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Der konstruierte Terrorvorwurf

In Ägypten stehen in- und ausländische Journalisten wegen »Verbreitung falscher Nachrichten« vor Gericht

Von Oliver Eberhardt *

In Ägypten wird die Meinungsfreiheit immer mehr eingeschränkt: Nun stehen Journalisten des Nachrichtensenders Al-Dschasira vor Gericht; sie sollen eine Terrororganisation unterstützt haben.

Im Mittelpunkt stehen derzeit die Mitarbeiter eines Senders. »Aber das Signal ist für uns alle klar«, sagt ein ägyptischer Journalist. Seinen Namen und wo er arbeitet will er nicht in der Zeitung sehen: »Denn das, was den Kollegen von Al-Dschasira passiert, kann im Grunde jedem passieren. Viele haben deshalb Angst und berichten nur das, was ihnen von oben vorgegeben wird.«

Insgesamt 20 Angeklagte, neun davon sind Mitarbeiter des Nachrichtensenders mit Sitz in Katar, stehen seit Donnerstag in Kairo vor Gericht, darunter auch der kanadisch-ägyptische Bürochef Mohammed Fahmy, der australische Reporter Peter Greste und der ägyptische Produzent Baher Mohammed, die Ende Dezember in einem Hotel festgenommen worden waren und seitdem in den ägyptischen Medien »Marriott-Zelle« genannt werden. Denn ihnen wird vorgeworfen, den im Juli vergangenen Jahres abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi und seine Muslimbruderschaft unterstützt zu haben. Nach der Lesart der seitdem herrschenden Übergangsregierung haben sie damit eine Terrororganisation unterstützt. Außerdem wird ihnen vorgeworfen, falsche Nachrichten verbreitet und damit dem Ansehen Ägyptens geschadet zu haben. Im Falle eines Schuldspruchs drohen zwischen fünf und 15 Jahren Haft.

Der Prozess wurde am Donnerstag kurz nach seinem Beginn wieder vertagt: Man wolle den Anwälten bis zum 9. März Zeit geben, um sich in die Prozessakten einzuarbeiten. Denn die Verteidiger haben auch in diesem Prozess moniert, dass ihnen Akten verspätet und unvollständig vorgelegt worden seien – ein Kritikpunkt, der in diesen Tagen sehr häufig in Gerichtsverfahren mit politischen Auswirkungen angemerkt werden müsse, sagt ein Sprecher der ägyptischen Anwaltskammer.

Und solche Verfahren gibt es derzeit viele: Neben den Al-Dschasira-Leuten stehen derzeit auch viele Gewerkschafter und Angehörige der Bewegung »6. April« vor Gericht, deren Massendemonstrationen vor drei Jahren den Ausschlag für die Absetzung von Mursis Vorgänger Husni Mubarak gegeben hatten. Nun kritisiert diese Bewegung die Einschränkung der Bürgerrechte durch die Übergangsregierung und ist damit erneut zur Opposition geworden.

In der Anklageschrift gegen die Al- Dschasira-Mitarbeiter wird als Beispiel für falsche Nachrichten ein Bericht angeführt, in dem angemerkt wurde, dass die Verfassung ein »Fahrplan zur Diktatur« sei, weil die einzelnen Bürgerrechte von der Übergangsregierung per Dekret eingeschränkt werden können. Dies sei falsch und habe das Ansehen des Landes beschädigt. Nur: Der Vorwurf »Unterstützung von Terrorismus« basiert auf einem solchen Sondergesetz, in das die Übergangsregierung ausdrücklich die Medien einschloss und so im Nachhinein die bereits im Juli erfolgte Gleichschaltung der ägyptischen Medien legitimierte. Das »Verbreiten falscher Nachrichten« wiederum ist ein Paragraf aus dem Verleumdungsgesetz aus Mubaraks Zeiten, der gemeinsam mit dem Erlass des Terrorismusgesetzes wiederbelebt wurde.

In Ägyptens Medien werden die Angeklagten als Staatsfeinde porträtiert; ein Polizeivideo von der Festnahme der drei Hauptangeklagten wurde im Fernsehen, mit dramatischer Musik unterlegt, ausgestrahlt, was seine öffentliche Wirkung nicht verfehlte: Ausländische Journalisten werden zunehmend auf offener Straße beschimpft und beleidigt.

Die Entwicklung hat weltweit Proteste ausgelöst. Jen Psaki, Sprecherin des US-Außenministeriums, spricht von einer »ungeheuerlichen Missachtung grundlegender Rechte und Freiheiten«. Und Amnesty International nennt das Verfahren einen »schweren Rückschlag für die Pressefreiheit«. Doch Kritik gibt es mittlerweile auch in Ägypten. So erhob die nationale Journalistenvereinigung, die bislang recht unkritisch mit den Ereignissen nach dem Sturz Mursis umging, die Forderung nach Pressefreiheit.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 22. Februar 2014


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