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Riads Geld fließt wieder

Saudi-Arabien profitiert von Mursis Sturz und unterstützt Ägyptens neue Führung

Von Martin Hoffmann, Kairo *

Russlands Außen- und Verteidigungsminister treffen heute in Kairo ein. Nach Mursis Sturz und dem Einfrieren der US-Militärhilfe orientiert man sich dort um. Erster Partner ist wieder Riad.

Das Ziel der ersten Auslandsreise des ägyptischen Präsidenten Adly Mansour war kaum überraschend: Saudi-Arabien hatte als erstes Land unmittelbar nach dem Sturz seines Vorgängers Mursis Kredite für die Übergangsregierung unter der Schirmherrschaft des Militärs zugesagt. Während in westlichen Hauptstädten von Putsch gesprochen wurde, hatte das saudische Königshaus bereits im Juli finanzielle Unterstützung über fünf Milliarden Dollar zugesagt – zwei Tage, nachdem die Armee das erste Massaker an Anhängern der Muslimbrüder beging. Kurz darauf schlossen sich auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait der Unterstützung an. Die zugesagte Finanzhilfe für den maroden ägyptischen Staatshaushalt wuchs auf zwölf Milliarden Dollar.

Das erlaubte Kairo nicht nur, seine seit dem Sturz Mubaraks drastisch gesunkenen Devisenreserven wieder aufzustocken. Auch unliebsame Gläubiger konnte man abschütteln. So wurde ein Kredit in Höhe von zwei Milliarden Dollar an Katar zurückgezahlt. Der Zwergstaat und Finanzriese hatte – wie nicht wenige westliche Politiker – auf den weiteren Aufstieg der Muslimbrüder gesetzt. In Riad dagegen rieb man sich die Hände. Die Muslimbrüder hatten die Jahrzehnte alte strategische Partnerschaft zwischen Ägypten und Saudi-Arabien belastet. Diese Partnerschaft zwischen dem bevölkerungsreichsten und dem finanzstärksten arabischen Land belief sich im Kern auf einen simplen Deal: Investitionen und billige Rohstofflieferungen gegen diplomatische und politische Unterstützung. Für Ägypten waren die Direktinvestitionen maßgeblich für das hohe nominale Wirtschaftswachstum in den Jahren vor dem Sturz Mubaraks, was allerdings nichts an der weiteren Verarmung großer Bevölkerungsteile änderte. Mubarak erfüllte seinen Teil der Verpflichtung, indem er Saudi-Arabien und den Golfstaaten politisch und diplomatisch zur Seite stand, vor allem, wenn es um die Stärkung der mit dem Westen alliierten sunnitischen Achse gegenüber Iran ging.

Diese klaren geostrategischen Allianzen weichten auf, als die Regierung Mursi die Annäherung an Teheran versuchte. Mohammed Mursi besuchte als erster ägyptischer Präsident seit 1979 die iranische Hauptstadt. Im Gegenzug kam der damalige iranische Präsident Ahmadineschad auf Staatsbesuch nach Ägypten. Doch die außenpolitische Experimentierfreudigkeit der Muslimbrüder war nicht der einzige Anlass zur Sorge am Golf.

Eine islamistische Bewegung, die durch demokratische Wahlen an die Macht kam und in fast jedem Land der Region Ableger hat, war durch ihre bloße Existenz ein gefährlicher Präzedenzfall für die Machthaber. Sie erschütterte den Jahrzehnte alten Deal zwischen dem saudischen Königshaus und den konservativen Klerikern im eigenen Land: Ihr stellt unseren absoluten Machtanspruch nicht in Frage und dürft dafür euer konservatives Islamverständnis auf die Bevölkerung übertragen.

Mit dem Aufstieg der Muslimbrüder in der Region waren muslimische Identität und politische Aktivität keine unvereinbaren Gegenpole mehr. Ein Ausbreiten dieses Gedankens wurde zum Schreckensszenario für das saudische Königshaus, denn frei von sozialen Spannungen und sozioökonomischen Druck ist auch die reiche Ölmonarchie nicht mehr. Nicht mehr jedem jungen Saudi kann ein gut bezahlter Job im Staatssektor angeboten werden. Die Arbeitslosigkeit wächst und ebenso die Selbstmordrate. Wachsender Widerspruch kommt auch von den saudischen Frauen, die immer noch aus fast allen gesellschaftlichen Bereichen ausgeschlossen sind.

Im ultrakonservativen Königreich steigt so nicht nur die Frustration, sondern auch die Bereitschaft zum Dissens. Der weitere Aufstieg der Muslimbrüder hätte diesen Prozess beschleunigen können. Eine islamistische Bewegung, die auf Mitbestimmung setzt, hätte im immer noch sehr konservativen Land wohl mehr Chancen gehabt als die linken und liberalen Bewegungen der arabischen Welt. Mit dem Sturz Mursis gehört die Bedrohung durch die Muslimbruderschaft für das Königshaus nun erst einmal der Vergangenheit an. Eine andere Sache ist damit jedoch noch nicht aus der Welt geschafft: Der wachsende soziale Druck durch die eigenen Untertanen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. November 2013


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