Todesstrafe für Mursi
Kairo: Gericht verurteilt ägyptischen Expräsidenten und 105 weitere Angeklagte. Bestätigung durch Großmufti steht noch aus
Von Sofian Philip Naceur, Kairo *
Der Kairoer Strafgerichtshof hat am Samstag den ägyptischen Expräsidenten Mohammed Mursi und 105 weitere Angeklagte zum Tode durch den Strang verurteilt. Darunter sind auch der bereits mehrfach zum Tode verurteilte Anführer und Chef der Muslimbruderschaft, Mohammed Badie, sowie weitere führende Mitglieder der Organisation. Den Angeklagten wird vorgeworfen, während der ägyptischen Revolution 2011 aus dem Gefängnis in Wadi Natrun ausgebrochen zu sein. Damals waren landesweit Dutzende Haftanstalten von meist islamistischen Demonstranten gestürmt worden. Tausende Menschen kamen frei. Den Angeklagten wird versuchter Mord an Polizisten, das Anzünden von Regierungsgebäuden und Gefängnisausbruch zur Last gelegt. In früheren Verfahren hatte Ägyptens Justiz bereits Hunderte Anhänger der verbotenen und von der Regierung als Terrororganisation eingestuften islamistischen Muslimbruderschaft zum Tode verurteilt.
Bei dem Richterspruch vom Samstag handelt es sich um ein vorläufiges Verdikt, da Todesurteile in dem Land am Nil zwingend vom ägyptischen Großmufti, der höchsten religiösen Autorität im Land, bestätigt werden müssen. Dessen Empfehlungen sind juristisch zwar nicht bindend für die Gerichte, werden in der Regel aber befolgt. Zuletzt hatte Großmufti Schawki Ibrahim Allam stets nur einzelne Todesurteile genehmigt, viele dagegen in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Mit einer abschließenden Entscheidung im Wadi-Natrun-Fall wird Anfang Juni gerechnet. Sollte der Mufti das Todesurteil gegen Mursi bestätigen, wäre der Exstaatschef das erste ägyptische Staatsoberhaupt überhaupt, dem eine Todesstrafe droht. Mursi war 2013 gewaltsam abgesetzt worden und ist seitdem in Haft.
In einem weiteren Verfahren, in dem sich insgesamt 35 Beschuldigte wegen angeblicher Spionage für ausländische Mächte rechtfertigen müssen, sprach der Kairoer Strafgerichtshof vorläufige Todesstrafen gegen 16 Angeklagte aus. Unter ihnen befinden sich mehrere führende Mitglieder der Muslimbruderschaft wie Mohammed Beltagy und Khairat Al-Schater. Auch Mursi wird beschuldigt, Informationen an die palästinensische Hamas, historisch ein Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft, sowie die libanesische Hisbollah und Irans Revolutionsgarden weitergegeben zu haben. Das Golfemirat Katar, ein wichtiger Verbündeter der Muslimbrüder, soll die Angeklagten unterstützt haben. Die Richtersprüche müssen auch vom Großmufti abgesegnet werden, bevor sie rechtskräftig werden.
Mursi wurde bereits im April zu 20 Jahren Hochsicherheitsverwahrung verurteilt. In dem Prozess wurde ihm vorgeworfen, im Dezember 2012 zu Gewalt gegen eine Demonstration aufgerufen zu haben, die den Muslimbrüdern kritisch gegenüberstand. Damit soll er für den Tod von mindestens zehn Demonstranten verantwortlich sein.
Die in der britischen Hauptstadt London sitzende Exilführung der Muslimbruderschaft verurteilte in einer Stellungnahme die jüngste Entscheidung des Gerichts aufs schärfste und bezeichnete das Urteil als politisch motiviert. Ägyptens Justiz sei »korrupt«, das Todesurteil gegen Mursi und seine Mitangeklagten »absurd«. Das Verfahren wird in der Stellungnahme als »Parodie« bezeichnet. Es zeige, dass das herrschende Regime in Kairo »westliche Rechtswissenschaften und demokratische Regierungsformen« ablehne. Die Londoner Exilführung der Bruderschaft ist im Nahen Osten zunehmend isoliert und versucht daher, europäische Regierungen verstärkt dazu zu bringen, mäßigend auf das in Kairo regierende Militärregime einzuwirken. Andererseits droht die Bruderschaft weiter mit Protesten, sollte die politisch motivierte Kampagne der Justiz gegen die Führungskader der Organisation in Ägypten nicht eingestellt werden.
Auch internationale Menschenrechtsorganisationen kritisierten das jüngste Urteil gegen Mursi. Amnesty International bezeichnete das Urteil als »Farce« und forderte ein faires und transparentes Revisionsverfahren.
* Aus: junge Welt, Montag, 18. Mai 2015
Die Abrechnung der Generäle
Roland Etzel zum Todesurteil gegen Mursi in Ägypten
Mursi **
Der erste frei gewählte Präsident Ägyptens soll am Strang enden. Das am Sonnabend verkündete Todesurteil gegen Mursi markiert damit den vorläufigen Höhepunkt des Roll-Back in der Entwicklung des Landes. 3 Mubarak ging, das Militär blieb, hielt es aber für angebracht, sich loyal und volksverbunden zu geben und abzuwarten.
Die Generalität hatte allerdings niemals die Absicht, sich mit dem Ende ihrer politisch-ökonomischen Dominanz im Staate abzufinden. Und ihre Chance kam. Mursis politische Unerfahrenheit und daraus folgende Ungeschicklichkeiten brachten ihn als Exponenten des politischen Islam Ägyptens sehr bald in Konflikt mit säkularen Gruppen. Er lud das Militär auf diese Weise geradezu ein, sich mit einem Putsch als Retter vor Chaos aufzuspielen.
Das war im Juli 2013, und seitdem läuft die Abrechnung, präzise und unnachgiebig. Niemand in Ägypten soll jemals wieder auf den Gedanken kommen, die Allmacht der Generäle in Frage zu stellen. Zur Bekräftigung dessen produziert die ägyptische Justizmaschinerie Todesurteile am Fließband. Mit rechtsstaatlichen Prinzipien haben diese Prozesse wenig zu tun. Das sieht man durchaus in Europa und den USA. Aber deren äußerst milde Mahnungen werden in Kairo wohl eher als Zustimmung denn als Protest verstanden.
** Aus: neues deutschland, Montag, 18. Mai 2015 (Kommentar)
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