Presse unter Beschuß
Ägypten: Freie Journalisten fordern Schutz und Ermittlungen zu Morden an Kollegen
Von Ain El Hayat Zaher und Sofian Philip Naceur, Kairo *
Ägyptens Nachwuchsjournalisten proben den Aufstand. Am vergangenen Wochenende versammelten sich rund 100 Reporter und Fotografen vor dem Journalistensyndikat, der ägyptischen Organisation des Berufsstands mit Sitz im Stadtzentrum Kairos, und protestierten gegen anhaltende Gewalt und staatliche Repression. Auslöser der erneuten Proteste war der Tod der 23jährigen Reporterin Mayada Aschraf Ende März. Aschraf hatte über die Ausschreitungen zwischen mit der Muslimbruderschaft sympathisierenden Studenten und Sicherheitskräften an der Ain-Shams-Universität im Nordosten Kairos berichtet und wurde durch einen Kopfschuß getötet. Seit dem Sturz des islamistischen Staatspräsidenten Mohammed Mursi im Juli 2013 wurden in Ägypten damit insgesamt zwölf Reporter umgebracht.
Nach Angaben der Kairoer Staatsanwaltschaft wurden Anfang April vier Verdächtige verhaftet, die in Aschrafs Tod verwickelt sein sollen. Bei den Ain-Shams-Krawallen anwesende Kollegen Aschrafs beschuldigen jedoch Ägyptens Sicherheitskräfte, für den Tod der jungen Journalistin verantwortlich zu sein. Das Innenministerium bestreitet dies. Ägyptens Sicherheitskräfte haben seit der Revolution 2011 vermehrt Demonstranten gezielt in die Augen geschossen. Seit Mursis Sturz hat die Gewalt gegen Pressevertreter, die direkt von den Protesten berichten, deutlich zugenommen. Aschraf ist seither das dritte Opfer, das durch Kopfschüsse getötet wurde.
Nach der Kundgebung vor dem Haupteingang des Journalistensyndikats besetzten Dutzende überwiegend freie Journalisten das Foyer der staatlich kontrollierten Organisation und kündigten einen Warnstreik an. Sie forderten die Syndikatsleitung auf, Schritte zum Schutz von Berichterstattern einzuleiten. »Freie Reporter haben in der Regel keine festen Verträge, wir bekommen weder Kameras noch kugelsichere Westen gestellt, und die Zeitungen schicken meist die jüngsten und unerfahrensten Reporter zu Protesten«, so Hamada Al-Rasam, der als freier Journalist unter anderem für die Tageszeitung Al-Masry Al-Youm berichtet, gegenüber jW. »Die Polizei erlaubt uns zudem nicht, Gasmasken zu tragen als Schutz gegen das Tränengas. Sie konfiszieren unsere Ausrüstung, die wir von unseren Auftraggebern nicht ersetzt bekommen, und verhaften uns.« Wenn Zeitungen kein adäquates Equipment und Ausbildung bereitstellen könnten oder wollten, dann sollten sie auch keine Reporter zu den Protesten schicken, sondern schlicht auf die Berichterstattung verzichten, so Al-Rasam weiter.
Das größte Problem sei jedoch, daß freien Journalisten der Zugang zum Syndikat verwehrt wird, erläuterte Abeer Saady. Die ehemalige Vizepräsidentin der Organisation hat erst im Februar 2014 aus Protest gegen dessen zahnlose Reaktion auf die anhaltenden Übergriffe gegen Journalisten ihre Mitgliedschaft auf Eis gelegt. Sie betont, daß Reporter für den Beitritt und für eine offizielle Akkreditierung bei ägyptischen Behörden Arbeitsverträge vorlegen müssen, die die meisten schlicht nicht haben. »Journalisten sind die Stimme des Volkes. Der Staat muß sicherstellen, daß sie ihre Arbeit machen können, ohne fürchten zu müssen, verhaftet, angeklagt oder erschossen zu werden«, so Saady weiter. Sie sieht das Syndikat in der Pflicht, sich für freie Kollegen einzusetzen. Die Ankündigung von dessen Leitung, kugelsichere Westen bereitzustellen und Medienorgane anzuhalten, Lebensversicherungen für freie Reporter abzuschließen, sei ungenügend.
Die Hauptforderungen der Journalisten sind die Einleitung von Ermittlungen in allen Todesfällen sowie die Einführung einer adäquaten Regelung bei Arbeitsverträgen, Kompensation bei physischen oder materiellen Schäden und die Freilassung aller derzeit inhaftierten Pressevertreter, erklärte Bakr Al-Scharkawy, einer der Organisatoren des Protestes. Seit Mursis Sturz arbeiten Reporter am Nil in einer extrem angespannten Atmosphäre. Neben massiven Übergriffen gegen Medienvertreter seitens Sympathisanten der Muslimbrüder gehören Verhaftungen durch Sicherheitskräfte zum Alltag.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 9. April 2014
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