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Der Euphorie der Revolte folgt die Apathie

Was vor drei Jahren auf Kairos Tahrirplatz begann, wird jetzt vom Militär vereinnahmt und umgedeutet

Von Oliver Eberhardt *

Unter massiven Sicherheitsvorkehrungen wird am heutigen Sonnabend in Ägypten der dritte Jahrestag der Revolution begangen. Dennoch kam es zu Bombenanschlägen und Ausschreitungen.

Unermüdlich betonen Sprecher von Militär und Übergangsregierung dieser Tage, dass Volk und Armee eine Einheit seien, dass die Revolution weiter lebe. Doch während auf dem Kairoer Tahrirplatz die Bühne aufgebaut wird, damit sich die neuen Machthaber am dritten Jahrestag der Revolution, die mit dem Rücktritt von Präsident Husni Mubarak am 11. Fe- bruar 2011 ihren Höhepunkt fand, feiern lassen können, ist vielen im Volke die Festtagsstimmung vergangen. Der Name dieses unansehnlichen Platzes im Zentrum Kairos ist zum Synonym für zivilen Protest geworden. Doch bei vielen derjenigen, die vor drei Jahren hier für mehr Freiheit demonstrierten, ist mittlerweile Ernüchterung eingetreten.

»Es herrscht Apathie«, sagt Malek Adli, Anwalt beim Ägyptischen Zentrum für Wirtschaftliche und Soziale Rechte. »All diese Rechte, für die wir gekämpft haben, sind fort; das Militär hat sie uns wieder weggenommen.« Was ein Sprecher der Übergangsregierung bestreitet: Einschränkungen von Versammlungs- und Redefreiheit seien notwendig, um ein »Abgleiten ins Chaos« zu verhindern. Er verweist auf den Bombenanschlag auf Kairos Polizeihauptquartier am Freitagmorgen, bei dem fünf Menschen starben, und auf die Demonstrationen von Unterstützern der mittlerweile zur terroristischen Vereinigung erklärten Muslimbruderschaft, die in gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften umschlugen und mindestens fünf weitere Menschen das Leben kosteten.

Doch die Apathie der Jugendlichen, die dem Tahrirplatz seinen besonderen Stellenwert gaben, hat andere Ursachen. Während sich das Augenmerk der Welt auf den Konflikt zwischen Übergangsregierung und Muslimbrüdern richtete, sind mehrere hundert, manche sprechen sogar von mehreren tausend Aktivisten, die noch im Juli für die Absetzung des Mubarak-Nachfolgers Mohammed Mursi demonstriert hatten, im Gefängnis verschwunden. Der Vorwurf, sagt Adli, laute meist auf Verstoß gegen die Anti-Protest-Gesetze oder militärkritische Kommentare im Internet. Die Gesetze seien nun mal von jedem einzuhalten, erklärt der Regierungssprecher dazu.

Wie immer, wenn man Vertreter von Regierung und Militär fragt, beruft auch er sich auf das Ergebnis des Referendums, wonach ein Großteil der Bevölkerung hinter dem aktuellen Prozess steht. Doch gibt es Anzeichen, dass nicht nur die Muslimbruderschaft, sondern auch viele junge Ägypter aus dem Umfeld der einstigen Protestbewegung der Abstimmung ferngeblieben sind. So sagt Nabil Salib, Leiter der Wahlkommission, die Wahlbeteiligung bei Ägyptern unter 25 sei in der Tat sehr niedrig gewesen. Das habe wohl daran gelegen, dass am Wahltag an den Universitäten Examen stattfanden. Doch die Kommentare im Netz, von denen es Zehntausende gibt, deuten überwiegend auf einen anderen Grund hin: »Wir wurden von Mubarak verfolgt, von Mursi mit Füßen getreten, von der Muslimbruderschaft zusammengeschlagen, und jetzt enteignet die Regierung unsere Bemühungen«, schreibt ein Nutzer bei Facebook.

Auch Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi scheint dies mittlerweile als Problem zu sehen. In der Kabinettssitzung kündigte er öffentlichkeitswirksam an, das Vorgehen gegen die Aktivisten zu beenden. Denn: Es wird allgemein davon ausgegangen, dass er den Jahrestag dazu nutzen wird, um seine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten zu verkünden.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 25. Januar 2014


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