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"Zur Zeit das letzte Mittel des Protests"

Hintergründe der Hungerstreikkampagne in Ägypten und die Rückkehr altbekannter Repression. Ein Gespräch mit Khaled Dawoud *


Khaled Dawoud ist ­Sprecher der links­liberalen Verfassungs­partei (Hizb Al-Dostour).


F: Warum hat sich die Verfassungspartei der Hungerstreikkampagne angeschlossen, die zur Zeit von säkularen wie religiösen Kräften inner- und außerhalb der Gefängnisse geführt wird?

Derzeit sitzen elf Mitglieder unserer Partei wegen Verstößen gegen das Protestgesetz hinter Gittern. Alle sollen auf dieser Grundlage belangt werden. Deshalb haben wir entschieden, uns der Kampagne anzuschließen, mit symbolischen Hungerstreiks Solidarität mit den Inhaftierten zu zeigen und so gegen das Gesetz zu protestieren. Insgesamt haben sich acht Parteien der Kampagne angeschlossen. Rund 150 Personen innerhalb und außerhalb der Gefängnisse befinden sich im Streik, davon 25 aus unserer Partei. Letztlich geht es uns aber nicht nur um unsere Mitglieder. Das Gesetz ist gefährlich, dem Innenministerium gibt es ein Instrument in die Hand, um willkürlich Menschen zu verhaften und unerwünschte Proteste zu verbieten.

Warum ist das Gesetz Ihrer Meinung nach zu restriktiv?

Wenn das Innenministerium eine Demonstration verbieten will, dann sollten die Verantwortlichen zu einem Richter gehen und diesem Beweise dafür vorlegen müssen, daß die Demonstration gegen andere Gesetze verstößt. Doch das Protestgesetz erlaubt es den Behörden in Ägypten, Demonstrationen aufgrund von Vermutungen zu verbieten und die Teilnehmer zu kriminalisieren. Wir haben 30000 bis 40000 politische Gefangene. Warum macht der Staat immer weiter und verhaftet immer mehr Menschen? Die Kapazitäten sind erschöpft, die Gefängnisse überfüllt. Ägypten bewegt sich zurück zu den alten Zeiten unter dem 2011 gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak, als nur kleinere Demonstrationen auf den Stufen des Journalistensyndikats in Kairo toleriert waren. Alle anderen Proteste wurden konsequent unterbunden. Viele Menschen sagten damals: Halt dich fern von Politik, sonst landest du im Knast. Und genau dorthin bewegen wir uns wieder. Die Menschen haben wieder Angst, ihre Meinung zu sagen.

Warum ein Hungerstreik als politische Protestform?

Seit das Demonstrationsgesetz im November 2013 verabschiedet wurde, sind viele Menschen auf Grundlage des Regelwerkes inhaftiert worden. Dabei haben sie nur ihr Recht in Anspruch genommen, friedlich zu demonstrieren. Seit Dezember fordern wir eine Revision des Gesetzes, da es dem Innenministerium erlaubt, Demonstrationen nach Gutdünken zu verbieten. Unser Ersuchen, auch auf offiziellem Wege, wurde immer wieder ignoriert. Noch während der Präsidentschaftswahl im Mai 2014 haben wir gehofft, der neu gewählte Staatspräsident würde die Inhaftierten freilassen, zumindest bis zu ihren Prozessen. Aber auch unter Präsident Abdel Fattah Al-Sisi wurden seit Juni 2014 immer wieder Menschen wegen Verstößen gegen das Gesetz festgenommenen. Die Menschen sind hilflos, ein Hungerstreik ist daher zur Zeit das letzte Mittel des Protests.

Was sind die Folgen des Gesetzes für den einzelnen?

Die Inhaftierten bleiben langfristig im Gefängnis. Sie warten darauf, daß sich ein Gericht ihrer Fälle annimmt – und das kann wegen Überlastung der Justiz lange dauern. Dabei sollten Untersuchungshaft und Sicherheitsverwahrung eigentlich nur im Falle schwerer Verbrechen legal sein. Die Untersuchungshaft wird in der Regel auf richterliche Anordnung verlängert, das Prozedere ist völlig willkürlich, und der Staat behandelt diese Menschen wie Schwerverbrecher. Dabei haben sie lediglich friedlich demonstriert.

Der Nationale Menschenrechtsrat kündigte eine Revision des Gesetzes an. Der Rat kündigte zwar an, Druck zu machen, aber solche Versprechungen haben wir schon oft gehört. Doch die Gremien, die Präsident Al-Sisi nach seiner Wahl als Beratungskomitees eingesetzt hat, beschäftigen sich nicht mit dem Protestgesetz. Diese Gremien sollen Al-Sisi beim Formulieren von Gesetzen helfen. Da wir kein gewähltes Parlament haben, hat Al-Sisi als Staatsoberhaupt neben exekutiven auch gesetzgeberische Kompetenzen, doch er und sein Komitee sagen, wir sollen warten bis das nächste Parlament seine Arbeit aufgenommen hat. Doch das kann dauern. Sie vertrösten uns – und alles was in unserer Macht liegt, ist, uns an die Öffentlichkeit zu wenden und zu hoffen, daß sich der Präsident dem öffentlichen Druck beugt.

Interview: Sofian Philip Naceur

* Aus: junge Welt, Dienstag 16. September 2014

Ägypten: Aktivisten aus Haft entlassen

Kairo. Ein Kairoer Gericht hat am Montag die Freilassung berühmter Demokratieaktivisten beschlossen. Anstatt eine 15jährige Haftstrafe absitzen zu müssen, wurden der Blogger Alaa Abdel Fattah sowie 24 weitere Aktivisten gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt, gab das Gericht bekannt. Den Aktivisten war vorgeworfen worden, bei einer Demonstration gegen Einschnitte ins Versammlungsrecht im November vergangenen Jahres zur Gewalt aufgerufen zu haben. Fattah war vor kurzem in einen Hungerstreik getreten.
(jW, 16.09.2014)




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