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"Geh, Mubarak, geh! Das Spiel ist vorbei!"

In Ägyten sehnen die Menschen den Präsidentenrücktritt herbei

Von Karin Leukefeld, Kairo *

Am heutigen Freitag (4. Feb.) werden erneut Hunderttausende für den Sturz von Husni Mubarak auf die Straße gehen. Dort nehmen seit Mubaraks Rede am Dienstagabend die Auseinandersetzungen kein Ende.

»Es ist nur noch eine Frage der Zeit, Mubarak kann sich nicht halten. Nicht nach dem, was hier letzte Nacht passiert ist.« Mohamed Aboulghar, einem 70-jährigen Aktivisten der Bewegung für nationale Reformen in Ägypten, stehen Tränen in den Augen, als er an die letzten Stunden zurückdenkt. Ein Arztkollege von ihm hatte sich in der Nacht freiwillig den Ärzteteams auf dem Tahrir-Platz angeschlossen und die ganze Nacht lang Verletzte versorgt. Mehr als 600 Menschen waren in der Nacht zu Donnerstag von staatlich bezahlten Schlägertrupps – von internationalen Medien fälschlich als »Pro-Mubarak-Demonstranten« bezeichnet – überrannt, grün und blau geschlagen worden. Nasen, Arme und Beine wurden gebrochen. 13 Menschen starben, mehr als 1200 wurden verletzt, heißt es im Gesundheitsministerium. Ministerpräsident Ahmed Schafik hat eine Untersuchung versprochen.

Als der Kollege von Aboulghar am nächsten Morgen mit einem Taxi nach Hause fahren wollte, fuhr es ihn in eine Seitenstraße, lieferte den Arzt direkt vor einem der Schlägertrupps ab, die ihn verprügelten und schließlich dem Militär mit den Worten übergaben, er sei ein Spion, der die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz aufgewiegelt habe. Um seinen Kollegen aus der Militärhaft zu befreien, streifte Aboulghar später durch die Gänge der Mugamma am Tahrir-Platz, einer Art Stadthaus der Ägypter im In- und Ausland. Das große Gebäude wird seit Tagen vom Militär als Kommandozentrale und Gefängnis genutzt. In den winzigsten Räumen seien »Dutzende Menschen zusammengepfercht« gewesen, erzählt Aboulghar und reibt sich die Augen. »Die meisten von ihnen wurden von den Demonstranten festgenommen, weil sie Waffen auf den Tahrir-Platz geschmuggelt und Leute angegriffen hätten«, sagt er. Seinen Kollegen habe das Militär dann glücklicherweise frei gelassen.

Unzählige Menschen auf dem Tahrir-Platz tragen Verbände, Pflaster und Armschlingen. Kopfwunden, Verletzungen an Ohren und Nasen, Arm- und Fingerbrüche, ein Mann trägt eine blutüberströmte Galabiya, das traditionelle Gewand arabischer Männer. Nein, schüttelt er müde den Kopf, er sei nicht verletzt worden, doch er habe einem anderen geholfen, der aus einer Kopfwunde schwer geblutet habe. Viele wollen sich nicht fotografieren lassen, andere können gar nicht aufhören, ihre Erfahrungen aus der Vornacht zu erzählen. Er sei Arzt im Nasr Krankenhaus, erzählt Salah Abdulkerim. 300 Ägyptische Pfund verdiene er jeden Monat, umgerechnet nicht mehr als 60 Dollar, »und ich bin ein Arzt!« Am Vortag seien staatliche Sicherheitskräfte in der Klinik aufgetaucht und hätten das Personal gewarnt, ja nicht auf den Tahrir-Platz zu gehen und den »Terroristen« dort zu helfen. Einige der Männer, die an der Razzia beteiligt gewesen seien, hätten erzählt, dass Geschäftsleute ihnen 200 Ägyptische Pfund geboten hätten, um sich an den Schlägertrupps zu beteiligen.

Dass Geld für den Überfall auf die Demonstranten am Tahrir-Platz geflossen ist, bestätigt auch Mohamed Aboulghar. Einige der Reiter, die zu Pferd und auf Kamelen über den Platz gejagt seien, habe man gefangen gesetzt, mit ihren Tieren. »Sie haben erzählt, ein bekannter Parlamentsabgeordneter habe jedem 2000 Ägyptische Pfund angeboten (ca. 250 Euro).« Die Männer arbeiteten sonst an den Pyramiden für Touristen und seien wütend gewesen, weil die Arbeit ausbleibt, also hätten sie das Angebot angenommen.

Trotz der bedrohlichen Szenen und weiterer Toter ist niemand bereit, den Tahrir-Platz zu verlassen. Zwei junge Frauen haben sich Stirnbänder und Schärpen umgebunden, auf denen steht, dass sie bereit sind, auf dem Platz zu sterben, »als Märtyrer für die Freiheit«. Immer mehr Menschen strömen am frühen Nachmittag auf den Platz, teilen Wasser und Lebensmittel aus. Ab und zu ertönt ein lautes Hämmern und Schlagen auf den Eisengittern, die den Platz umgeben, ein Zeichen, dass Gefahr naht. Dann strömen die Männer zusammen, bilden Ketten, haken sich unter und beginnen Parolen zu rufen: »Geh Mubarak, geh! Das Spiel ist vorbei.«

Kurz vor Beginn der Ausgangssperre ist die Stimmung in den Straßen um den Tahrir-Platz gespenstisch. »Halt, wo wollen Sie hin, da geht es nicht weiter«, werden zwei Journalistinnen von einem Pulk schwergewichtiger Männer gestoppt, als sie in die Talat Harb Straße einbiegen, um über den Platz zu einer der Nilbrücken zu gelangen. »Haben Sie eine Kamera, her mit der Kamera, öffnen Sie die Tasche.«

Eine der Frauen zeigt ihren deutschen Pass und erklärt, sie wolle zur Botschaft, die hinter dem Platz liege, eine Kamera habe sie nicht. Die Männer umringen die Frauen, erzwingen die Herausgabe eines Aufnahmegeräts und wollen es einkassieren, als ein junger Mann herbeieilt. »Ihre Botschaft ist in der anderen Richtung, kommen Sie, ich zeige Ihnen den Weg, da hinten können Sie ein Taxi nehmen.« Das Gerät sei nur ein Kassettenrecorder, »für Musik, nichts Illegales«, redet der Mann auf die Anderen ein. Die geben es widerwillig zurück und stimmen zu, dass die Frauen von dem Mann begleitet in die andere Richtung davon gehen. »Zeigen Sie nur Ihren Pass, reden Sie kein Wort«, rät er, während er die Journalistinnen durch weitere bedrohliche Absperrungen manövriert, in ein Taxi bugsiert und dem Fahrer den Weg weist. Die Straßen sind mit Steinen übersät, überall Gruppen von Männern in Polizeiuniformen oder Zivil, mit allen möglichen Waffen eingedeckt, aufgeregt und aggressiv. »Für Journalisten ist es hier schwierig geworden«, verabschiedet der Mann sich eine halbe Stunde später auf der anderen Seite des Nils. Er heiße Hassan, sei Touristenführer und habe die beiden sofort als Journalisten erkannt. »Die staatlichen Medien bezeichnen Sie alle als Spione, die den Protest anstacheln. Seien Sie vorsichtig.«

* Aus: Neues Deutschland, 4. Februar 2011


Not Leaving Until Hosni Does

by Medea Benjamin **

February 2, 2011

Tonight our CODEPINK delegation in Cairo returned to Tahrir Square after the terrible events of this afternoon, when Mubarak's thugs busted up their peaceful protest with rocks, sticks and molotov cocktails. Hundreds have been wounded - their hands, legs, arms wrapped in bloody bandages. Despite the beatings, thousands of people are still camped out in the square - absolutely determined to stay there until Mubarak goes.

Despite the danger on the streets, we went to the square carrying with two big banners. One said "World Says Time To Go, Mubarak!" and the other said "Solidarity With Egyptian People" in both English and Arabic. When the people in the square saw us and discovered we were Americans, they erupted into cheers. "Thank you, thank you," they cried. "We love you." We were crying as well. It felt so good to help lift their spirits after such a terribly violent day.

I saw a friend who is a professor at the American University in Cairo. He had a big gash in his head. "Please, help us tell the world what is happening. Tell them how we were viciously attacked," he said. "Tell them we will die here if we have to, but we will NOT turn back."

I couldn't believe that after today's attacks, there were still women in the square who planned to spend the night. A group of young women ran up to us and started hugging and kissing us. "You don't know what your presence means to us," one of the students said. " Please tell Obama that we need him to do more to push Mubarak to go NOW, before more of us get killed."

One way Obama can send a stronger message to Mubarak is to announce that the United States will cut off all aid to this regime. For 30 years the U.S. government has been supporting this autocratic, repressive state. Cutting aid now will send a clear signal that the U.S. government is finally distancing itself from this regime.

Tomorrow, a group of us will go to the U.S. Embassy with this message. We will sit outside the Embassy, despite the risks of being attacked by government thugs, and call on our government to immediately stop all aid to Mubarak's regime. Please join us by taking the same action back home.

Now is the time that the Egyptian people need our solidarity. Don't let there be one more "Made in the USA" teargas canister hurled at these people. Don't let there be one more U.S. bullet or U.S. weapon aimed at them.

The Egyptian people are writing a beautiful chapter in the history of nonviolence revolutions. Let's show them we are on their side.

** Medea Benjamin is cofounder of Global Exchange and CODEPINK: Women for Peace

Source: http://codepink.org



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