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Armeechef will Präsident werden

Ägypten: Verteidigungsminister Al-Sisi hängt die Uniform an den Nagel und verkündet seine Kandidatur

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Die Spekulationen in Ägypten über die Ambitionen von Verteidigungsminister und Armeechef Feldmarschall Abdel Fattah Al-Sisi, bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen antreten zu wollen, haben ein Ende. In einer TV-Ansprache am Mittwoch abend verkündete Al-Sisi offiziell seine Kandidatur für die Wahlen um das höchste Staatsamt. Zuvor hatte der 59jährige seinen Rücktritt vom Amt des Verteidigungsministers beim Obersten Militärrat (SCAF) eingereicht, der bereits im Januar grünes Licht für eine Kandidatur bei den Wahlen gegeben hatte. Wie gemeinhin erwartet wurde, ernannte der SCAF Generalstabschef Sedki Sobhi zu Al-Sisis Nachfolger im Amt des Verteidigungsministers. Interimspräsident Adli Mansour beförderte Sobhi zuvor wie allgemein üblich im Land zum Generaloberst. In seiner Rede im Staatsfernsehen betonte Al-Sisi, dies sei das letzte Mal, daß er in Militär­uniform auftrete. Angehörigen des Militärs sind politische Ämter per Gesetz verwehrt. Tatsächlich handelt es sich dabei jedoch um Symbolik, schließlich bleibt die Armee der mächtigste politische Akteur im Land, und Ägyptens Präsidenten kamen – mit Ausnahme des 2013 gestürzten Mohammed Mursi – seit 1952 stets aus den Reihen der Armee und fungierten als deren verlängerter Arm.

Al-Sisi verkündete in seiner Rede pathetisch, keine traditionelle Wahlkampagne starten zu wollen, sondern vielmehr eine »umfassende Vision für die aufstrebende Nation« vorzulegen. Gesundheitsversorgung und Bildung sollten allen Menschen im Land zugänglich gemacht werden. Auch den Mangel an Wohnraum wolle er bekämpfen. In diesem Sinne hatte Ägyptens Armee erst diese Woche ein umfangreiches Abkommen mit dem Baukonzern Arabtec aus den Vereinigten Arabischen Emiraten über den Bau von rund einer Million Wohnungen in den nächsten fünf Jahren abgeschlossen, ein in Al-Sisis Wahlkampagne integriertes Vorhaben, das ihm Unterstützung aus den ärmeren Bevölkerungsschichten sichern soll. Frühere Wohnungsbauprojekte dieser Art scheiterten wiederholt und wurden zum Einfallstor für Korruption und staatliche Mißwirtschaft.

Während Al-Sisi die Rekonstruktion des Staates ankündigte und das »Rad der Produktion« wieder ankurbeln will, erlebt das Land seit dem Wochenende erneut eine heftige Streikwelle. Rund 50000 Angestellte der staatlichen Post sind ebenso im Ausstand wie Textilarbeiter, Ärzte und Krankenhausangestellte. Erst am Dienstag waren mindestens fünf Streikführer der Post in Alexandria verhaftet worden. Die Armee und Al-Sisi hatten seit dem jüngsten Wiederaufflammen von Arbeitsausständen Streiks wiederholt verurteilt. Al-Sisi versprach jedoch im Kontext der anhaltenden Proteste und der politischen Polarisierung, Stabilität schaffen zu wollen. Nach dem Todesurteil gegen 529 angebliche Mitglieder der 2013 entmachteten Muslimbruderschaft in Minya Anfang der Woche kam es am Mittwoch an der Universität von Kairo zu heftigen Ausschreitungen von Anhängern der Bruderschaft, die sich stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Mindestens ein Demonstrant wurde getötet, acht wurden verletzt.

Noch im Januar war mit einem Wahltermin im April gerechnet worden, doch nach jüngeren Angaben von Mansour deutet vieles auf eine Verschiebung bis Ende Juni hin. Unterdessen hat der Prozeß gegen Mitglieder der Bruderschaft und Al-Sisis lang erwartete offizielle Ankündigung seiner Kandidatur die Debatte um das neue Wahlgesetz in den Hintergrund gedrängt. Anfang März hatte Mansour das Gesetz in seiner legislativen Funktion – es gibt derzeit kein gewähltes Parlament – offiziell verabschiedet. Das Regelwerk autorisiert die Entscheidungen der Obersten Wahlkommission, die für die Beaufsichtigung der Präsidentschaftswahlen zuständig ist. Damit können die von der Kommission verkündeten Wahlergebnisse vor keinem Gericht angefochten werden. Der aussichtsreichste Gegenkandidat Al-Sisis, der staatssozialistische Hamden Sabahi, übte scharfe Kritik daran und zweifelt an der Integrität und Fairneß der bevorstehenden Wahlen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. März 2013


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