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Mubarak lässt abstimmen

In Ägypten finden Parlamentswahlen statt – im Ausnahmezustand

Von Karin Leukefeld, Kairo *

In Ägypten finden am Sonntag (28. Nov.) Parlamentswahlen statt. Die Zeit davor war von einem harten Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Oppositionelle geprägt. Es kam zu regelrechten Verhaftungswellen, von denen vor allem Mitglieder der seit 1954 verbotenen Muslimbruderschaft betroffen waren. Laut Amnesty International sind noch rund 250 von etwa 600 seit Anfang Oktober festgenommenen Mitgliedern der Gemeinschaft inhaftiert.

Nicht zum ersten Mal finden in Ägypten Wahlen statt, ohne dass die politischen Bedingungen für eine faire Abstimmung gegeben sind. Die sogenannte Koalition zur Beobachtung der Parlamentswahlen will sich offensichtlich nicht als Feigenblättchen benutzen lassen. Die unabhängigen Beobachter drohten mit ihrem Rückzug, sollte ihnen die Oberste Wahlkommission nicht umgehend zusichern, dass sie am Sonntag die Wahllokale betreten dürfen. Dafür waren insgesamt 1113 Genehmigungen beantragt worden. Noch keine einzige habe man erhalten, kritisierte der Sprecher der Koalition, Hafez Abu Saeda, diese Woche in Kairo.

Der Koalition zur Wahlbeobachtung gehören 123 Organisationen an, deren Vertreter in den vergangenen Wochen auch den Wahlkampf kritisch verfolgten. So forderten sie Erklärungen für den Ausschluss von 400 Kandidaten durch die Wahlkommission, ebenso die Freilassung von 250 Kandidaten der verbotenen Muslimbruderschaft, die als Unabhängige kandidieren wollten. Deren Vertreter erklärten am Montag vor der Presse, ihre Kandidaten und Anhänger würden systematisch eingeschüchtert und bedroht. »Man terrorisiert uns, um uns zum Rückzug von den Wahlen zu zwingen«, sagte der Abgeordnete Hussein Ibrahim, ein Muslimbruder. Das aber werde nicht geschehen.

Ausländischen Wahlbeobachtern hatte Ägyptens Regierung die Einreise verweigert. Vertreter der EU erhalten allerdings am Wahltag Zugang zum Zentralen Wahlzentrum. Der stellvertretende Leiter des staatlichen Nationalen Menschenrechtsrates, Moqbel Shaker, erklärte dennoch, 7000 Wahlbeobachter würden für »Transparenz, Fairness und Neutralität bei der Abstimmung« sorgen. Ägypten werde »der Welt beweisen, dass wir unvoreingenommene, neutrale und faire Wahlen durchführen können,« hieß es dazu von Ministerpräsident Ahmed Nazif. Innenminister Habib el-Adly warnte die Kandidaten derweil, keine großen Kundgebungen oder Demonstrationen abzuhalten. Die Polizei werde landesweit für die Sicherheit in den 40 000 Wahllokalen sorgen.

Hani Shukrallah von Ägyptens bekanntester Zeitung »Al-Ahram« erwartet vom Wahlausgang keine Überraschung. Die seit 30 Jahren regierende Nationale Demokratische Partei werde wie jedes Mal gewinnen. Das »System funktioniert«, niemand könne die Herrschenden erfolgreich herausfordern. Den Wählern, die vermutlich weniger als 25 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen dürften, sei klar (gemacht worden), für wen sie zu stimmen haben. Reformen oder politische Veränderungen seien nicht zu erwarten. Der eigentliche Kampf gehe »um Erdbeeren und Mobiltelefone«, also darum, wer »sich den Zugang zu den lokalen und einflussreichen Größen und damit die besseren Geschäfte sichern« könne.

Fast täglich berichten die Medien von Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, wobei vor allem die Muslimbrüder und ihre Anhänger von Repression betroffen sind. Eine Straßenschlacht in Gizeh, die vorige Woche auch ein Menschenleben gefordert hatte, sei »Ausdruck koptisch-muslimischer Spannungen« gewesen, erklärte Yousssef Sidhom, Chefredakteur der koptischen (christlichen) Wochenzeitung »Watani« gegenüber ND. Mit den Wahlen habe das nichts zu tun. Christen und Muslime hätten vielmehr gemeinsam gegen den Abriss eines im Bau befindlichen Sozialzentrums in Gizeh protestiert und seien mit Sicherheitskräften zusammengestoßen. Das Zentrum gehöre der koptischen Kirche, die – entgegen der Genehmigung – einen »geheimen Kirchenraum« eingebaut habe. Der Konflikt sei nicht neu und Ausdruck einer »allgemeinen Ungleichheit«. Von »Diskriminierung oder Verfolgung« von Christen in Ägypten wollte er ausdrücklich nicht sprechen. Der Bau von Kirchen sei jedoch ungleich schwieriger zu erreichen als der Bau von Moscheen.

Parlament

5121 Kandidaten konkurrieren am Sonntag um 508 Parlamentssitze, von denen 64 Frauen vorbehalten sind. 400 Kandidaten wurden von den Wahlen ausgeschlossen, allein 780 Kandidaten stellt die regierende Nationale Demokratische Partei, einige Unabhängige inklusive. Der Präsident hat das Recht, zehn der Abgeordnetensitze selber zu vergeben.

Seit 1967 herrscht in Ägypten Ausnahmezustand, der 1980/81 kurz Zeit aufgehoben war, doch nach der Ermordung von Präsident Sadat wieder eingeführt wurde. Seitdem wird er regelmäßig verlängert. Die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch spricht von einem »gebrochenen Versprechen«, nachdem Präsident Hosni Mubarak bereits vor fünf Jahren die baldige Aufhebung des Ausnahmezustandes angekündigt hatte.

* Aus: Neues Deutschland, 26. November 2010


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