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Muslimbruder wird Präsident

Ägyptens Wahlkommission erklärte Mohammed Mursi zum Sieger

Von Karin Leukefeld *

Gut 16 Monate nach dem Sturz Mubaraks ist in Ägypten der Muslimbruder Mohammed Mursi zum neuen Staatschef gewählt worden. Wie die Wahlkommission am Sonntag in Kairo mitteilte, ging der islamische Politiker aus der Stichwahl gegen Regierungschef Schafik als Sieger hervor.

Der neue ägyptische Präsident heißt Mohammed Mursi. Das teilte am Sonntagnachmittag Faruk Sultan, der Chef der Hohen Wahlkommission in Kairo mit. Mursi, ein Vertreter des politischen Islam, setzte sich gegen den früheren Regierungschef Ahmed Schafik durch. Von beiden Lagern waren Hunderte Klagen wegen Wahlfälschungen eingereicht worden. Die Wahlkommission hatte deswegen die Bekanntgabe des Ergebnisses auf den gestrigen Sonntag verschoben. Noch am Wahlabend hatten sich beide Männer zum Sieger erklärt und die Gegenseite beschuldigt, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Offiziell ist nun, dass Mursi mehr als 13.2 Millionen Stimmen (51,7 Prozent) erhielt, für Schafik entschieden sich 12,3 Millionen Wähler. Mehr als 800 000 Stimmen waren ungültig. Die Wahlbeteiligung lag bei 51 Prozent. Das sind 26 Millionen Stimmen.

Für Unruhe hatte gesorgt, dass am Tag vor der Stichwahl der Oberste Gerichtshof das Parlament aufgelöst und erneute Wahlen angeordnet hatte. Damit verlor die Muslimbruderschaft in Form ihrer neu gegründeten »Partei für Freiheit und Gerechtigkeit«, die die Mehrheit gestellt hatte, ihre parlamentarische Machtposition. Gegen die Partei läuft zudem ein Verbotsverfahren.

Der Militärrat hatte sich daraufhin mit Ergänzungen zur bestehenden Verfassung zusätzliche Macht genehmigt und die Befugnisse eines neuen Präsidenten - egal aus welchem Lager - massiv eingeschränkt. Unbestätigten Berichten von US-Zeitungen zufolge soll Mursi sich mit Generälen getroffen haben, um über die Machtbefugnisse als Präsident zu verhandeln. Vor Tausenden Anhängern, die seit Tagen auf dem Tahrir-Platz für Mohammed Mursi demonstriert hatten, erklärten Vertreter der Muslimbruderschaft wiederholt, dass die Macht des Militärrates gebrochen werden müsse. Am 30. Juni wollen die Militärs die Macht offiziell an den neuen Präsidenten übergeben.

Wegen der Selbstermächtigung der Generäle bleibt der neue ägyptische Präsident ein schwacher Mann. Nur mit Zustimmung der Militärs darf er einen Krieg erklären. Auch über den Haushalt wollen die Militärs das letzte Wort haben. Die Militärs werden die legislative Macht behalten, bis ein neues Parlament gewählt sein wird. Und mit der Wiedereinsetzung des Nationalen Verteidigungsrates durch Feldmarschall Hussein Tantawi vor einer Woche bestimmen die Generäle auch weiterhin die nationale Sicherheitspolitik Ägyptens.

* Aus: neues deutschland, Montag, 25. Juni 2012


Generale gaben nach

Von Roland Etzel **

Es sah aus, als hätten sie sich unendlich schwer getan, ein Wahlergebnis zu verkünden, die Mitglieder der ägyptischen Wahlkommission - und hatten damit schon wieder reichlich Misstrauen auf sich gezogen. Doch der Vorwurf sollte andere treffen, da die Kommission alles andere als unabhängig ist. Allzu offensichtlich war, dass ihr der Militärrat von Tag zu Tag unverfrorener hineinregiert hat. Anders ist die abenteuerliche Verlautbarungspolitik zur Präsidentenwahl kaum zu erklären.

Noch am Donnerstag hieß es von der Kommission, nach Manipulationsvorwürfen müsse in zahlreichen Lokalen die Wahl wiederholt werden. Davon war nun nicht mehr die Rede. Es ist aber unwahrscheinlich, dass hier etwas aufgeklärt wurde. Eher ist es so, dass der Militärrat sich gestern endlich bequemte, den ungeliebten Muslimbrüdern den Sieg zuzugestehen. Die wachsende Zahl von Demonstranten auf dem Kairoer Tahrir-Platz, die schon wieder dreisten Wahlbetrug wie zu Mubaraks Zeiten fürchteten, ließ es den Goldbetressten wohl geraten erscheinen, darauf zu verzichten, ihren Generalskollegen Schafik mit irgendwelchen Tricks doch noch als ersten über die Ziellinie zu schieben.

Vorgebaut hatten sie ja schon, indem sie die bis dato pharaonische Machtfülle des künftigen Präsidenten erheblich beschnitten. Mit Demokratie hat das aber rein gar nichts zu tun, denn die abgezweigten Befugnisse landeten nicht in Parlamentsgremien, sondern im Militärrat.

** Aus: neues deutschland, Montag, 25. Juni 2012 (Kommentar)


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