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Fanpost aus Ägypten

Miliz im Sinai erklärt Loyalität zum »Islamischen Staat«

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Die auf Ägyptens Sinai-Halbinsel operierende militante Islamistengruppe Ansar Bait Al-Maqdis (ABM) hat sich offenbar der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) angeschlossen, die inzwischen weite Teile Syriens und des Iraks kontrolliert. In einer am Montag im Internet veröffentlichten Audiobotschaft erklärte ein namentlich nicht genannter ABM-Sprecher die Loyalität seiner Organisation zu IS-Führer Abu Bakr Al-Bagdadi und rief die Bevölkerung Ägyptens zum Kampf gegen die Regierung in Kairo und die ägyptische Armee auf. In einer weiteren Stellungnahme verurteilt die ABM die anhaltenden Militäroperationen an der Grenze zu Israel und dem palästinensischen Gazastreifen und kündigt Vergeltung an. Ägyptens Regierung hatte im Nordsinai vor rund zwei Wochen eine Militäroffensive gegen militante Islamisten begonnen, nachdem sich ein Selbstmordattentäter an einem Militärcheckpoint in Scheikh Zuweid in die Luft gesprengt und mindestens 30 Soldaten getötet hatte.

In der Stellungnahme bekennt sich die Gruppe, die sich darin auch »Löwen des IS« nennt, zu dem Bombenanschlag auf den Armeeposten am 24. Oktober. Bisher hatte niemand die Verantwortung für das Attentat übernommen. Noch vor kurzem hatte es jedoch widersprüchliche Medienberichte über das Verhältnis der ABM zum IS gegeben. Bereits vor einer Woche tauchten Stellungnahmen auf, in der die Gruppe ihren Anschluss bekanntgab. Über ihren offiziellen Twitterkanal wies die Islamistengruppe das im Internet veröffentlichte Bekenntnis jedoch wenig später zurück. Ungewöhnlich ist auch die lange Zurückhaltung der ABM nach dem Attentat in Scheikh Zuweid. Zuvor hatte die Miliz sich stets innerhalb weniger Tage oder gar Stunden zu den von ihnen verübten Anschlägen bekannt.

Zuletzt hatten libanesische und saudische Zeitungen sowie die Nachrichtenagentur Reuters von informellen Kontakten zwischen dem IS und der ABM berichtet. Die jüngsten Äußerungen, die ABM zugeschrieben werden, sind jedoch Indiz dafür, dass die Gruppe in Ägypten nicht einheitlich auftritt und nicht zentral organisiert ist. Dennoch wäre ein Anschluss der ABM oder einer ihrer Zellen an den IS nicht überraschend, da die Organisation offensichtlich islamistische Gruppen anzieht, die bisher unter dem Dach des Terrornetzwerkes Al-Qaida operierten. Bereits im September erklärte eine Abspaltung der im Süden Algeriens aktiven salafistischen Terrorgruppe »Al-Qaida im Islamischen Maghreb« (AQIM) ihre Gefolgschaft zum IS. Die Gruppe nennt sich »Soldaten des algerischen Kalifats« und soll im Grenzgebiet zu Libyen operieren.

Kairo hatte noch im vergangenen Jahr Verbindungen von in Ägypten operierenden radikalen Islamisten zum IS dementierte. Statt dessen betonten Verantwortliche des Militärs immer wieder die Erfolge der Sicherheitsbehörden im Antiterrorkampf. Zuletzt verwiesen Regierung und Militär am Nil jedoch verstärkt auf die Gefahr, die von den islamistischen Milizen im Land ausgehe und warnten vor einem Anschluss dieser Gruppen an den IS. Kairo hat seine Strategie im Umgang mit den Radikalen im Sinai neu ausgerichtet und bittet inzwischen offen um internationale Unterstützung. Die US-Regierung kündigte die Lieferung von »Apache«-Kampfhubschraubern an, und auch in Deutschland hat die rhetorische Kehrtwende offenbar Wirkung gezeigt. Erst vor kurzem nahm die Bundesregierung Verhandlungen über ein Polizeiabkommen mit Ägypten wieder auf. Kairo lanciert die Debatte um die Terrorgefahr dabei sehr geschickt, um von der staatlichen Repression gegen die eigene Bevölkerung abzulenken und die Öffentlichkeit im Land auf Linie zu trimmen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. November 2014


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