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Rafah vor Zerstörung

Ägyptisches Militär geht brutal gegen bewaffnete Gruppen auf Sinaihalbinsel vor. 1.220 Häuser sollen abgerissen werden

Von Karin Leukefeld *

Nach mehreren blutigen Attacken auf der Sinaihalbinsel holt die ägyptische Armee zum Schlag gegen dschihadistische Gruppen wie »Ansar Beit Al-Maqdis« und »Islamischer Staat in der Provinz Sinai« im Grenzgebiet zum Gazastreifen aus. In den Ortschaften Rafah und Scheich Zuweid kommt es fast täglich zu Razzien; systematisch werden Häuser gesprengt.

Rafah ist der offizielle Grenzübergang von Ägypten in den palästinensischen Gazastreifen. Südlich davon liegt das mehrheitlich von Beduinen bewohnte Scheich Zuweid sowie westlich Al-Arisch. Alle drei Städte sind vom legalen wie illegalen Handel mit dem Gazastreifen geprägt, der zumeist durch Tunnel erfolgt. Für Kairo haben die Orte darüber hinaus eine strategische Bedeutung. In unmittelbarer Nähe verläuft eine für die Versorgung des Landes wichtige Gaspipeline.

Anfang Januar hatte Ägypten begonnen, eine bereits bestehende Pufferzone entlang der Grenze zum Gazastreifen auszuweiten. Der Sperrbezirk war im Oktober 2014 nach einem Selbstmordangriff auf eine Armeestellung errichtet worden, bei dem 30 Soldaten ums Leben kamen.

Die ägyptische Armeeführung beschuldigt die in Gaza regierende Hamas, die illegalen Verbände auf dem Sinai zu unterstützen. Kämpfer würden aus dem Küstenstreifen durch die Tunnel auf den Sinai gelangen. Ende Januar 2015 stufte Kairo den militärischen Flügel der Hamas, die Kassam-Brigaden, als »terroristische Organisation« ein und verbot sie. Die Hamas gehört der Muslimbruderschaft an, die in der Arabischen Republik ebenfalls verboten ist. Vor der ägyptischen Vertretung in Gaza-Stadt wurde damals gegen die Entscheidung protestiert. Ein Sprecher der Hamas erklärte, die Waffen der Organisation »sind auf unseren zionistischen Feind gerichtet und werden kein arabisches Blut vergießen«.

Nachdem das Militär zusammen mit lokalen Stämmen offenbar Teile der Sinaihalbinsel wieder unter Kontrolle bringen konnte, wurden Ende Januar in der Umgebung von Rafah und Scheich Zuweid mehrere Armeeeinheiten zusammengezogen. Bei einem Beschuss von »Stellungen der Terroristen« sollen 57 mutmaßliche getötet worden sein. In den folgenden Tagen starben durch Luftangriffe erneut 15 Menschen.

In Rafah wurden Armeeangaben zufolge »Kommandozentralen der Kassam-Brigaden« zerstört, im Süden von Scheich Zuweid ein Kommunikationszentrum. Unter Verweis auf Militärquellen beschrieb am Wochenende die ägyptische Wochenzeitung Al-Ahram das Vorgehen der Streitkräfte gegen Rafah und Scheich Zuweid als »Strategiewechsel«. Die Armee reagiere nicht mehr, sondern agiere präventiv und greife an. Dabei sei es gelungen, die Infrastruktur der verschiedenen »Takfiri« genannten Gruppen zu zerstören. Als »Takfiri« werden Muslime bezeichnet, die mit einer extrem reaktionären Interpretation einen Alleinvertretungsanspruch für den Islam erheben. Anderen Strömungen – Sunniten und Schiiten –, aber auch Menschen mit anderer Religion wie den Jesiden sprechen sie das Existenzrecht ab.

Die Militäraktionen hätten dazu geführt, dass die Milizen sich nun unter der Führung von »Ansar Beit Al-Maqdis« neu zusammengeschlossen hätten. Anhaltende Luftangriffe habe sie schließlich »gezwungen, den Daesch um Hilfe zu bitten«, erklärte ein ägyptischer Offizier gegenüber Al-Ahram. »Daesch« ist die arabische Abkürzung für den »in Syrien und Irak operierenden »Islamischen Staat«.

Die Zivilbevölkerung in Rafah und Scheich Zuwaid werde durch die Angriffe der Armee ebenso gefährdeten wie durch »den Terror der Takfiris«, wie ein Einwohner von Scheich Zuweid zu Al-Ahram sagte. Die Bevölkerung habe »Angst, mit der Armee zu kooperieren, weil sie sonst von den Takfiris bestraft werde«. Viele Familien versuchten, die Gegend zu verlassen, oder sie schickten ihre Kinder fort, »weil sie befürchten, dass die Organisation sie als Kämpfer rekrutieren«.

Kritiker der ägyptischen Militäroperation warnen davor, dass »eine Stadt, die 3.300 Jahre alt ist, von der Landkarte verschwinden« könnte. Rafah habe »Invasoren aus Assyrien, Griechenland und Rom überlebt«, hieß es im Internetportal Global Research. Wenn mit den Zerstörungen fortgefahren werde, werde es Rafah Ende 2015 nicht mehr geben.

So sollen 1.220 Häuser gesprengt werden. Wer sein Haus nicht verlasse, werde mit Gewalt vertrieben. Der Gouverneur des nördlichen Sinai, Abdel Fattah Harhour, wird mit den Worten zitiert: »Die Einrichtung einer Pufferzone erfordert die komplette Beseitigung der Stadt.« Auch Human Rights Watch und Amnesty International warnten vor der Verwüstung von Rafah. Schätzungen zufolge sollen seit Oktober 2014 bereits mindestens 1.165 Familien aus dem Grenzort vertrieben worden sein. Derweil verwehrt Kairo Journalisten den Zugang nach Rafah und in dessen Umgebung.

* Aus: junge Welt, Montag, 16. Februar 2015


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