Mubarak läßt richten
Von Hossam El-Hamalawy und Jan Maas *
Das von den USA unterstützte Regime von Hosni Mubarak hat vor einem
ägyptischen Sondertribunal Anklage gegen 49 Demonstranten erhoben. Ihnen
wird vorgeworfen, im April in der Stadt Mahalla im Nildelta an einem
zweitägigen Aufstand beteiligt gewesen zu sein. Der Schauprozeß gegen 48
Männer und eine Frau vor dem per Notstandsverordnung eingerichteten
Obersten Staatssicherheitsgericht (Mahkamat Amn al-Dawla al-'Ulya)) soll
an diesem Samstag beginnen. Die konstruierte Anklage basiert auf unter
Folter erpreßten Aussagen. Ägyptische Internetblogger bitten
Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen dringend um internationale
Unterstützung, um die Führung in Kairo unter Druck zu setzen. Am
Donnerstag veröffentlichten in Berlin Abgeordnete der Linksfraktion im
Bundestag, Gewerkschafter, Wissenschafler und Friedensaktivisten einen
entsprechenden Solidaritätsappell, in dem sie die sofortige Freilassung
der Inhaftierten fordern.
Hintergrund der Proteste im Frühjahr waren die explodierenden
Nahrungsmittelpreise und ausbleibende Lohnerhöhungen. Im Rahmen eines
nationalen Aktionstages hatte der Textilarbeiterbund in Mahalla für den
6. April zum Streik aufgerufen. Sicherheitskräfte des Mubarak-Regimes
versuchten daraufhin, durch die Besetzung der dortigen Textilfabrik, die
mit 27000 Beschäftigten zu den größten im Nahen Osten gehört, den
Ausstand niederzuschlagen. Tausende Einwohner von Mahalla
solidarisierten sich in den folgenden Tagen mit den Streikenden. Die
Sicherheitskräfte gingen mit Schlagstöcken, Tränengas, Wasserwerfern,
gummiummantelten Stahlgeschossen und scharfer Munition gegen den
Massenprotest vor. Drei Menschen wurden seinerzeit getötet, Hunderte
verletzt. Im Anschluß führte die Polizei Razzien in der Stadt durch und
nahm Hunderte Bürger fest, darunter die Organisatoren des Streiks.
Das Gros der Aktivisten wurde auf internationalen Druck in den
vergangenen Monaten freigelassen. Sie berichteten von Folter in den
Polizeistationen und Staatssicherheitsgebäuden, darunter schwerer
Prügel, Elektroschocks und sexuellem Mißbrauch. 43 noch inhaftierten
Ägyptern und sechs, die sich auf der Flucht befinden, wird nun vor dem
Staatssicherheitsgericht der Prozeß gemacht. Ihnen drohen Haftstrafen
zwischen sechs und zehn Jahren und harte Zwangsarbeit.
Das Mubarak-Regime erhofft sich offensichtlich eine abschreckende
Wirkung, denn die Proteste im Land halten an. Erst Mittwoch hatte die
Springer-Zeitung Die Welt unter der Schlagzeile »Der Hunger treibt die
Ägpyter auf die Straße« über Proteste in Burullus berichtet: »Dort, wo
reiche Kairoer derzeit gern der Hitze der Hauptstadt entfliehen und
Urlaub an der Mittelmeerküste machen, errichtete der wütende Mob
brennende Barrikaden auf der Küstenstraße. Die Polizei setzte Tränengas
und Gummigeschosse ein, über 100 Menschen wurden verletzt.« Und weiter:
»Anlaß der Ausschreitungen in Ägypten, wo Demonstrationen eigentlich
strikt verboten sind, ist die schlechte Brotversorgung.« Die
Preisexplosion bei Nahrungsmitteln führe »zum Kampf ums Überleben«.
* Aus: junge Welt, 8. August 2008
Erfundene Vorwürfe
Gewerkschafter, Wissenschafter, Friedensaktivisten und
Bundestagsabgeordnete der Fraktion Die Linke erklären sich solidarisch
mit den 49 Ägyptern, denen wegen ihrer Teilnahme an
Textilarbeiterprotesten in Mahalla im April nun der Prozeß gemacht wird:
Wir, die Unterzeichnenden, erklären unsere Solidarität mit den 49
ägyptischen Bürgern, die das Mubarak-Regime vor einem
Notstandsstaatssicherheitsgericht angeklagt hat. Sie sollen im April an
einem zweitägigen Aufstand in der Stadt Mahalla im Nildelta beteiligt
gewesen sein.
Am 6. und 7. April besetzten Mubaraks Sicherheitskräfte Mahalla --
Standort der größten Textilfabrik im Nahen Osten mit 27000 Arbeitern --,
um einen Streik aufzulösen, zu dem die unabhängige Gewerkschaft
»Textilarbeiterbund« aufgerufen hatte. Der Streik richtete sich gegen
die rasant steigenden Lebensmittelpreise und forderte eine Erhöhung des
seit 1984 stagnierenden Mindestlohnss.
Die Sicherheitskräfte setzten scharfe Munition, Tränengas, Wasserwerfer
und Schlagstöcke gegen die friedlichen Demonstranten ein, die auf die
Straße gingen, nachdem der Streik aufgelöst worden war. Sie töteten
mindestens drei Menschen und verletzten Hunderte.
Gegen die 48 Männer und eine Frau werden erfundene Vorwürfe erhoben, die
sie zum Teil unter Folter zugegeben haben. Sie werden vor einem
Sondergericht angeklagt, dem laut internationalen Menschenrechtsgruppen
alle Standards für ein sicheres und gerechtes Verfahren fehlen.
Wir fordern von der ägyptischen Regierung, die Angeklagten sofort
freizulassen.
Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichner: Hüseyin Aydin (MdB Die
Linke), Ute Beuck (Diplomsozialökonomin), Christine Buchholz (Mitglied
im geschäftsführenden Parteivorstand Die Linke), Werner Dreibus (1.
Bevollmächtigter IG Metall Offenbach, MdB Die Linke), Wolfgang Gehrcke
(MdB Die Linke), Joachim Guilliard (Journalist und Autor, Heidelberger
Forum gegen Militarismus und Krieg), Heike Hänsel (MdB Die Linke),
Claudia Haydt (Informationsstelle Militarisierung/IMI), Gerald Kemski
(Bundessprecher der AG Betrieb und Gewerkschaft, Die Linke), Gisela
Kessler (ehemalige Stellvertretende Vorsitzende der IG Medien und
Frauensekretärin), Prof. Dr. Mohssen Massarrat (Universität Osnabrück),
Prof. Dr. Norman Paech (MdB Die Linke), Bernd Riexinger (Geschäftsführer
im ver.di-Bezirk Stuttgart), Prof. Dr. Werner Ruf (Universität Kassel),
Heidi Scharf (1. Bevollmächtigte der IG Metall, Schwäbisch Hall), Dr.
Peter Strutynski (Bundesausschuß Friedensratschlag), Dr. Harald Werner
(Mitglied im Parteivorstand Die Linke), Sabine Wils (Bundessprecherin
der AG Betrieb und Gewerkschaft, Die Linke)
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