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Tote nach Freispruch

Verfahren gegen Ägyptens Exdiktator Mubarak eingestellt. Proteste von Regimegegnern gewaltsam niedergeschlagen

Von Sofian Philip Naceur; Kairo *

Ägyptens Exdiktator Hosni Mubarak wird sich für den Tod von 846 Demonstranten während des Aufstands gegen sein Regime im Jahr 2011 nicht verantworten müssen. Die Anklage gegen Mubarak, seine zwei Söhne Alaa und Gamal, den ehemaligen Innenminister Habib Al-Adli und sechs weitere hochrangige Exfunktionäre aus Ägyptens Sicherheitsapparat wurde am Samstag in Kairo fallengelassen - offiziell aus »technischen Gründen«, wie der Vorsitzende Richter in Kairo mitteilte. Auch die Korruptionsanklagen gegen Mubarak, seine Söhne und den im spanischen Exil lebenden Multimilliardär Hussein Salem werden nicht weiter verfolgt. Der Fall habe sich verjährt, so der Richter. Der 86jährige Mubarak muss damit nur noch eine dreijährige Haftstrafe verbüßen, zu der er im Mai wegen des Diebstahls öffentlicher Gelder verurteilt worden war. Aus gesundheitlichen Gründen verbringt er die Haft jedoch nicht im Gefängnis, sondern in einem Krankenhaus des ihm wohlgesonnenen Militärs.

Das umstrittene Ende des Prozesses gegen die Schlüsselfiguren des alten Regimes sorgte für Unmut am Nil. Schon vor Beginn der Urteilsverkündung war es vor dem Gerichtsgebäude zu heftigen Wortgefechten zwischen Anhängern Mubaraks und Angehörigen der Opfer gekommen. Am Nachmittag versammelten sich Tausende Regimegegner aus dem linksliberalen Lager in der Nähe des vom Militär hermetisch abgeriegelten Tahrir-Platzes im Zentrum Kairos und forderten Gerechtigkeit. Mit rund 4.000 Menschen war es die größte regimekritische Demonstration seit dem Sturz des islamistischen Expräsidenten Mohammed Mursi 2013. Die Polizei löste die Proteste mit Tränengas und Wasserwerfern gewaltsam auf. Drei Demonstranten wurden getötet, mindestens 85 Menschen verhaftet. Die Sicherheitskräfte hatten Hinterhalte gelegt und griffen Menschen heraus, die nach Beginn der Räumung die Kundgebung verlassen wollten.

Auch in Alexandria kam es zu kleineren Protestzügen, die jedoch von Polizeikräften sofort aufgelöst wurden. Nach Angaben der linken Menschenrechtsanwältin Mahinur Al-Masri waren alle in der Hafenstadt verhafteten Demonstranten schon am Abend wieder frei. Zahlreiche linksliberale Bewegungen und Parteien riefen für Dienstag zu weiteren Demonstrationen auf. Erstmals seit langem wird wieder mit größeren Protesten des regimekritischen Lagers gerechnet. Das Innenministerium zog seine Truppen daher vorerst nicht ab.

Schon am Freitag war mit größeren Ausschreitungen gerechnet worden, allerdings aus dem islamistischen Lager. Doch die befürchteten Massenproteste ultrakonservativer Salafisten blieben aus. Trotz wochenlanger Appelle der radikalislamistischen Salafistischen Front, für die »islamische Identität« Ägyptens auf die Straße zu gehen, folgten am Freitag landesweit nur wenige Menschen dem Aufruf. In Kairo und anderen Städten des Landes kam es lediglich zu kleineren Protestzügen. Die Regierung hatte schon im Vorfeld signalisiert, mit Härte gegen nicht erlaubte Demonstration vorgehen zu wollen.

In Matarija und Ain Schams im Norden der Hauptstadt kam es am Freitag nachmittag zu den schwersten Krawallen, als Demonstranten und Sicherheitskräfte aufeinander losgingen. Mindestens drei Protestierende wurden getötet. Schon am Morgen waren in Alexandria, in Kairo und in der Provinz Kalubija Attentate auf Soldaten verübt worden. Drei Armeeangehörige wurden erschossen. Die ägyptische Terrorgruppe Ansar Bait Al-Makdis, die sich erst im November dem »Islamischen Staat« angeschlossen hatte, bekannte sich zu den Anschlägen. In Kairo und im Nildelta detonierten vier Bomben, es gab nur einige wenige Verletzte, Berichten zufolge aber keine Toten. Nach offiziellen Angaben wurden landesweit weitere zehn Sprengsätze entschärft, unter anderem in Alexandria und Fajum.

Die Regierung hatte die Bedrohung durch die Demonstrationsaufrufe der Salafisten offenbar gezielt genutzt, um Armee, Polizei und vermummte Spezialkräfte im Land auf die Straßen zu schicken. Kairo glich am Wochenende einer Hochsicherheitszone. Auf den Nilbrücken, vor Regierungsgebäuden und an traditionellen Versammlungsorten der Muslimbrüder waren Hundertschaften und Panzer stationiert. Der Tahrir-Platz war nach der Urteilsverkündung im Mubarak-Prozess abgesperrt worden. Die Regierung hatte offenbar mit einem Freispruch für die Angeklagten gerechnet und sich auf Proteste vorbereitet, um unangemeldete Demonstrationen im Keim ersticken zu können.

* Aus: junge Welt, Montag, 1. Dezember 2014


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