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Gefährlicher Nachschub für das Pulverfass Nahost

Allen voran die USA rüsten Ägypten und die konfliktreiche Region hoch

Von Olaf Standke *

Der Nahe Osten ist nicht nur eine der labilsten, sonder auch der am stärksten gerüsteten Regionen der Welt.

Den »geordneten Übergang« zu einem demokratischen System hat USA-Außenministerin Hillary Clinton jetzt vom ägyptischen Staatschef Hosni Mubarak verlangt, ohne das Wort Neuwahlen in den Mund zu nehmen. Washington merkt, dass man die Demokratie-Bewegung wohl oder übel unterstützen muss, will den jahrzehntelang hofierten Präsidenten jedoch nicht sofort fallen lassen.

Dank Wikileaks weiß man, dass US-amerikanische Diplomaten sehr wohl sehen, dass ihr wichtigster Verbündeter in der arabischen Welt einem »brutalen Unterdrückerregime« vorsteht. Doch man verstand es bisher auch als vermeintliches Bollwerk gegen die islamistischen Kräfte in der Region. Zudem ist Ägypten neben Jordanien der einzige arabische Staat, der Israel anerkennt.

Jährlich fließen deshalb allein 1,3 Milliarden Dollar Militärhilfe in das größte nordafrikanische Land, etwa die Hälfte der Gelder für Israel, aber mehr als Richtung Irak geht. Mit 92 Prozent erhielt Kairo bisher den Löwenanteil aller US-amerikanischen Rüstungsexporte nach Afrika. Wie das Stockholmer Peace Research Institute (SIPRI) errechnete, lag das Volumen zwischen 1989 und 2008 bei über 14 Milliarden Dollar. Im gleichen Zeitraum lieferte China Waffen im Wert von 425 Millionen Dollar.

Aber nicht nur die Sicherheitskräfte, die Mubarak gegen die Demonstranten vorgehen lässt, sind mit Washingtoner Unterstützung hochgerüstet worden. Auch unter Präsident Obama wurde eine der labilsten Regionen der Welt mit Waffen überschwemmt, als hätte man nichts aus der Geschichte gelernt. Als der Schah von Persien, ein besonders treuer Verbündeter Washingtons, 1979 gestürzt wurde, bekam das USA-feindliche Regime von Ayatollah Khomeini ein besonderes Erbe der amerikanisch-iranischen Partnerschaft in die Hände: damals modernstes Kriegsgerät von Kampfflugzeugen des Typs Lockheed P-3F Orion bis zu Panzern des Modells M60.

Allein zwischen 2005 und 2009 haben die USA laut Washingtoner Rechnungshof Waffen im Wert von 40 Milliarden Dollar an Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Oman, Kuwait, Katar und Bahrain exportiert. Und nun wickelt man den größten Waffendeal der Geschichte ab: In den nächsten Jahren werden Rüstungsgüter mit einem Volumen von 60 Milliarden US-Dollar für diese Golfstaaten folgen. Der Konfliktforscher Pieter Wezeman (SIPRI) hält das für höchst fahrlässig, schon angesichts der durchaus bestehenden Gefahr für das saudische Königshaus, von anti-westlichen Kräften gestürzt zu werden.

Nicht geringer sind die Bedenken gegen Pläne, mit Nahost-Staaten neue Militärverträge abzuschließen. So hat Israel im Vorjahr eine Vereinbarung über den Kauf der neusten Kampfflugzeuge vom Typ F-35 unterzeichnet. Die Obama-Administration gehe in Rüstungsfragen einen Schritt vor und zwei Schritte zurück, kritisiert Natalie J. Goldring vom Friedensforschungszentrum der Washingtoner Georgetown University. In den USA hat die Obama-Regierung inzwischen die Exportvorschriften für Waffen sogar gelockert, um die heimischen Waffenschmieden zu stärken, den Außenhandel anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Im Nahen Osten setze man damit ein neues Wettrüsten in Gang, so Goldring. Das gilt auch für deutsche Exporte. Beispielsweise hat die Bundesregierung 2009 mehr als doppelt so viele Waffenlieferungen (77,5 Millionen Euro) an Kairo genehmigt wie im Jahr zuvor; dazu gehörten Maschinenpistolen ebenso wie gepanzerte Fahrzeuge oder Panzerteile.

Nachdem man im Falle Tunesiens versagt habe, so Mohamad Bazzi vom Forschungsinstitut Council on Foreign Relations, gebe es jetzt mit Ägypten für die Obama-Regierung eine weitere Chance, die Wahrnehmung der USA in der arabischen Welt nachhaltig zu verändern: hin zum sympathischen Land, das ins Volk investiert, nicht in Diktatoren – und schon gar nicht mit Waffen.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Februar 2011


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