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Große Versprechen auf wackeliger Basis

Wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen in Ägypten verbreiten General Sisi und Premier Mahleb Zuversicht

Von Martin Hoffmann, Tel Aviv *

Der bei den Präsidentschaftswahlen in Ägypten favorisierte Ex-Armeechef Sisi hat für den Fall seines Wahlsiegs eine grundlegende Besserung der politischen Situation innerhalb zweier Jahre versprochen.

Mit General Abdel Fatah al-Sisis erwarteter Wahl zum Präsidenten am 24. und 25. Mai steht Ägypten vor der endgültigen Machtkonsolidierung der Seilschaften des alten Regimes. Die ökonomische Situation des Landes bleibt indes weiterhin prekär – und der soziale Druck durch die Unterschichten wird auch die neue Regierung vor immense Herausforderungen stellen.

Ägyptens im Februar vereidigter Premierminister Ibrahim Mahleb wird im Kreise seiner Vertrauten gerne als Machertyp dargestellt. Der gelernte Ingenieur war im letzten Jahrzehnt von von Präsident Hosni Mubaraks Amtszeit Vorsitzender der größten Baufirma des Landes »Arab Contractors«, welche vor allem große Bauprojekte im Auftrag des Staates umsetzte. Zur gleichen Zeit als Mahleb den Vorsitz von Arab Contractors übernahm, wurde er auch in das

Exekutivkomitee der Nationaldemokratischen Partei berufen – jenem engen Zirkel einflussreicher Politiker und Geschäftsleute um Mubaraks Sohn Gamal, welcher in der Staatspartei für die Formulierung der wesentlichen politischen Strategien verantwortlich war.

In einer Fernsehrede schwor Mahleb die Bevölkerung auf »harte Zeiten« ein, welche bevorstünden. Die schwierige wirtschaftliche Lage, vor welcher seine Regierung steht, ist offenkundig:

Im Februar erfasste eine Streikwelle weite Teile des öffentlichen Dienstes in Ägypten. Ganze Berufszweige traten in den Ausstand: die Busfahrer in Kairo, die Straßenkehrer in Gizeh und die Textilarbeiter in Mahalla-al-Koubra, die alle für höhere Löhne demonstrierten. Der Forderung nach besseren Mindestlöhnen seitens niedrigrangiger Polizeibeamter kam die Regierung mit einer Lohnerhöhung von einem Drittel entgegen, um einen Ausstand zu verhindern. Gegen die Ärzte des staatlichen Ärzteverbandes, welche wegen der schlechten Bedingungen im staatlichen Gesundheitssystem ebenfalls in den Streik traten, leitete die Staatsanwaltschaft hingegen ein Verfahren ein.

In der Streikwelle liegt politischer Sprengstoff. Dessen sind sich die Kabinettsmitglieder, von denen die meisten dem Mubarak-Regime nahe standen, sehr wohl bewusst. Es waren die gewaltsame Niederschlagung von Massenstreiks in den Industriestädten im Nildelta im April 2008 und die darauffolgende Solidarisierung der städtischen Mittelschicht mit den Streikenden, welche den Anfang vom Ende von Mubaraks Herrschaft einleiteten.

Die neue Regierung steht somit vor dem selben Dilemma, vor dem auch ihre Vorgängerinnen standen: Der soziale Druck der knapp 90 Millionen Ägypter, von denen fast die Hälfte unter der Armutsgrenze lebt, wird nicht zurückgehen.

Doch die aktuelle Haushaltslage des Staates lässt großzügige Sozialprogramme kaum zu. Das gegenwärtige Haushaltsdefizit beträgt 14 Prozent. Zugleich stieg die Inflation auf elf Prozent, was weitere Teile der Bevölkerung an den Rand der Armutsgrenze rückt.

Nach den gewaltreichen Monaten seit dem Sturz des gewählten Präsidenten Mohammed Mursi und der Machtübernahme des Militärs fielen ausländische Investitionen unter das ohnehin niedrige Niveau von Mursis Amtszeit, das Wirtschaftswachstum bleibt niedrig. Die Einnahmen aus dem Tourismus sanken seit vergangenem Sommer um weitere 30 Prozent - ein neuer Tiefststand, und eine Tendenzumkehr ist nicht absehbar.

In dieser klammen ökonomischen Lage bewahren alleine die Milliardenzuschüsse der Golfstaaten Saudi-Arabien, Kuwait und Vereinigte Arabische Emirate den ägyptischen Staatshaushalt vor der Pleite. 15 Milliarden Dollar sind seit der Machtübernahme des Militärs vor zehn Monaten geflossen. Die entscheidende ökonomische Frage ist, inwieweit die gegenwärtige ägyptische Regierung versuchen wird, diese finanzielle Abhängigkeit von den Golfmonarchien zu brechen. Premier Mahlebs Einschwören seiner Landsleute auf die »schwierigen Zeiten, die bevorstehen«, deutet darauf hin, dass seine Regierung eine Reform des Staatsapparates und der staatlichen Subventionszahlungen auf die Agenda setzen möchte.

Laut Zahlen der ägyptischen Nichtregierungsorganisation Budget and Human Rights Observatory aus dem Jahr 2012 betragen die Ausgaben für Staatsapparat und Subventionszahlungen zusammen 77 Prozent des ägyptischen Haushalts. Der Staat subventioniert von Grundnahrungsmitteln wie Weizen und Speiseöl bis hin zu Elektrizität und Gas fast alles. Es wird kaum in Frage gestellt, dass eine Kürzung der Lebensmittelsubventionen die Unterschichten hart treffen wird.

Doch Studien haben auch herausgefunden, dass die Geringstverdiener nicht einmal den Hauptanteil der staatlichen Finanzierung einstreichen. Durch Subventionen auf Elektrizität und Treibstoff profitierten vor allem große Industriebetriebe – wie die quasi staatliche Baufirma Arab Contractors, deren Vorsitz der gegenwärtige Premier Ibrahim Mahleb zehn Jahre lang inne hatte.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. Mai 2014


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