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Die Muslimbrüder bleiben im Fadenkreuz

Die ägyptische Führung zielt aber auch gegen die Bewegung "6. April"

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Ein ägyptisches Gericht hat die Muslimbruderschaft und ihre Unterorganisationen mit einem Betätigungsverbot belegt. Gleichzeitig gehen die Übergangsregierung und ihre Unterstützer auch gegen Kritiker von links vor: Gegen die Bewegung »6. April« wurde ein Verbotsantrag eingereicht; mehrere ihrer Funktionäre wurden festgenommen.

Am Dienstagmorgen wurde in Kairo wieder demonstriert. An mehreren Orten versammelten sich Unterstützer der Muslimbruderschaft. Einige Kilometer weiter protestierten Hunderte Angehörige der Bewegung »6. April« gegen den Ausnahmezustand, der nach wie vor, mit wenigen örtlich begrenzten Ausnahmen, in den Nachtstunden im Lande gilt.

»Das ist keine Demokratie; das ist Unterdrückung«, sagt Khaled el-Masri, der Sprecher der Bewegung, die Anfang 2011 im Zentrum der Absetzung des De-facto-Diktators Hosni Mubarak stand: »Unser Leben wird wieder reglementiert; die Regierung versucht wieder zu bestimmen, was wir zu denken haben.«

Und zwar so: Am Montag entschied ein Verwaltungsgericht in Kairo, der Muslimbruderschaft und all ihren Unterorganisationen sämtliche Aktivitäten zu verbieten; sämtlicher Besitz soll beschlagnahmt werden. Mehrere liberale und linke Parteien in Ägypten begrüßten das Urteil sogar. Die Nationale Vereinigung für den Wandel erklärte, es sei wichtig, die »Sabotage-Aktivitäten« der Muslimbruderschaft gegen den Staat zu beenden. Andere Parteien rief sie auf, zu einem »Gelingen des politischen Fahrplans« beizutragen, den die Militärführung im Juli nach der Inhaftierung des gewählten Präsidenten Mohammed Mursi beschlossen hatte.

Ein ähnliches Schicksal wie den Muslimbrüdern droht aber auch der »6. April«-Bewegung: Der ehemalige Parlamentsabgeordnete Hamdi al-Fakharani, der Mitte Juli auch die nun erfolgreiche Klage gegen die Muslimbruderschaft vorgebracht hatte, reichte einen Verbotsantrag gegen die Bewegung »6. April« ein. Die Gruppe habe durch ihre »Einmischung in auswärtige Angelegenheiten« den Interessen Ägyptens geschadet, heißt es in der Klageschrift. Als Beweis wird ein Video aus dem vergangenen Jahr angeführt, in dem Angehörige der Bewegung zusammen mit der US-amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton zu sehen sind. Zudem führt der Antrag angebliche Beweise für eine Verbindung zwischen der »6. April«-Bewegung und der Mus- limbruderschaft auf. »Solch eine Verbindung straft die Behauptung Lügen, dass es sich bei ihr um revolutionäre Jugendliche handelt«, sagt Fakharani zur Begründung.

Unabhängige Juristen räumen dem Antrag trotz der recht schwammigen Begründung Chancen ein. Die ägyptische Übergangsregierung hat im Laufe der vergangenen Wochen versucht, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen. Richter wurden ausgetauscht und das zuallererst an den Verwaltungsgerichten, was auch erklärt, warum es erst jetzt zu einer Entscheidung über den Antrag gegen die Muslimbrüder gekommen ist. Die Staatsanwaltschaften wurden zudem stärker an die Weisungen des Justizministeriums gebunden. Und: Durch den Ausnahmezustand ist die Prozessordnung weitgehend außer Kraft gesetzt, was vor allem bedeutet, dass die Ansprüche an die Beweisführung ausgehöhlt sind.

Zudem hat mittlerweile auch die Sicherheitspolizei, ein nach dem Umsturz wiederbelebtes Relikt aus der Mubarak-Zeit, in den vergangenen Wochen nicht nur Führungskader der Muslimbrüder festgenommen, sondern auch Leute vom 6. April festgehalten und verhört. Unter anderem klagen unabhängige Gewerkschafter und Linksparteien über zunehmende Repressalien durch die Behörden. Wie viele Personen insgesamt festgenommen wurden, lässt sich nicht zweifelsfrei sagen. Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen gehen von mindestens 3000 Personen aus; das Innenministerium selbst äußert sich dazu nicht.

Ein Sprecher von Innenminister Mohammad Ibrahim antwortet nur allgemein, all dies sei notwendig, um die Revolution zu schützen. »Wir müssen Ägypten vor den Kräften bewahren, die es zerstören wollen.« Dabei verweist er darauf, dass sein Chef gerade Anfang des Monats nur knapp einem Bombenanschlag entgangen sei.

Der Sprecher betont: Ende November sollen die Ägypter in einem Referendum über die überarbeitete Verfassung abstimmen und das Land wieder zur Normalität zurückkehren. Doch ob dieser Zeitplan eingehalten werden wird, ist seit Dienstagmorgen wieder unklar: Die liberalen und linken Kräfte in der verfassunggebenden Versammlung haben eine Initiative gestartet, die zum Ziel hat, die Verfassung nicht nur zu überarbeiten, sondern komplett neu zu schreiben.

Die ägyptische Polizei nahm unterdessen weitere Verdächtige fest, die an den Angriffen auf Kirchen und Polizeiwachen im August beteiligt gewesen sein sollen. Einige von ihnen gehören islamischen Bewegungen an, andere sind gewöhnliche Kriminelle. Das Fernsehen meldete die Verhaftung von Mohammed Makkawi, einem Funktionär der Partei der Muslimbrüder im Kairoer Stadtteil Al-Warak. Ihm wird vorgeworfen, er habe zusammen mit anderen die Polizeistation des Viertels gestürmt. In der südlich von Kairo gelegenen Ortschaft Malawi sei ein Plünderer festgenommen worden, der an einem Angriff auf eine Kirche beteiligt gewesen sein soll, meldete das Fernsehen.

Im westlichen Ausland werden die staatlichen Maßnahmen zur strukturellen Erdrosselung der Organisationen der Muslimbruder wenig bis gar nicht kommentiert. Deutschland macht da keine Ausnahme. Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte am Rande der UN-Vollversammlung in New York, die Bundesregierung verfolge das Vorgehen von Justiz und Behörden gegen die Muslimbrüder sehr aufmerksam. Weiter sagte er: »Wir erwarten von der ägyptischen Führung, dass sie einem glaubwürdigen politischen Prozess den Weg ebnet. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass gegen politische Gegner mit den Mitteln der Justiz vorgegangen wird.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 25. September 2013


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