Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Protest wegen Manipulationen

Ägypten: Opposition ruft zu Demonstrationen gegen Referendum auf

Von Karin Leukefeld *

Ging alles mit rechten Dingen zu oder wurde gefälscht? Diese Frage beschäftigt ägyptische Medien, Parteien und Oppositionsgruppen nach der ersten Etappe des Referendums, mit dem 51 Millionen Ägypter über den Entwurf einer neuen Verfassung abstimmen sollten. Bei hoher Wahlbeteiligung verzeichneten inoffiziellen Meldungen zufolge die Ja-Stimmen nach ersten Auszählungen mit 56,6 Prozent einen Vorsprung. Die Wähler in der Hauptstadt Kairo allerdings haben mit bisher 52 Prozent dem Verfassungsentwurf eine klare Absage erteilt.

Überzeugt davon, daß bei dem Referendum in großem Umfang manipuliert wurde, hat die Opposition für den heutigen Dienstag erneut zu Massenprotesten aufgerufen. Abdel Ghaffar Shokr von der Partei der Sozialistischen Volksallianz forderte bei einer Pressekonferenz in Kairo am Sonntag die Oberste Wahlkommission auf, die von Menschenrechtsgruppen berichteten Gesetzesverletzungen bei der Abstimmung zu untersuchen. Die Behörde will sich allerdings erst zu den Ergebnissen der Abstimmung äußern, wenn die zweite Etappe am kommenden Samstag vorüber ist.

Die Debatte über die Rechtmäßigkeit der Abstimmung vertiefe eine drohende Spaltung der ägyptischen Gesellschaft, warnte die englische Ausgabe der unabhängigen Tageszeitung Al-Masri Al-Youm am Montag. Das Blatt Al-Tahrir titelte »Die Skandale von Mursis Referendum« und berichtete ausführlich über eine Pressekonferenz von sieben Menschenrechtsorganisationen, die Übergriffe in den Wahlzentren zusammengetragen hatten. Demnach seien Christen in manchen Wahlbüros nicht zugelassen worden, es habe nicht genügend Richter gegeben, die die Wahl laut Verfassung überwachen müssen. Mitglieder der Partei »Freiheit und Gerechtigkeit« der Muslimbruderschaft hätten sich zudem in einigen Abstimmungszentren versammelt und Werbung gemacht.

Die Muslimbruderschaft ihrerseits begrüßte in ihrer Parteizeitung das Referendum als »grundlegenden Schritt zur Demokratie« in Ägypten. Das Blatt beschuldigt die Nationale Heilsfront und einige Satellitensender, eine neue Krise und Chaos heraufzubeschwören. Die Opposition spiele »ihre letzte Karte« aus, um zu verwischen, daß sie mit ihrem Aufruf, die Verfassung abzulehnen, gescheitert sei.

Etwa 500 bewaffnete Personen, darunter Salafisten und Mitglieder der Muslimbruderschaft, hatten am Sonntag abend die Zentrale der liberalen oppositionellen Al-Wafd-Partei angegriffen. »Sie zerstörten sogar ein Fahrzeug, in dem vorne auf der Ablage der Koran lag«, sagte Michael Jansen, Korrespondentin der Irish Times, im Gespräch mit junge Welt. Die Al-Wafd-Partei ist Mitglied der Nationalen Heilsfront, die für eine Ablehnung des Verfassungsentwurfs geworben hatte, und hat dem Bündnis Büro- und Versammlungsräume zur Verfügung gestellt.

Der Kronprinz des Golfemirats Katar, Tamim Bin Hamad Al-Thani, begrüßte derweil die Entwicklung in Ägypten als »positiv für die arabischen und islamischen Nationen«. Bei einem Treffen mit Intellektuellen und Journalisten in Doha sprach er von der »Wiedergeburt eines der wichtigsten Länder in der Region«. Katar mische sich nicht in Ägypten ein, so der Kronprinz weiter. Mit 19 Milliarden US-Dollar über die kommenden fünf Jahre ist Katar jedoch der größte Investor in Ägypten.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 18. Dezember 2012


Zurück zur Ägypten-Seite

Zurück zur Homepage