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In Oberägypten geht das Licht aus

Auch das hat mit der Präsidentenwahl im Land am Nil zu tun – große Erwartungen weckt sie aber nicht

Von Oliver Eberhardt, Assuan *

Ende Mai wird in Ägypten ein Präsident gewählt, doch Demokratie gibt es nicht mehr. Die Spannung ist groß, und am Sonntag verletzte auf einer Wahlkundgebung in Kairo eine Bombe vier Menschen.

In den Straßen herrscht ein ständiges Diskutieren und Debattieren. Aus Autolautsprechern dröhnt arabischer Pop. Am Himmel zieht die schon jetzt ziemlich heiße Sonne ihre Runde, und unter ihr wacht über alledem allerorten Abdel Fattah al-Sisi auf Plakaten an Hauswänden und an Laternenpfählen.

»Das ist unser Ali Blabla«, sagt ein junger Mann so um die 25 und wird sofort von einem älteren Herrn weitergezogen – weg von den Ausländern. »Ausländer können Ärger bedeuten«, sagt ein ägyptischer Kollege: »Wenn in Gegenden wie diesen Ausländer unterwegs sind, kann man damit rechnen, dass jemand von der Sicherheitspolizei nicht weit entfernt ist.« Die Sicherheitspolizei, ein erst im Herbst wieder belebtes Relikt aus der Zeit des Anfang 2011 abgesetzten Präsidenten Hosni Mubarak, ist dafür bekannt, dass sie Leute einfach auf Verdacht einsperrt.

Wir sind hier in Minya, jener Stadt, in der alles möglich ist. Hier empfahl ein Richter zuerst die Todesstrafe für mehr als 500 Angeklagte und legte einige Wochen später noch einmal mit mehr als 600 Empfehlungen für die Todesstrafe nach. Wie viele dieser Menschen am Ende tatsächlich hingerichtet werden, ist völlig offen: Die Richter empfehlen zunächst nur; der Großmufti bestätigt die Empfehlung oder lehnt sie ab. Dann müssen die Verurteilten den Weg durch die Instanzen beschreiten. Jedem einzelnen von ihnen steht so ein jahrelanger Kampf hinter Gittern oder Flucht bevor. Viele Menschen verstecken sich in diesen Tagen – auch indem sie ihren Namen nicht nennen wollen, wenn sie ihre Meinung sagen.

Im Stadtzentrum von Kairo heißt es, Sisi sei sehr beliebt. Deshalb werde er die Wahlen spielend gewinnen. Die Menschen in der Hauptstadt sprechen viel vom Kampf gegen den Terror, der auch Einschränkungen der Bürgerrechte notwendig mache.

Und das Herz des Terrors schlägt für sie hier in Minya. In den 80er und 90er Jahren war die 220 000 Einwohner zählende Stadt ein Zentrum militanter islamischer Gruppen, die Anschläge auf Ausländer verübten. Einige dieser Gruppen gingen in der Muslimbruderschaft auf. Selbst Vertreter des Innenministeriums in Kairo sagen, dass die Organisation lange Zeit einen mäßigenden Einfluss auf die Radikalen hatte.

Doch nach der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi gingen auch hier die Menschen auf die Straßen. Bei der Belagerung einer Polizeistation wurden zwei Polizisten getötet. Und immer wieder kam es zu Übergriffen auf koptische Christen, angeheizt durch radikale Prediger, die die Christen für den Sturz Mursis verantwortlich machten.

Heute zeigt der Staat massivste Präsenz an solchen Orten wie diesem. Die Sicherheitskräfte scheinen überall zu sein, 10 000 ihrer Angehörigen seien in Minya und den umliegenden Ortschaften stationiert, heißt es beim Innenministerium. »Wir werden entschieden gegen den Terror vorgehen«, sagt Innenminister Mohammed Ibrahim, hält inne und fügt hinzu: »Mit allen erforderlichen Mitteln. Diese Leute sind kaltblütige Mörder, die das Land destabilisieren wollen.«

Doch es ist ausgerechnet der Sicherheitschef der Provinz Minya, der differenziert. »Es reicht nicht aus, sich mit dem Sicherheitsaspekt zu befassen«, sagt Generalmajor Osama Metwally. »Die Provinz braucht Entwicklung, um den jungen Leuten Perspektiven zu geben und sie weniger anfällig für Organisationen wie die Muslimbruderschaft zu machen.«

Doch diese Perspektiven sind nirgendwo in Sicht: Der Verfall ist überall in Minya deutlich sichtbar. Die Industrie konzentrierte sich an leichter zugänglichen Orten. Denn auch in die Infrastruktur wurde jahrzehntelang so gut wie gar nichts investiert. Die Arbeitslosigkeit ist gigantisch. Menschenrechtsorganisationen sehen sie bei etwa 80 Prozent. Die Regierung spricht von 32,4 Prozent, wobei in deren Statistik nur die arbeitssuchenden Männer aufgenommen werden.

Auf dem nahen Nil schippert derweil ein Kreuzfahrtschiff den Fluss aufwärts. Es ist in diesen Tagen ein seltener Anblick. Früher herrschte auf dem Nil reger Verkehr. An die 150 Schiffe beförderten Tag für Tag Touristenmassen zu den altägyptischen Sehenswürdigkeiten bis nach Assuan hinauf.

Von allen ägyptischen Großstädten hat Assuan wohl am meisten verloren. Viele der 290 000 Einwohner lebten früher vom Tourismus. Doch die ausländischen Gäste bleiben weg, seit Ägypten im vergangenen Sommer wochenlang in den Schlagzeilen war.

Mohammad Saleh unternimmt nicht einmal den Versuch, die Lage schönzureden. »Ich müsste Sie anlügen«, sagt er. Saleh ist bei der Stadtverwaltung für das Wirtschaftsressort zuständig; ein »hoffnungsloser Job«, sagt er, während er an der Anlegestelle der Kreuzfahrtschiffe steht. An einer langen Promenade herrscht gähnende Leere. »Offiziell haben wir hier täglich 30 Schiffe. Ich habe hier schon seit Langem nicht mehr soviel gesehen. Und ganz ehrlich: Wer macht schon gerne Urlaub an einem Ort, an dem er ständig von Polizei umgeben ist und Internet und Strom regelmäßig ausfallen?«

Denn das ist aus seiner Sicht, mehr noch als die Sicherheitslage, das größte Problem. Obwohl der Assuan-Staudamm, Hauptlieferant des ägyptischen Stroms, nur wenige Kilometer entfernt ist, gehen in der Stadt immer wieder die Lichter aus. »Marode Leitungen sind das eine«, sagt Saleh. »Das andere ist aber, dass die Regierung die Bevölkerungszentren in Unterägypten bevorzugt.«

Ein Kritikpunkt, der nicht nur hier immer wieder geäußert wird: Ägyptens Kraftwerke laufen wegen Brennstoffmangels nur mit einem Bruchteil ihrer Kapazitäten. Der Assuan-Staudamm kann die Lücke nicht schließen. Deshalb wird der Strom bevorzugt nach Unterägypten geliefert, auch weil dort die großen exportierenden Unternehmen sitzen. »Wir brauchen den Export«, sagt Energieminister Mohammad Schaked. »Das gesamte Land befindet sich in einer schwierigen Lage, und wir brauchen die Einnahmen.«

Doch die Einnahmen verbleiben überwiegend in Kairo und Umgebung: Die Regierung fürchte sich wohl davor, in der Hauptstadt an Unterstützung zu verlieren, glaubt der Politologe Hosni al-Fargini. »Ein Großteil der potenziellen Wähler Sisis ist nun einmal hier angesiedelt.«

Stromaufwärts habe Abdel Fattah Sisi hingegen wenig zu gewinnen: »Das erste und letzte Mal, dass sich jemand wirklich um die Gegend hier oben gekümmert hat, war unter Mursi«, sagt Saleh. Er sagt von sich selbst, kein Unterstützer des abgesetzten Präsidenten zu sein: »Aber ich muss ihm und seinen Leuten zugestehen, dass sie sich wirklich für unsere Situation hier oben interessiert haben.«

Das ist einer der Hauptgründe dafür, warum ein Großteil der Bevölkerung in Regionen wie diesen der Übergangsregierung kritisch gegenübersteht. Doch im Angesicht der allgegenwärtigen Präsenz der Staatsmacht ist die Kritik weitgehend verstummt.

Aber nicht ganz. Immer mehr Betriebe schließen oder verlegen ihre Produktionsstätten nach Unterägypten. »Es tut mir im Herzen weh«, sagt Khaled al-Din von der örtlichen Unternehmervereinigung. »Aber es gibt hier viele Betriebe, in denen die Arbeiter Stunden am Tag nichts tun, weil es keinen Strom gibt. Dann werden wir auch noch mit ständig steigenden Transportkosten und zusätzlichen Steuern belastet. Vielen Unternehmen hier geht ganz einfach die Luft aus.«

So hofft Saleh darauf, dass sich wenigstens der Tourismus mit der Zeit wieder erholen wird: »Auch wenn man mal im Dunkeln sitzt – wer die alten Stätten sehen will, hat jetzt eine Chance: Man hat sie fast für sich allein.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 19. Mai 2014


Beweise gegen al-Dschasira für 150 000 Euro

Zwei Anwälte legten vor Gericht Mandat nieder **

Im Prozess gegen drei Mitarbeiter des Nachrichtensenders al-Dschasira haben am Donnerstag zwei der Anwälte vor Gericht ihre Mandate niedergelegt. Die beiden von al-Dschasira engagierten Verteidiger erklärten vor Gericht, der Sender kümmere sich nicht um den australischen Journalisten Peter Greste, den ägyptisch-kanadischen Produzenten Mohammad Fadel Fahmy sowie den ägyptischen Journalisten Baher Mohamed und wolle nur das Ansehen Ägyptens schädigen.

Die Staatsanwaltschaft habe eine Gebühr von umgerechnet 150 000 Euro für die Vorlage von fünf CDs gefordert, auf denen sich Beweise gegen die Angeklagten befinden sollen, wurde inzwischen bekannt. Ihnen wird vorgeworfen, Berichte gefälscht zu haben. Außerdem sollen sie der Muslimbruderschaft nahe stehen. Keiner dieser Vorwürfe wurde von den Strafverfolgern bislang untermauert, obwohl sich die Angeklagten bereits seit Ende Dezember in Haft befinden.

Der Richter lehnte den Einspruch der Verteidigung ab, die Anwälte hätten ihre Pflichten verletzt. »Die Staatsanwaltschaft hat ihnen auferlegt, so viel zu bezahlen, und sie haben gesagt, dass sie das nicht bezahlen werden«, heißt es in einem Bericht der New York Times.

Menschenrechtsorganisationen übten scharfe Kritik. »Die Regierung sollte sich mit den ernsten Problemen auseinandersetzen, die in diesen Berichten dargestellt wurden«, sagt Joe Stark von Human Rights Watch. »Stattdessen versucht sie, den Boten zum Schweigen zu bringen.«

Denn al-Dschasira ist für viele Ägypter, die der Übergangsregierung kritisch gegenüberstehen, eine wichtige Informationsquelle. Die einheimischen Medien wurden nach dem Sturz von Präsident Mohammad Mursi entweder geschlossen oder berichten weitgehend von der Position der neuen Regierung aus – die auch immer wieder versucht, die Arbeit al-Dschasiras zu diskreditieren. Das hat zumindest bei den Unterstützern des Umsturzes seine Wirkung nicht verfehlt. Personen, die unter den Verdacht geraten, für den Sender zu arbeiten, werden häufig bedroht.

Die beiden zurückgetretenen Verteidiger waren am Freitag nicht zu erreichen: Sie seien verreist, heißt es aus ihren Kanzleien. liv

** Aus: neues deutschland, Montag, 19. Mai 2014


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