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Politisch motivierte Justiz am Nil

Ägypten: Harte Urteile gegen Aktivisten verhängt. Weitere Gesetzesverschärfungen angekündigt

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Der Strafgerichtshof in Kairo hat am Montag den bekannten Blogger und Aktivisten Alaa Abdel Fattah und seinen Mitangeklagten Ahmed Abdel Rahman zu je fünf Jahren Gefängnis sowie einer Geldstrafe von umgerechnet 11.500 Euro verurteilt. 18 weiteren Angeklagten wurden in dem seit September laufenden Revisionsverfahren die Zahlung der gleichen Summe sowie je drei Jahre Haft auferlegt. Die Richter bestätigten das Strafmaß für fünf weitere Beschuldigte.

Im Juni 2014 hatte ein Gericht in Kairo die 25 Angeklagten wegen angeblicher Verstöße gegen Ägyptens restriktives Protestgesetz zu 15 Jahren Haft verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, am 26. November 2013 eine nicht genehmigte Demonstration vor der Schura, dem Oberhaus des Parlaments, organisiert zu haben. Der Protest richtete sich gegen das neu eingeführte Regelwerk und die Ausweitung der Militärgerichtsbarkeit auf Zivilisten. Außerdem wurde ihnen zur Last gelegt, Sicherheitskräfte attackiert zu haben.

Das aufsehenerregende Verfahren gilt als politisch motiviert. Denn es war der erste Fall, in dem Demonstranten auf Grundlage des im November 2013 von Interimspräsident Adli Mansur per Dekret erlassenen Demonstrationsgesetzes verhaftet und angeklagt wurden.

Der ehemalige Kandidat bei der Präsidentschaftswahl 2012 und Strafverteidiger in dem Prozess, Khaled Ali, betonte, die Anklage habe keinerlei Beweise für die angebliche Attacke der Demonstranten auf Sicherheitskräfte vorgelegt. Ganz im Gegenteil: Ein während des Verfahrens gezeigtes Video zeige vielmehr gewaltsame Übergriffe von Polizisten. Außerdem habe es widersprüchliche Aussagen von Zeugen der Anklage gegeben, sagte Ali der ägyptischen Internetzeitung Mada Masr. Prozessbeobachter betonten immer wieder, die Beweisführung habe oft wenig bis gar keine Relevanz für die Anklagepunkte gehabt. Sie sei konstruiert gewesen.

Das nach wie vor gültige Gesetz erklärt regierungskritische Demonstrationen praktisch für illegal. Behörden können Kundgebungen mit Hilfe vager Kriterien untersagen. Proteste sind demnach nicht erlaubt, wenn sie die »allgemeine Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder die Produktion« verletzen bzw. behindern. Außerdem legalisiert das Regelwerk bei nicht erlaubten Versammlungen den Einsatz scharfer Munition durch die Polizei.

Neben zahlreichen unabhängigen nationalen und internationalen Organisationen hat auch der staatlich kontrollierte Nationale Menschenrechtsrat eine rasche Novellierung des Gesetzes eingefordert. Doch trotz mehrfacher entsprechender Ankündigungen der Regierung ist weiterhin die ursprüngliche Fassung in Kraft.

Das jüngste gegen Abdel Fattah und seine 24 Mitangeklagten verhängte Urteil ist nur eines von zahlreichen politisch motivierten gegen bekannte linksliberale Oppositionelle, die wegen angeblicher Verstöße gegen das Protestgesetz hinter Gittern sitzen. Die Revisionsverfahren haben unterschiedliche Folgen. Für Abel Fattahs Schwester, Sana Seif, und weitere 22 Angeklagte wurde das Strafmaß im Dezember von drei auf zwei Jahre Gefängnis reduziert. Dagegen verweigerte ein Kairoer Gericht den Berufungsantrag von drei prominenten Mitgliedern der »Jugendbewegung des 6. April«. Mohamed Adel, Ahmed Maher und Ahmed Douma waren im Dezember 2013 wegen Verstoßes gegen das Demonstrationsgesetz zu jeweils drei Jahren Haft verurteilt worden.

Derweil planen die Regierung und Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi derzeit eine Änderung der Strafprozessordnung. Ägyptens Exekutive will zwei Artikel aufweichen, die Richter dazu zwingen, sowohl Zeugen der Anklage als auch der Verteidigung anzuhören und deren Aussagen zu berücksichtigen. Nunmehr soll den Vorsitzenden die Möglichkeit eingeräumt werden, nach eigenem Ermessen Zeugen zuzulassen. Bei Kritikern hat das Vorhaben einen Aufschrei der Entrüstung ausgelöst.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. Februar 2015


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