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Kein Wahlergebnis in Ägypten

Bekanntgabe auf "unbestimmte Zeit" verschoben / Vorwurf des Machtmissbrauchs an Militärs *

In Ägypten ist die Bekanntgabe der Ergebnisse der Präsidentenwahl auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Dies habe die von dem Richter Faruk Sultan geführte Wahlkommission entschieden, berichtete die Nachrichtenagentur MENA am Mittwochabend.

Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat dem in Ägypten herrschenden Militär zunehmende Selbstermächtigung und Machtmissbrauch vorgeworfen. »Die unermüdliche Ausweitung der Vollmachten, um Zivilisten festzunehmen und abzuurteilen, geht derzeit weit über die Vollmachten unter Husni Mubarak hinaus«, erklärte Joe Stork, der Nahostdirektor der Organisation, am Donnerstag in New York.

Letzte Meldungen

Proteste in Kairo

Nach der Verzögerung der Kundmachung des Ergebnisses der Präsidentenwahl in Ägypten gehen die Menschen wieder auf die Straße. Am Freitag versammelten sich auf dem Tahrir-Platz in Kairo Tausende Anhänger der Muslimbrüder zu einer Protestkundgebung gegen den herrschenden Militärrat unter Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi. "Nieder mit der Armee", skandierten die Demonstranten, die sich bereits am Mittag trotz brütender Hitze zum traditionellen Freitagsgebet auf dem Platz im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt versammelt hatten.

Die Mulsimbruderschaft hatte dem Militärrat mit einer "Konfrontation mit dem Volk" gedroht. Sie besteht darauf: Ihr Kandidat Mohammed Mursi habe bei der Stichwahl am vergangenen Wochenende mit 52 Prozent der Stimmen seinen Konkurrenten, Ex-Ministerpräsident Ahmed Shafik, besiegt. Auch der beansprucht den Sieg allerdings für sich. Auf Grund der vorliegenden Zahlen sei er "zuversichtlich, dass ich der künftige Präsident sein werde", sagte Shafik.

Die Wahlkommission hat das Ergebnis jedoch wegen möglichen Betrugs in zahlreichen Wahllokalen bisher nicht veröffentlichen lassen. Sie will dies am Sonntag nachholen. Angeblich überlegt sie, in mehr als 100 Wahlbezirken erneut wählen zu lassen.

Saad al-Husseini, ein führendes Mitglied der Muslimbruderschaft, wurde von lokalen Medien mit den Worten zitiert: "Wenn Shafik zum Präsidenten erklärt wird, dann ist dies ein Putsch, der Angst einflößt, und eine Verfälschung des Willens der Ägypter. Dann wird ganz Ägypten gegen dieses Verbrechen aufstehen." Andere Mitglieder seiner Bewegung drohten mit einer "zweiten Revolution".

An der Protestaktion auf dem Tahrir-Platz wollten sich auch Angehörige linker Parteien beteiligen. Der Protest richtet sich nicht nur gegen die Verzögerung bei der Verkündung des Wahlergebnisses. Er richtet sich auch gegen das Vorgehen des Militärrates, der sich die gesamte exekutive und legislative Macht angeeignet hat.

(Nachrichtenagenturen, 22.06.2012)



Die verfassungsrechtlichen Erlässe des Obersten Militärrates, der seit dem Sturz Mubaraks im Februar 2011 das Land regiert, seien »das jüngste Anzeichen dafür, dass es am 30. Juni keine substanzielle Machtübergabe an eine zivile Regierung geben wird«, führte Stork aus.

Ende des Vormonats hatte der Militärrat den seit mehr als 30 Jahren geltenden Notstand auslaufen lassen. Wenige Tage später hatte das Gremium aber eine Verfügung erlassen, wonach die Militärpolizei jederzeit Zivilisten festnehmen und verhaften kann.

Auch ins politische Geschehen griffen die Generäle zuletzt massiv ein: Sie lösten das zur Jahreswende gewählte Parlament auf, beschnitten die Macht des künftigen Präsidenten drastisch und schanzten sich die Vollmacht zu, eine neue Verfassung zu schreiben.

Indes hat die Wahlkommission die am Donnerstag geplante Bekanntgabe der Ergebnisse der Stichwahl um die Präsidentschaft am 16. und 17. Juni auf unbestimmte Zeit verschoben. Um die Nachfolge Mubaraks hatten der Kandidat der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, und Mubaraks letzter Ministerpräsident, Ahmed Schafik, gekämpft. Beide Kandidaten erklärten sich bereits selbst zu Gewinnern der Wahl. Demonstranten auf Kairos Tahrir-Platz forderten die Erklärung Mursis zum Wahlsieger; an anderer Stelle der Hauptstadt forderten Schafiks Anhänger dasselbe für ihren Kandidaten.

Ein ägyptisches Gericht hat am Donnerstag vier Polizisten zu langen Haftstrafen verurteilt, die einen Gefangenen zu Tode gefoltert haben. Ein Mitglied der inzwischen aufgelösten Staatssicherheit, die für zahlreiche Verbrechen in der Zeit unter Präsident Mubarak verantwortlich gemacht wird, muss nach Justizangaben 15 Jahre hinter Gitter. Gegen die anderen drei Angeklagten wurde in Abwesenheit eine lebenslängliche Haftstrafe verhängt.

Der von den Polizisten Getötete war im Zusammenhang mit einem Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria festgenommen worden, bei dem in der Silvesternacht 2010 rund 20 Menschen getötet wurden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 22. Juni 2012


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