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Gespannte Lage in Ägypten

Gewaltsame Auseinandersetzungen vor Gerichtsverhandlung gegen Oppositionelle in Port Said

Von Karin Leukefeld *

Seit einer Woche halten gewaltsame Auseinandersetzungen in der ägyptischen Hafenstadt Port Said an. Bei Zusammenstößen von Demonstranten mit Polizei- und Sicherheitskräften waren am Wochenende sechs Personen getötet worden, Hunderte wurden zum Teil schwer verletzt. Unter den Toten sollen drei Polizeibeamte sein, ein Polizeigebäude ging am Wochenende und am Montag erneut in Flammen auf. Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein.

Die Straßenkämpfe hatten am Dienstag vergangener Woche begonnen, als Freunde und Angehörige von 39 Gefangenen deren Verlegung in ein Gerichtsgefängnis verhindern wollten. Der Innenminister begründete die Verlegung damit, daß man Unruhen in der Stadt habe vermeiden wollen. Das Gericht begrenzte am Mittwoch die Teilnahme an dem Prozeß am kommenden Samstag auf die Anwälte und Journalisten. Als einziger Fernsehsender darf das staatliche Fernsehen aus dem Gerichtssaal berichten.

Die Männer sind angeklagt, eine tödliche Auseinandersetzung im Februar vergangenen Jahres im Fußballstadion von Port Said angeheizt bzw. nicht verhindert zu haben. Bei den Schlägereien zwischen Anhängern der Vereine Al-Masry (Port Said) und Al-Ahly (Kairo) waren 70 Personen getötet worden. Beide Vereine sind politisch entgegengesetzten Lagern zuzuordnen. Al-Ahly hatte 2011 die Proteste auf dem Tahrir-Platz gegen den früheren Präsidenten Hosni Mubarak unterstützt.

Bereits im Januar dieses Jahres waren 21 Männer aus Port Said wegen des gleichen Vorwurfs zum Tode verurteilt worden. Bei anschließenden Unruhen starben 40 Personen. Seitdem ist die Stadt am Suezkanal nicht zur Ruhe gekommen. Der Verkehr im Kanal verlaufe allerdings normal, erklärte die Hafenbehörde. Die Einnahmen aus den Transitgebühren des Kanals gehören neben der Gas- und Erdölförderung und dem Tourismus zu den Haupteinnahmequellen des ägyptischen Staatshaushalts.

Um gegen die Preiserhöhung für Benzin, Diesel und Heizöl zu protestieren, blockierten am Dienstag Hunderte Bauern aus Minya eine Hauptverkehrsstraße. Anlaß des Protestes war das System eines Diesel-Coupons, mit dem die herrschende Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (Muslimbruderschaft) den Bauern angeblich helfen wollte. Bei der Verteilung des Coupons seien manche Leute begünstigt worden, andere gingen leer aus, so der Vorwurf der Bauern, die mit Traktoren und anderem landwirtschaftlichen Gerät die Straße stundenlang gesperrt hielten.

Anhänger der oppositionellen Bewegung »Demokratische Front der Jugend des 6. April« beerdigten am Mittwoch den Leichnam ihres Mitstreiters Mohamed Al-Shafei. Shafei war am 29. Januar verschwunden, seine Leiche wurde am 26. Februar gefunden. Die Autopsie zeigte, daß Shafei an den Folgen einer Schrotschußwunde am Kopf vermutlich am 30. Januar gestorben war. Bei einer Kundgebung am Dienstag hatten die Aktivisten Aufklärung über den Mord an Shafei vom Generalstaatsanwalt verlangt. Auch der Fall ihres Mitstreiters Khaled Al-Akkad müsse geklärt werden, so die Demonstranten. Akkad war Ende Januar aufgefordert worden, die Bewegung des 6. April auszuspionieren. Er weigerte sich und verschwand wenig später auf dem Nachhauseweg. Die Bewegung des 6. April macht die Sicherheitsbehörden und das Innenministerium für sein Verschwinden verantwortlich. Ein Sprecher der Gruppe sagte, daß in den vergangenen Wochen einige ihrer Aktivisten verschwunden seien.

Die Opposition wirft der Regierung von Mohamed Mursi vor, daß Sicherheitskräfte und Polizei die gleiche Gewalt gegen Andersdenkende anwendeten, wie unter seinem Vorgänger Mubarak. Außerdem kritisieren sie die weit verbreitete Korruption in staatlichen Behörden, die Parlamentswahlen im April wollen sie boykottieren.

Das wiederum hatte US-Außenminister John Kerry kritisiert, als er am Wochenende zu einem eintägigen Besuch in Kairo eingetroffen war. Die Oppositionsbewegung hatte daraufhin zu Protesten gegen Kerry aufgerufen.

Bei einem Gespräch mit Präsident Mohamed Mursi betonte Kerry, er sei nicht gekommen, um sich in die ägyptische Politik einzumischen. Er kündigte der Regierung die Zahlung von 250 Millionen US-Dollar an, um die Zukunft des Landes »als Demokratie« zu fördern. Weitere 60 Millionen US-Dollar sollen den demokratischen Wandel »direkt unterstützen«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 7. März 2013


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