Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Demokratisches Mäntelchen

Neuer Verfassungsentwurf für Ägypten. Einfluß der Armee zementiert

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Die verfassunggebende Versammlung Ägyptens hat ihre Arbeit beendet und den Entwurf zur neuen Verfassung des Landes am Dienstag in Kairo an Staatspräsident Adli Mansur übergeben. Diesem obliegt es nun, die Bevölkerung innerhalb von 30 Tagen in einem landesweiten Referendum über den Entwurf abstimmen zu lassen. Beobachter rechnen jedoch nicht mit einem Termin vor Mitte Januar.

Grundlage ist das Präsidialdekret Mansurs vom 8. Juli. Damit hatte das Staatsoberhaupt die alte, während der Präsidentschaft des inzwischen gestürzten Islamisten Mohammed Mursi verabschiedete Verfassung außer Kraft gesetzt und einen Zeitplan für die Übergangsperiode festgelegt. Nach der Annahme des neuen Entwurfs sollen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen folgen.

Die kontroverse Debatte um Ägyptens neue Verfassung geht damit in eine neue Runde, nachdem das Land bereits 2012 monatelang über die Konstitution gestritten hatte. Das 2012 bei niedriger Wahlbeteiligung angenommene Gesetzeswerk wurde von vielen Seiten für seine islamistische Färbung kritisiert. Der politische Arm der Muslimbruderschaft, Mursis Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), und die salafistische Partei »Das Licht« hatten damals eine absolute Mehrheit in der verfassunggebenden Versammlung und nutzten diese konsequent aus. Dem Gremium war damals von vielen Seiten die Legitimität abgesprochen worden, da Positionen und Vorschläge von Minderheiten nicht adäquat berücksichtigt worden seien. Frauen, Christen und Liberale hatten die Versammlung nach und nach aus Protest gegen die Kompromißlosigkeit der islamistischen Mehrheit verlassen.

Nach der Absetzung Mursis durch die Armee im Juli beauftragte Mansur ein zehnköpfiges Technokratenkomitee, erste Vorschläge für eine Verfassungsreform zu erarbeiten. Die Ergebnisse wurden schließlich am 1. September an die 50köpfige, vom Staatspräsidenten ernannte, verfassunggebende Versammlung übergeben, die ihre Arbeit nun fristgerecht beendete. Liberale, säkulare und regimenahe Kräfte waren überrepräsentiert, das islamistische Lager nur von einem ehemaligen Mitglied der Muslimbrüder und einem Vertreter der ultrakonservativen »Das Licht« vertreten. Präsident Mansur und die hinter ihm stehende Armeeführung versuchten, der Versammlung durch Quoten für die christliche Minderheit, Gewerkschaften, Jugendbewegungen und andere relevante Kräfte einen Anschein von Legitimität und Abbildung der Gesellschaftsverhältnisse zu verleihen. Doch die Marginalisierung der Islamisten führt dazu, daß deren vehemente Kritik am administrativen Rahmen des gesamten Verfassunggebungsprozesses nicht abreißen wird. Auch säkulare Kräfte, vor allem linksliberale Parteien und Bewegungen, lehnen die Zusammensetzung des Gremiums ab. Sie sei willkürlich und undemokratisch und habe dem alten Regime nahestehende Kader begünstigt.

Grundlage des Entwurfes ist das Dokument von 2012, das lediglich überarbeitet wurde. Während der Text durch die Streichung des umstrittenen Scharia-Artikels 219 seine islamistische Färbung verliert, sehen progressive Kräfte die Aussagen zur Reli­gionsfreiheit weiter kritisch. Der neue Entwurf schreibt eine »absolute« Freiheit des Glaubens fest, beschränkt diese jedoch faktisch auf Islam, Judentum und Christentum. Zu den wichtigsten Passagen zählen zudem die Artikel, die den politischen Einfluß der Streitkräfte sichern. So haben die Generäle für die kommenden acht Jahre das Recht, den Verteidigungsminister zu stellen. Auch bleibt das Militärbudget weiterhin ohne legislative Kontrolle. Wie schon in der Verfassung von 2012 sind Militärtribunale für Zivilisten grundsätzlich erlaubt, auch wenn von einer »limitierten« Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit für Zivilisten die Rede ist. Die Formulierungen sind derart vage, daß die entsprechenden Artikel einen hohen Interpretationsspielraum lassen. Die Opposition faßt sie als Blankoscheck für die Armee auf, Zivilisten vor Militärgerichten abzuurteilen.

* Aus: junge welt, Mittwoch, 4. Dezember 2013


Zurück zur Ägypten-Seite

Zurück zur Homepage