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Referendum mit fragwürdiger Legitimität

Ägyptens Militär lobt sich für eine »Verfassung der modernen Zukunft« / Linke kritisiert Fehlen elementarer Rechte

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Die Stimmen werden noch gezählt, aber das Ergebnis ist schon da: 95 Prozent der Wähler haben für die neue Verfassung gestimmt, sagt Ägyptens Innenministerium.

Besonders viel hatten die Wahlhelfer in den vergangenen Tagen nicht zu tun. Kaffee und Tee trinkend harrte das Personal seiner Kundschaft; doch Warteschlangen gab es nur im Fernsehen: Kurz vor der Schließung der Wahllokale am Mittwochabend zeigten ägyptische Sender angebliche Live-Bilder von gerammelt vollen Wahllokalen.

Menschen sagten, mit Ja zu stimmen, sei ein revolutionärer Akt; zwischendrin erklärte ein Moderator: »Heute bauen sie die Zukunft für die gesamte Menschheit.« Doch tatsächlich herrschte zumindest in einigen der gezeigten Wahllokale ebenfalls gähnende Leere während der zweitägigen Abstimmung über Ägyptens neue Verfassung.

Gerade mal 38 Prozent Wahlbeteiligung haben Nachrichtenagenturen mit Hilfe der wenigen zuverlässigen Daten, die es gibt, hochrechnen lassen – mehr als die gerade mal 33 Prozent beim Verfassungsreferendum Ende 2012 und weniger als die 41,9 Prozent bei der Abstimmung nach der Absetzung von Präsident Husni Mubarak im Jahr 2011.

Eine Zahl, über die man im Innenministerium nichts sagen will. Ein Sprecher erklärt sie zur »Agitation ausländischer Mächte, die Ägypten destabilisieren wollen«. Lieber verweist er auf das Ergebnis, dass man hier bereits zu kennen glaubt, obwohl die Stimmenauszählung noch bis zum Wochenende dauern wird: Mehr als 90 Prozent aller Wähler hätten für die Verfassung gestimmt. Und Ahmed Ali, Sprecher des Militärs, dem durch die Verfassung Superkräfte verliehen werden sollen, feierte das Ergebnis sogar noch vor dem offiziellen Abstimmungsende am Mittwochabend als »haushohes Votum für die neue Ordnung« und erklärte dann: »Die Ägypter waren das erste freie Volk in der Geschichte der Menschheit, und nun haben sie die Welt einmal mehr überrascht, indem sie zusammen arbeiten, um eine moderne Zukunft aufzubauen.«

Doch tatsächlich wurde die Abstimmung nicht nur von den Anhängern der Muslimbruderschaft und des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi boykottiert. Auch viele linke Parteien und freie Gewerkschaften hatten dazu aufgerufen, der Wahl fernzubleiben. Die Muslimbrüder bestreiten die Legitimität der Abstimmung. Der gewählte Präsident sei Mohammed Mursi, und die gültige Verfassung die vom Dezember 2012. Bei Demonstrationen der Muslimbruderschaft kamen im Laufe der beiden Abstimmungstage mindestens 13 Menschen ums Leben; mindestens 460 wurden fest genommen.

Bei den Linken und den Gewerkschaften kritisiert man derweil einstimmig, der Entwurf für die neue Verfassung missachte elementare demokratische Rechte, wie beispielsweise das Recht zu streiken; die Rechte, die von der Verfassung garantiert werden sollen, wie die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, könnten von der Regierung nach eigenem Gutdünken einfach per Gesetz wieder eingeschränkt oder gar ganz abgeschafft werden. Ahmed Bahaa al-Din Schaaban, Vorsitzender der Sozialistischen Partei Ägyptens, sagt, schon das Referendum werde in einem »Klima der Angst« durchgeführt; wer mit Nein stimme, müsse mit Repressalien rechen.

Tatsächlich wurden an mehreren Orten Wähler festgenommen, die mit Nein gestimmt haben sollen, melden Wahlbeobachter. Der Geschäftsführer einer großen Kairoer Anwaltskanzlei berichtet von insgesamt 37 Fällen, die von seinem Unternehmen vertreten werden. Zugang zu den Betroffenen, wie ihn die neue Verfassung nach spätestens 24 Stunden vorschreiben soll, habe man übrigens nicht bekommen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 17. Januar 2014


Ein neues Grundgesetz

Große Zustimmung beim Verfassungsreferendum in Ägypten. Landesweite Auseinandersetzungen zwischen Muslimbrüdern und Armee

Von Sofian Philip Naceur, Kairo **


Ägyptens Bevölkerung hat über eine neue Verfassung abgestimmt. Zwar liegen die offiziellen Endergebnisse noch nicht vor, doch dürfte der Text mit einem Traum­ergebnis für die Militärführung und Ägyptens Interimsregierung angenommen worden sein. Schon die Resultate bei den im Ausland lebenden Ägyptern waren eindeutig. Die Zustimmung für die neue Verfassung lag bei niedriger Wahlbeteiligung bei über 95 Prozent. Erste Ergebnisse von Auszählungen und Umfragen nach dem Urnengang in Ägypten lassen auf ähnliche Werte schließen. Die staatliche ägyptische Tageszeitung Al-Ahram schreibt von Zustimmungsraten zwischen 91 und 99 Prozent.

Die Wahlbeteiligung lag nach offiziellen Angaben höher als beim letzten Verfassungsreferendum im Dezember 2012 und erreichte mit knapp 20 Prozent in Marsa Matrouh an der Mittelmeerküste ihren niedrigsten und 51 Prozent in Gharbiya im Nildelta ihren höchsten Wert. Die Regierung, die Militärführung unter Verteidigungsminister und Armeechef Abdel Fattah Al-Sisi sowie zahlreiche politische Parteien hatten vor der Wahl eine aggressive Kampagne für die neue Verfassung lanciert und im ganzen Land mit unzähligen Plakaten, Fernsehwerbespots und Radiosendungen Ägyptens Bevölkerung zur Teilnahme an dem Referendum und zur Zustimmung für die neue Verfassung aufgerufen. Aktionen, die für deren Ablehnung warben, wurden von Sicherheitskräften unterbunden. Schon im Vorfeld des Urnengangs wurden Mitglieder der Partei »Starkes Ägypten« und der Muslimbruderschaft verhaftet. Der Vorwurf: Sie hätten geplant, das Referendum mit Gewalt zu stören und Menschen daran zu hindern an der Wahl teilzunehmen. Währenddessen setzten sich Übergriffe gegen Journalisten fort. Ein Mitarbeiter des ägyptischen TV-Senders MBC soll nach Medienberichten mit der Begründung verhaftet worden sein, Plakate bei sich gehabt zu haben, die aufriefen, gegen die Verfassung abzustimmen. Auch ein Journalist des den Muslimbrüdern nahestehenden TV-Senders Al-Dschasira wurde verhaftet.

Während des am Mittwoch und Donnerstag landesweit durchgeführten Referendums kam es zu weniger Gewalt als von Beobachtern und vielen Ägyptern befürchtet worden war. Doch es gab während der Abstimmung im ganzen Land Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften und Anhängern der verbotenen Muslimbruderschaft, die im Dezember 2012 zur »terroristischen Vereinigung« erklärt worden war. Die Organisation hatte zum Boykott aufgerufen und angekündigt, »friedlich« gegen den Urnengang zu protestieren. Insgesamt wurden rund 450 Mitglieder der Bruderschaft verhaftet. Landesweit sollen bei den Zusammenstößen zwölf Menschen getötet worden sein. Unter anderem starben vier Demonstranten in Sohag in Oberägypten und drei in Nahya, einem Dorf westlich von Giseh, der drittgrößten Stadt Ägyptens. Dort war bereits am Dienstag versucht worden, Wahllokale zu stürmen, während es im Nachbarort Kerdasa am Mittwoch zu ähnlichen Zwischenfällen kam. Die Gegend gilt als Hochburg der Bruderschaft. Erst im September war Ägyptens Armee mit einem Großaufgebot nach Kerdasa einmarschiert und dabei gegen Mitglieder der Organisation vorgegangen.

Das Verfassungsreferendum wurde von einem Großaufgebot an Sicherheitskräften begleitet. Ägyptens Armee hatte vor zahlreichen Wahllokalen Stellung bezogen und traditionelle Versammlungsorte für Proteste der Muslimbruderschaft vorsorglich abgeriegelt. Erstmals seit Wochen waren wieder Militärhelikopter zur Beobachtung eingesetzt. Vor allem aus dem Großraum Kairo wurden mehrere Versuche von Demonstranten gemeldet, den Wahlprozeß zu stören. Gegner der Absetzung des damaligen Präsident en Mohammed Mursi im Juli 2013 durch die Armeeführung und der zur Abstimmung stehenden neuen Verfassung blockierten mehrere Hauptverkehrskreuzungen an der Al-Azhar-Universität in Nasr City im Osten Kairos und besetzten eine Metrostation in Helwan südlich der Hauptstadt. Nachdem bereits am Dienstag eine Bombe vor einem Wahllokal im Armenstadtteil Imbaba in Giseh explodiert war, meldeten ägyptische Behörden am Mittwoch zwei weitere Bombenfunde in Mahalla Al-Kubra im Norden Kairos und Bulak Al-Dakrour in Giseh. Opfer gab es keine.

** Aus: junge welt, Freitag, 17. Januar 2014


Ein Stück zurück zum Pharao

Roland Etzel über das Ergebnis des Referendums in Ägypten ***

Ägyptens Generäle sind ihrem Ziel, die alten Hierarchien wiederherzustellen, ein wesentliches Stück nähergekommen. Sie hatten ein Ja zur von ihnen präsentierten neuen Verfassung – von einem noch veränderbaren Entwurf war ehrlicherweise nie die Rede – zu einem Votum der Zustimmung für sich, die Militärjunta, erklärt; der Generalsklüngel als pharaonische Suprainstitution.

Die Militärs und ihre Regierung haben von Anfang an keinen Gedanken daran aufkommen lassen, sie stünden für eine freie Wahlentscheidung. Boykottaufrufer landeten im Gefängnis. Wieviele Wähler ihnen folgten, ist deshalb die eigentliche spannende Zahl. Erwartet wird, dass am Ende eine höhere Wahlbeteiligung als beim Referendum über die »Muslimbrüder-Verfassung« vor reichlich einem Jahr verkündet wird. Der Generalsrat gab am Donnerstag einen Vorgeschmack darauf, als er den »Massen von Wählern« dankte, die sich an der »heroischen Schlacht des Referendums« beteiligt hätten.

Dennoch gehen bange Blicke der Militärs ins Ausland. Die Finanzlage ihres Staates ist mit »dramatisch« noch zurückhaltend beschrieben. Sie benötigen viele Milliarden Dollar Kredit für Lebensmittelkäufe, und das sofort. Saudi-Arabien, die befreundete Bastion des Mittelalters in der Region, möchte das höchstens teilweise bezahlen. Also muss schon noch ein bisschen demokratische Fassade vorgehalten werden.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 17. Januar 2014 (Kommentar)


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