Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Straßenschlachten in Port Said

In Ägypten droht die nächste Gewaltexplosion, aber die Regierung ist ratlos

Von Markus Symank, Kairo *

Bei Protesten in der ägyptischen Mittelmeerstadt Port Said haben Demonstranten am Montag das Hauptquartier der Sicherheitskräfte in Brand gesteckt. In der Stadt Said hatten zuvor Tausende Menschen an Trauerfeierlichkeiten für drei Opfer nächtlicher Zusammenstöße mit der Polizei teilgenommen.

Wenige Wochen vor der ersten Parlamentswahl unter der Ägide der Muslimbruderschaft kommt Ägypten nicht zur Ruhe. In Port Said sind nach Ärzteangaben seit Sonntag drei Zivilisten und zwei Mitglieder der Polizei bei Straßenschlachten ums Leben gekommen. Mehr als 400 Personen wurden verletzt. Auch in anderen Städten kam es zu schweren Ausschreitungen: In der Nildelta-Stadt Mansura lieferten sich Regierungsgegner und Polizisten in der Nacht stundenlange Kämpfe, in der Textilstadt Mahalla fackelten Unbekannte Parteibüros der Opposition ab. In Kairo versuchte die Polizei, einen Sitzprotest auf dem Tahrirplatz gewaltsam aufzulösen. Anhänger des lokalen Fußballklubs Al-Ahly umstellten daraufhin eine Bank, am Nilufer brannten Polizeifahrzeuge.

In Port Said schaltete sich erstmals seit Beginn der dortigen Unruhen vor mehr als einem Monat die Armee ein. Bei dem Versuch, eine Pufferzone zwischen Polizisten und Demonstranten zu errichten, wurden mehrere Soldaten teilweise schwer verletzt.

Entzündet hat sich die jüngste Gewaltwelle an der Entscheidung des Innenministeriums, 39 Häftlinge aus Port Said in ein Wüstengefängnis nordwestlich von Kairo zu verlegen. Den Gefangenen, darunter neun Sicherheitskräfte, soll im Zusammenhang mit den blutigen Stadionkrawallen in Port Said vor einem Jahr der Prozess gemacht werden. Die Urteilsverkündung ist für Samstag angesetzt. Am 26. Januar hatte ein Gericht in einem ersten Prozess bereits 21 Personen zum Tode verurteilt. Als Drahtzieher des Blutbads mit 74 Toten im Stadion von Port Said vermuten viele jedoch Funktionäre aus dem Innenministerium. Anhänger des Klubs Al-Ahly wiederum drohen für den Fall eines milden Urteils gegen die angeklagten Polizisten mit weiteren Protesten.

Die Regierung um Präsident Mohammed Mursi wirkt überfordert. Die Ausgangssperre, die das Staatsoberhaupt vor einem Monat über Port Said verhängte, wird konsequent ignoriert. Stattdessen protestieren die dortigen Bewohner seit Wochen. Vergangene Woche blockierten Regierungsgegner einen Hafen am Suezkanal. Unter Druck gesetzt versprach Mursi daraufhin, Port Said den Status als Freihandelszone zurückzugeben, der im Jahr 1999 abgeschafft worden war. Außerdem sicherte er der Region umgerechnet 60 Millionen Dollar aus den Einkünften des Suezkanals zu. Davon abgesehen schweigt der Präsident aber zu den Unruhen im Lande und verstärkt so das vorherrschende Bild einer ratlosen Regierung. »Hat jemand Mursi gesehen?«, gab der ägyptische Comedy-Star Bassem Youssef kürzlich die Gefühlslage viele seiner Landsleute treffend wieder.

Am Termin für die erste Runde der Parlamentswahlen am 22. April will die islamistische Regierung trotz der instabilen Sicherheitslage festhalten. Die Opposition kritisiert das Vorgehen als »unverantwortlich« und fordert eine Verschiebung des Urnengangs.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 05. März 2013


Zurück zur Ägypten-Seite

Zurück zur Homepage