partei in die politische Arena tritt. Zunächst gibt es da viele unterschiedliche Richtungen. Zwischen denen wird es einen Dialog geben müssen. Außerdem wird es für sie ganz wichtig sein, einen intensiven Kontakt zu den jungen Leuten zu erhalten, die den Protest auf Kairos Tahrir-Platz gestaltet haben.

Welchen Platz sieht die neue Partei für sich im ägyptischen Parteiengefüge? Wen sieht sie als Partner?

Die neue Partei konkurriert natürlich mit weiter aktiven Kräften des alten Mubarak-Regimes, aber auch mit den Moslem-Brüdern. Ich denke, sie wird versuchen, eine Zusammenarbeit aller Demokraten gegen diese beiden Richtungen zu organisieren.

Heißt das, dass sich die ESP als nichtreligiöse Partei versteht?

Sie wird im Gegenteil sogar sehr viele religiöse Kräfte haben, jeden falls wenn man das daran misst, welche Personen auf dem Gründungskongress gesprochen haben. Ich denke trotzdem, die ESP versteht sich als nichtreligiöse Partei.

Hat sie Forderungen an den Militärrat im Hinblick auf die Wahlen im September formuliert?

Die Sozialistinnen und Sozialisten in Ägypten sind klug genug zu begreifen, dass Forderungen mit der ganzen Breite der Opposition entwickelt werden müssen.

Ist auch über Gaza gesprochen worden?

Natürlich. Der Begriff der Wiedergewinnung der eigenen Würde hat eine zentrale Rolle gespielt. Und dazu gehört auch, dass man nicht zuschaut, wie das palästinensische Nachbarvolk im Elend lebt. Die Sozialisten in Ägypten betrachten eine friedliche Nachbarschaft zu Israel als wichtigen Punkt, aber formulieren gleichzeitig, dass die friedliche Nachbarschaft mit Israel einen selbstständigen palästinensische Staat und damit auch Gaza als Teil dieses Staates einschließt.

Will die ESP, dass Ägypten die Verträge mit Israel überdenkt?

Ich habe derlei Bestrebungen nicht wahrgenommen. Aber es gibt einen deutlichen Akzent, nicht mehr willfähriges Instrument in den Händen der USA und partiell auch Israels gegen die Palästinenser zu sein.

Fragen: Roland Etzel

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juni 2011


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