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Das Mubarak-System löst sich auf

Gespräche mit Opposition / Regierungspartei bestimmte Führung neu / Anschlag auf Pipeline

Nach zweiwöchigen Massenprotesten gegen das Regime von Husni Mubarak brechen die verhärteten Fronten auf. Ägyptens Staatschef verlor wichtige Gefolgsleute in der Regierungspartei.

Unter dem Druck der Proteste in Ägypten hat die Regierung unter Präsident Husni Mubarak erstmals einen Dialog mit der oppositionellen Muslimbruderschaft aufgenommen. Vizepräsident Omar Suleiman traf am Sonntag (6. Feb.) in Kairo mit Vertretern der Bruderschaft und weiteren Oppositionspolitikern zusammen, um über die Zukunft des Landes zu beraten. An den Gesprächen waren nach Angaben der Nachrichtenagentur Mena auch die liberale Wafd-Partei, die linksgerichtete Partei Tagammu und eine Gruppe beteiligt, welche die Demonstranten eingesetzt hatten. Friedensnobelpreisträger und Oppositionspolitiker Mohammed al-Baradei nahm nicht an den Gesprächen teil. Er sei nicht eingeladen worden und halte die Diskussionen zudem für undurchsichtig, sagte er dem US-Sender NBC.

Die Muslimbruderschaft hatte bislang Mubaraks Rücktritt zur Vorbedingung für den Dialog gemacht. Am Sonnabend lenkte die islamistische Bewegung ein und stimmte den Verhandlungen zu.

Aus Oppositionskreisen verlautete indes, dass keine ihrer Forderungen bei den Gesprächen erfüllt worden sei. Die Teilnehmer vereinbarten einem Regierungssprecher zufolge jedoch die Gründung eines Komitees, das bis zum März Veränderungen an der Verfassung ausarbeiten soll. Dazu zählten die Aufhebung von Einschränkungen der Medien sowie die Ablehnung »jeglicher Einmischung aus dem Ausland in die ägyptischen Angelegenheiten«. Die Muslimbruderschaft bezeichnete die vorgeschlagenen Reformen der Regierung als unzureichend.

Der neue Innenminister Mahmud Wagdi will die als korrupt und gewalttätig berüchtigte Polizei reformieren. Während eines Treffens mit den Verantwortlichen der Sicherheitsdirektion am Sonntag in Kairo erklärte er, die Polizisten sollten sich ab sofort als Dienstleister für die Bürger verstehen.

Am Sonnabend (5. Feb.) war das Exekutivkomitee der in Ägypten regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) zurückgetreten. Mubarak ernannte laut Staatsfernsehen Hossam Badrawi zum neuen NDP-Generalsekretär, blieb aber selbst als Parteichef im Amt. Badrawi, der gute Beziehungen zur Opposition unterhält, löste Generalsekretär Safwat al-Scherif ab. Zugleich ersetzte er Mubaraks Sohn Gamal, der als wahrscheinlicher Nachfolger seines Vaters galt, als Vorsitzenden des politischen Komitees der Partei.

US-Außenministerin Hillary Clinton begrüßte den am Sonntag in Kairo eröffneten Dialog. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hatte sie davor gewarnt, dass der Übergang »chaotisch« verlaufe oder in ein autokratisches System zurückführe. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte vor einer überstürzten Ablösung Mubaraks. »Man muss einen geordneten Übergangsprozess hinbekommen«, sagte sie in München.

Während in Ägypten die Demonstrationen für einen Rücktritt Mubaraks ohne größere gewalttätige Zwischenfälle weitergingen, wird auf der Suche nach einer geschickten Lösung für dessen Abgang laut »New York Times« inzwischen offenbar erwogen, dass der 82-Jährige für einen verlängerten Gesundheitscheck nach Deutschland kommt. In Berlin wurde diese Meldung als Spekulation bezeichnet.

Im Norden der Sinai-Halbinsel haben Attentäter am Sonnabend einen Anschlag auf eine wichtige Gaspipeline verübt und damit die Lieferungen in die Region gestoppt. Die Leitung führt von Ägypten nach Israel und hat einen Abzweig nach Jordanien. Die Verbindung nach Jordanien wurde unterbrochen. Ob die Lieferungen nach Israel weiter möglich sind, war zunächst nicht klar. Israel habe die Leitung aus Sicherheitsgründen abgedreht, teilte die israelische Regierung mit.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2011


Auf dem Tahrir-Platz herrscht wieder Solidarität

Man hakt sich unter – auch Ärzte und Professoren sammeln Müll auf

Von Karin Leukefeld, Kairo **


Die Säulen der Macht in Ägypten wanken: Die Spitze der Staatspartei ist abgetreten. Regierung und Opposition sprechen miteinander. Doch das Volk ruft weiter: Mubarak muss weg.

Die Demonstranten vom Tahrir-Platz haben viel erreicht. Seit sie vor 13 Tagen mit ihren Protesten begannen, hat Präsident Husni Mubarak erklärt, er werde kein weiteres Mal für das Amt kandidieren, sein Sohn Gamal hat sich ganz aus dem Staube gemacht. Ein Vizepräsident wurde ernannt, der erste in 30 Jahren Mubarakherrschaft, Wahlen sind angekündigt, die Führung der Nationalen Demokratischen Partei, über die Mubarak seine Vetternwirtschaft organisierte, trat zurück. Das Militär versprach, das Recht auf friedlichen Protest zu schützen.

Das alte Ägypten gibt es nicht mehr, eine neue Zeit ist für die Ägypter angebrochen. Selbst diejenigen, die nicht an den Protesten teilgenommen haben, gestehen den Leuten auf dem Tahrir-Platz zu, dass sie für eine gute Sache aufgestanden sind, die lange überfällig war. Nach dem Sonntagsgottesdienst in der koptischen Kirche zur Jungfrau Maria in Zamalek äußern viele Besucher Verständnis und Respekt, meinen allerdings auch, es sei an der Zeit, nach Hause zu gehen, um Mubarak nun die Chance zu geben, den Übergang zu organisieren.

»Sie sind in einer Sackgasse, weil sie keine politischen Führer haben«, meint der 27-jährige Computerfachmann Amir, der große Sympathien für die Demonstranten hat. Den Aufstand hätten die Jungen gemacht, die sich über Internet, Facebook und Twitter zusammengefunden hätten und auf die Straße gegangen seien. »Jetzt sind die Alten an der Reihe, die ihnen gefolgt sind. Sie hatten nie den Mut zum Aufstand, nun müssen sie ihre politische Erfahrung einbringen.«

Tatsächlich folgten die Alten den Jungen, wie auch der 71-jährige Gynäkologe Ahmed Saleh einräumt, der seine Rührung über die Ereignisse auf dem Tahrir-Platz nicht verbergen kann. Nach dem Mord an dem jungen Khaled Said in Alexandria habe er sich der Gruppe »Wir sind alle Khaled Said« im Internet angeschlossen und so von den Protesten erfahren. »Hier auf dem Platz gibt es eine Solidarität, die Mubarak durch sein korruptes System unter den Ägyptern zerstört hat«, sagt Dr. Saleh. Was ihn besonders beeindruckt, ist, dass alle sich nützlich machen, wo immer sie gebraucht werden. »Wenn Gefahr droht, haken sich alle unter und stehen zusammen, Ärzte, Ingenieure, Professoren sammeln den Müll auf, so etwas habe ich nie zuvor gesehen.«

Gespräche, die Vizepräsident Omar Suleiman medienwirksam am Sonntag (6. Feb.) mit Vertretern der Opposition aufnahm, seien keine »Verhandlungen«, wie das ägyptische Fernsehen weismachen wolle, sagt Ayman Mahmoud, ein Ingenieur, der von Anfang an bei den Protesten dabei ist. Man habe zwar einen Rat von 20 Personen gewählt, der für die Bewegung sprechen könne, doch solange Mubarak nicht abgetreten sei, werde es keine Verhandlungen geben. Das Treffen am Sonntag diene vor allem dazu, der Regierung die Forderungen der Revolution vorzutragen, wie Ayman sagt. Außerdem werde Suleiman aufgefordert, der staatlichen Hetze gegen die Demonstranten und gegen die ausländischen Medien ein Ende zu bereiten. Deren vorläufig letztes Opfer ist der Korrespondent von Al Dschasira Englisch, Ayman Mohyeddin, der am Sonntag von der ägyptischen Polizei festgenommen wurde.

Er habe keine Angst, sagt der 21-jährige Hussein, der mit Freunden aus einem Dorf im Nildelta auf den Tahrir-Platz gekommen ist und sich den Demonstranten angeschlossen hat. Vier Monate im Jahr habe er Arbeit, davon müsse er den Rest des Jahres überleben, er habe nichts zu verlieren.

Für Sonntag hatte die Regierung die Ägypter aufgefordert, zur Arbeit zurückzukehren und die Proteste hinter sich zu lassen. Geschäfte und Banken waren wieder geöffnet, auf den Straßen herrschte das normale Verkehrschaos der Hauptstadt. Auch vom Tahrir-Platz seien viele wieder zur Arbeit gegangen, sagt Mohamed Darwisch, ein 21-jähriger Computerfachmann. Doch nach der Arbeit würden sie zurückkommen, die Proteste gingen weiter. Sonntag, Dienstag und Freitag werde jetzt demonstriert, die anderen Tage werde man den Platz in Ordnung bringen, sagt Darwisch, so habe man es beschlossen.

Am gestrigen Sonntag war ein Tag des Gedenkens auf dem Tahrir-Platz. Für die Märtyrer, die in den letzten 13 Tagen ihr Leben verloren, wurden christliche und muslimische Gebete gesprochen, gesungen und geweint. Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der durch Polizei- und Schlägereinsätze Getöteten auf mehr als 300, das Gesundheitsministerium gab die Zahl der Verletzten mit 5000 an. Sie sei zum ersten Mal auf den Platz gekommen, erzählt die 63-jährige Rentnerin Jamila M., während sie auf ihre Schwester wartet, die sie auf dem Platz treffen will. »Heute haben sie die Fotos der Getöteten in der Zeitung veröffentlicht, alles junge Leute«, sagt sie mit Tränen in den Augen. »Da habe ich mir gesagt, es ist höchste Zeit, mich der Revolution anzuschließen.«

** Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2011


Nächtliche Proteste in Alexandria

Martin Lejeune ***

Nicht nur in Kairo kam es in den letzten Wochen zu Demonstrationen. Auch in Alexandria, der mit 4,2 Millionen Einwohnern zweitgrößten Stadt im Norden Ägyptens, gab es heftige Proteste gegen die Regierung sowie Ausschreitungen zwischen Bürgern und Sicherheitskräften, die von den westlichen Medien kaum abgebildet werden, da deren Korrespondenten und Kamerateams hauptsächlich in der Hauptstadt im Einsatz sind. Dabei ist gerade in der Hafenstadt an der Mittelmeerküste kein Ende der Proteste abzusehen. »Hunderte Demonstranten missachteten in der Nacht von Samstag auf Sonntag erneut die Ausgangssperre und forderten in den Straßen im Zentrum Alexandrias den Rücktritt des Präsidenten«, erzählt Lamiaa Kabbari gegenüber ND am Telefon. Am Sonntag (6. Feb.) sei es bisher ruhig gewesen.

Lamiaa Kabbari ist 23 und studiert an der Universität Alexandria Zahnmedizin. Sie ist seit Beginn der Proteste auf der Straße, weil »wir Ägypter Freiheit, Demokratie und Menschenrechte auch für unser Land einfordern. Wir wollen die gleichen Freiheiten genießen, wie es sie in den westlichen Ländern gibt, die den Diktator Mubarak all die Jahrzehnte unterstützt haben.« Tief berührt habe sie die Serie von Selbstverbrennungen in den arabischen Staaten Mitte Januar, die ihren Ausgang in Tunesien nahmen. Als dann am 18. Januar auch bei ihr um die Ecke in Alexandria ein 25-jähriger Arbeitsloser starb, der sich auf dem Dach seines Elternhauses mit Benzin übergossen und angezündet hatte, sei sie schockiert gewesen. »Ich habe mich gefragt, wie hoffnungslos und ohne Aussicht auf eine bessere Zukunft ein fast gleichaltriger junger Mann sein muss, um sich und seiner Familie so etwas anzutun. Und dann wurde mir klar, wie viele Ägypter in so einer Lage sind wie er.«

Genau eine Woche später fassten Kabbari und viele ihrer Kommilitonen dann den Mut, auf die Straße zu gehen. Am 25. Januar riefen die Organisatoren der ersten Demonstration zu einem »Tag der Revolution gegen Folter, Armut, Korruption und Arbeitslosigkeit« auf. Hunderte folgten diesem Aufruf. Kabbari und die anderen Demonstranten der ersten Stunde haben ihren Protest selbst organisiert über eine bis zur Stunde geheime arabischsprachige Facebook-Gruppe. Sie gibt nicht nur die Demonstrationsorte bekannt, sondern sorgt auch dafür, dass die Teilnehmer der Proteste ihre Handyvideos hochladen können.

So wie der Zahnarzt Mohamed Talaat, der auch Dozent an der Universität Alexandria ist, und um 3.33 Uhr eine Straßenschlacht gefilmt hat. Unterdessen wurde die nächtliche Ausgangssperre gelockert. Künftig gelte sie in auch in Alexandria nur noch von 19.00 bis 6.00 Uhr morgens, meldete Al-Dschasira unter Berufung auf das staatliche ägyptische Fernsehen. Das sind drei Stunden weniger als bisher.

*** Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2011


"Wir werden nicht gehen, bis er geht"

Protestbewegung in Ägypten startet "Woche des Widerstands" gegen Präsident Mubarak. Ein Gespräch mit Mohamed Darwich ****

Mohamed Darwich (21) ist Computerfachmann und Mitglied von »Wir sind alle Khalid Said«, einer Gruppe, die sich nach der Ermordung des 28jährigen durch die Polizei in Alexandria im Juni 2010 über das Internet und Facebook organisiert hat.

Sie protestieren seit 25. Januar auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Hosni Mubarak ist aber noch immer Präsident.

Wir werden nicht gehen, bis er geht. Selbst wenn er noch ein Jahr Präsident sein sollte oder länger, wir werden hier bleiben. Solange, bis er geht.

Um den Platz herum sieht es so aus, als kehre Kairo zur Normalität zurück. Der Verkehr läuft wieder, die Menschen gehen zur Arbeit, Banken und Geschäfte haben wieder geöffnet. Haben Sie nicht Angst, hier auf dem Platz vergessen zu werden?

Kairo versucht, wieder zur Normalität zurückzukehren, wir auch. Viele der Leute, die die letzten Tage hier auf dem Tahrir-Platz waren, sind am Sonntag wieder zur Arbeit gegangen, um wieder Geld zu verdienen. Alle Ägypter waren zwölf Tage ohne Geld, weil das Land förmlich stillstand. Aber der Protest wird weitergehen. Morgens gehen wir zur Arbeit, und danach kommen wir wieder hierher.

Präsident Mubarak hat gesagt, daß er nicht wieder kandidieren will, die Führung der Nationalen Demokratischen Partei ist zurückgetreten, der Vizepräsident will den Dialog aufnehmen. Sie haben schon viel erreicht, warum protestieren Sie weiter?

Das Regime sagt, sie seien uns entgegengekommen und hätten bereits 90 Prozent unserer Forderungen erfüllt, das stimmt natürlich nicht. Unsere zentrale und wichtigste Forderung, daß Präsident Mubarak und sein Regime gehen, haben sie nicht erfüllt.

Vizepräsident Suleiman traf sich am Sonntag mit Vertretern der Opposition, um über eine neue Regierung zu reden. Was gibt es mit ihm zu besprechen?

Es geht ausschließlich darum, unsere Forderungen klarzumachen. Damit die Regierung nicht weiter Lügen über uns zu verbreitet. Es sind keine Verhandlungen, denn wir werden mit der Regierung keine Verhandlungen führen, solange Mubarak im Amt ist. Wir haben zehn Vertreter von Jugendgruppen gewählt, die die Proteste hier organisiert haben. Diese zehn, darunter auch Frauen, werden zusammen mit bis zu zehn anderen Vertretern von der Muslim-Bruderschaft, von Gewerkschaften, Richtern, Journalisten, Geschäftsleuten, unsere Forderungen vortragen, nicht verhandeln.

In Europa wird die Angst geschürt, Ägypten könnte ein islamischer Staat werden, unter der Führung der Muslim-Bruderschaft. Haben Sie davor auch Angst?

Die Muslim-Bruderschaft ist Teil der ägyptischen Gesellschaft. Es sind sehr gute Leute, die Jugend ist hier mit uns auf dem Platz, auch ihnen geht es um die Zukunft Ägyptens. Mubarak droht den anderen Ländern, Ihnen in Europa und den USA immer damit, wenn er nicht mehr im Amt ist, würden die Muslim-Brüder Ägypten übernehmen und es in einen neuen Iran verwandeln. Das ist eine große Lüge! Mubarak lügt Sie an. Die Muslim-Brüder wollen nicht die Kontrolle, sie wollen das Land demokratisieren. Sie wollen ihren Teil dazu beitragen. Am Wochenende haben sie noch einmal erklärt, daß niemand von ihnen bei den Präsidentschaftswahlen kandidieren will.

Wie wird es weitergehen?

Wir gehen in die »Woche des Widerstandes«. Sonntag war »Tag der Märtyrer«. Mit muslimischen und christlichen Gebeten und Gottesdiensten erinnern wir an die, die ihr Leben gegeben haben. Dienstag sollen wieder Millionen auf die Straßen gehen, auch am Freitag. Und in der darauffolgenden Woche geht es so weiter: Sonntag, Dienstag, Freitag sollen die Menschen hierher kommen, um Mubarak zu sagen, daß er gehen soll, daß das Spiel für ihn aus ist.

Was geschieht, wenn Mubarak geht?

Sein Rücktritt ist der Schlüssel, um aus der Diktatur Ägypten ein freies Ägypten zu machen. Er soll uns endlich unser Land aufbauen lassen. Wir sind 80 Millionen, wir haben die besten Leute, Wissenschaftler, Anwälte, Richter, wir können Ägypten wieder aufbauen.

Haben Sie eine Forderung an die deutsche Regierung?

Sie soll den ägyptischen Botschafter aus Deutschland nach Hause schicken. Er vertritt uns nicht, er vertritt nur Mubarak und sein Regime. Und sie alle sind Lügner und Diebe. Was würden Sie machen, wenn Sie seit 30 Jahren den gleichen Präsidenten haben, der Sie anlügt und betrügt, Ihnen den Reichtum stiehlt und keine Freiheit gewährt, was würden Sie tun? Das reicht doch wohl, er muß gehen!

Interview: Karin Leukefeld, Kairo

**** Aus: junge Welt, 7. Februar 2011


Metastasen der Macht

Von Roland Etzel *****

Mubaraks Regime ist in die Phase offener Agonie eingetreten. Die Implosion der Führung seiner Regierungspartei am Wochenende war dafür nicht entscheidend, aber symptomatisch. Politisch stellte diese Partei kaum mehr als einen Wurmfortsatz der Präsidialkanzlei dar, praktisch jedoch wirkte sie als Krebsgeschwür, dessen Verästelungen auf allen Ebenen mit Korruption zu buchstabieren waren.

Nun zerfallen die Seilschaften; und das schneller, als es CIA und Mossad gelingt, mit Hilfe ihres guten Bekannten Suleiman Ersatzstrukturen für ihre platzende Nahosttriade zu schaffen. Jetzt gilt: Wenn man schon nicht die Richtung der Fahrt bestimmen kann, dann soll es wenigstens das Tempo sein, bis sich Gelegenheiten finden, Sand ins Getriebe zu streuen. Vielleicht lässt sich so erklären, warum, wie es gestern hieß, Hillary Clinton und Angela Merkel »die ganz schnelle Wahl als Beginn eines Demokratisierungsprozesses für falsch halten«.

Gerade 20 Monate ist es her, dass der US-Präsident – in Kairo – einen »Neubeginn der Beziehungen zwischen den USA und den Muslimen der ganzen Welt« beschworen hatte. Nach alldem, was jene zuvor mit Bush jun. erlebt hatten, blieb Skepsis, auch am Nil. Zumal die Ägypter, anders als das Weiße Haus es wahrnahm, »Mubarakobama« weniger als Symbiose, sondern als Metastase empfunden haben dürften. Genau dort will Clinton aber nun wieder ansetzen.

***** Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2011 (Kommentar)


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