Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kairos Kampfzone Universität

In einem Klima der Repression verlagern sich politische Aktivitäten an die Hochschulen

Von Martin Hoffmann, Kairo *

Der Prozess gegen den gestürzten Präsidenten Mursi ist am Mittwoch verschoben worden. Mursi, so hieß es, könne wegen schlechten Wetters nicht mit dem Helikopter zum Gericht gebracht werden.

Den Ägyptern/-innen wird nächste Woche zum zweiten Mal in etwas mehr als einem Jahr ein Verfassungsentwurf zum Referendum vorgelegt. Derweil hat die Militärregierung unter Interimspräsident Adly Mansour und General Abdel Fattah al-Sisi im Vorfeld der Abstimmung die Daumenschrauben für ihre politischen Gegner noch einmal angezogen.

Einen Anschlag auf eine Polizeistation in Mansoura, bei dem 15 Menschen ums Leben kamen, nahm die Regierung zum Anlass die Muslimbruderschaft zur terroristischen Organisation zu erklären. Mit dem Verbot der Bruderschaft machen sich seitdem alle Demonstranten, die für die Organisation auf die Straße gehen strafbar und gehen das Risiko langer Haftstrafen ein.

Doch auch die liberale und linke Opposition ist mittlerweile ins Visier der Autoritäten geraten. So wurden unter anderem die Protagonisten der Bewegung 6. April, die während des Sturzes von Präsidentenvorgänger Hosni Mubarak eine treibende Kraft waren, zu dreijährigen Haftstrafen verurteilt. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen »das Organisieren eines unangemeldeten Protestes vor« und nimmt damit Bezug auf das erst im Oktober erlassene »Demonstrationsgesetz«. Demnach müssen Demonstrationen drei Tage im Voraus angemeldet und eine Genehmigung von den Behörden beantragt werden – welche selten ausgestellt wird.

In diesem Klima zunehmender Repression verlagert sich ein Teil der politischen Aktivität in die Universitäten. Die politischen Bruchlinien des Landes sind dort deutlicher wahrzunehmen als auf der Straße, wo das neue Protestgesetz und das gestiegene Risiko für Leib und Leben Opponenten der Militärregierung vom Demonstrieren fernhalten.

Am meisten Aufsehen erregte in den vergangenen Tagen die Studentenbewegung »Students against the coup« (SAC) – eine mit den Muslimbrüder affiliierten Studenten Ihre bisher größte Kampagne war der Versuch, die Jahresexamen Ende letzten Jahres zu boykottieren. Dabei blockierten sie an manchen Universitäten den Zugang zu den Gebäuden und hielten damit auch Studenten vom akademischen Ablauf ab, die nicht mit Mursi und den Muslimbrüdern sympathisieren. An der prestigeträchtigen, über 1000 Jahre alten Al-Azhar-Universität in Kairo forderte dieser Protest schließlich vier Todesopfer. Die Universitätsleitung rief die Sicherheitskräfte des Innenministeriums auf den Campus, um die Proteste niederzuschlagen. Erst kurz zuvor war ein Gesetz aus den letzten Mubarak-Monaten gekippt worden, welches den Einsatz der Sicherheitskräfte des Innenministeriums an Universitäten verbietet.

Die Ägyptische Studentenunion wiederum befürwortete den Einsatz der Sicherheitskräfte an den Universitäten. Noch zur Amtszeit Mursis gewählt, besteht die Mehrheit ihrer Mitglieder aus Studenten, welche nicht mit einer bestimmten politischen Partei affiliiert sind. Ihrem Vorsitzenden Mohammed Bagran wird allerdings in diesen Tagen vorgeworfen, nicht mehr repräsentativ für die Mehrheit der ägyptischen Studenten zu sein. In vorauseilender Loyalität für die herrschende Militärregierung startete er eine Unterstützungskampagne zum kommenden Verfassungsreferendum – sogar bevor der Entwurf ausformuliert war. Für seine Initiative bekam er Unterstützung von weit oben: Der ranghöchste Imam der Al-Azhar-Universität, Ahmad al-Tayyib stellte sich dahinter.

Doch ein beträchtlicher Teil der studentischen Bewegungen steht weder auf der Seite Mursis, noch der des Militärs. Dazu zählen die Studentengruppen Al Midan und jene der Revolutionären Front. Al Midan begann als studentischer Ableger der linksliberalen Dustur-Partei, welche von Nobelpreisträger Mohamed al-Baradei gegründet wurde, der mittlerweile außer Landes ist. Im Gegensatz zur Dustur-Partei trug die Studentengruppe jedoch die Unterstützung für das Militär im von Sisi ausgerufenen »Kampf gegen den Terrorismus« nicht mit.

Die Studentengruppen der »Revolutionären Front« sind ein Sammelbecken vorwiegend linker Formationen wie der Bewegung 6. April und den Revolutionären Sozialisten. Al Midan und die Studenten der Revolutionären Front machten in Erklärungen die SAC für die Eskalationswelle an den Universitäten verantwortlich, doch beide Gruppen verurteilten die Gewalt gegen die mit den Muslimbrüdern alliierten Studenten.

Sie fordern die Freilassung aller während der Proteste verhafteter Studenten, den Rücktritt den Innen- und des Verteidigungsministers und die Rückholung des Gesetzes, welches Sicherheitskräfte an Universitäten verbietet.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 9. Januar 2014


Zurück zur Ägypten-Seite

Zur Ägypten-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage