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Kairos Junta droht

Ägyptens Militär könnte auf seiten der Putschisten in Libyen intervenieren

Von Knut Mellenthin *

In Libyen gehen die Kämpfe zwischen regierungsfeindlichen Militäreinheiten und lokalen Milizen weiter. Generalmajor Khalifa Haftar, der sich an die Spitze des Putsches gestellt hat, will offenbar noch vor der Neuwahl des Parlaments, die am 25. Juni stattfinden soll, eine Entscheidung erzwingen. Haftar, der rund zwanzig Jahre lang in Virginia gelebt hat und Staatsbürger der USA geworden ist, hat seit den 1980er Jahren enge Beziehungen zur CIA, für die er damals eine Oppositionsarmee zum Sturz von Muammar Al-Ghaddafi aufzubauen versuchte.

Haftar gibt als Ziel seines Putsches an, Libyen von den Muslimbrüdern und allen anderen Islamisten, die er pauschal als »Terroristen« bezeichnet, zu säubern und im ganzen Land »die Ordnung wiederherzustellen«. Er nennt dieses Vorhaben »Operation Karama«, mit einem arabischen Wort, das »Würde« bedeutet. Sein erklärtes Vorbild ist die ägyptische Militärjunta unter General Abdel Fattah Al-Sisi, die sich im Juli vorigen Jahres an die Macht putschte und seither in einer Reihe von Massenprozessen Hunderte angeblicher Mitglieder und Anhänger der Muslimbruderschaft zum Tode oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilen ließ. Am Sonntag lud Haftar in der ägyptischen Tageszeitung Al-Masri Al-Jum das Militär des Nachbarlandes ausdrücklich zu Angriffen und Vorstößen auf libysches Gebiet ein, »wenn das der Sicherung der Grenze dient«. Sisi hatte zuvor gewarnt, daß Libyen sich zu einer großen Gefahr für die Sicherheit Ägyptens entwickle, weil von dort Bewaffnete über die Grenze »einsickern« würden. Es hat den Anschein, daß Sisi und Haftar gemeinsam eine ägyptische Intervention herbeizureden versuchen.

In der ostlibyschen Stadt Bengasi, die eine Hochburg islamistischer und separatistischer Milizen ist, wo aber auch Haftar derzeit sein Hauptquartier hat, wurden am Montag mindestens sechs Menschen getötet. Kampfhubschrauber Haftar-treuer Truppen griffen Stellungen der Islamisten an, bei denen es sich angeblich um einen Stützpunkt von Ansar Al-Scharia handelte. Zuverlässig ist diese Angabe jedoch nicht, da die Putschisten ihre Gegner regelmäßig und automatisch mit dieser Organisation identifizieren, um in der US-amerikanischen Öffentlichkeit Punkte zu machen: Ansar Al-Scharia gilt als verantwortlich für den Angriff auf das amerikanische Konsulat in Bengasi, bei dem am 11. September 2012 vier US-Amerikaner, darunter Botschafter Chris Stevens, getötet wurden. Der Vorfall ist seit Monaten Gegenstand heiß diskutierter Untersuchungen in den USA, weil die oppositionellen Republikaner der Obama-Administration erstens eine Mitschuld am Ablauf der Ereignisse geben und sie zweitens beschuldigen, die Öffentlichkeit massiv belogen zu haben.

Bereits am Sonntag hatte ein Flugzeug der Putschisten ein Ziel in Bengasi angegriffen. Der Sprecher ­Haftars behauptete, es habe sich um einen ehemaligen Palast gehandelt, in dem Ansar Al-Scharia einen Stützpunkt besitze. Internationale Journalisten entdeckten jedoch keine Beschädigungen an diesem Gebäude, wohl aber in der benachbarten technischen Fakultät der Universität. Deren Dekan teilte mit, daß es erheblichen Sachschaden gegeben habe und zwei Menschen verletzt worden seien.

Die US-Regierung hat in der vorigen Woche ihre Staatsbürger vor Reisen nach Libyen gewarnt und ein Kriegsschiff mit rund 1000 Marines für eventuelle Evakuierungsmaßnahmen in die Region beordert. Noch vor dem Beginn es Putsches hatte das Pentagon mehrere hundert Marines auf dem NATO-Stützpunkt Sigonella in Sizilien stationiert.

Das State Department lehnt es – im Gegensatz zu den gleichzeitigen Vorgängen in Thailand – ausdrücklich ab, Haftars Vorgehen als Putsch zu bezeichnen. Zu Haftar habe es »in jüngster Zeit« keinen Kontakt gegeben. Auf Nachfragen von Journalisten wollten die beiden Sprecherinnen des Außenministeriums aber nicht präzisieren, wie lange die letzte Verbindung zu Haftar zurückliege.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 3. Juni 2014


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