Haben die Ägypter wirklich eine Wahl?
Neutralität hält die Übergangsregierung nicht für nötig / Ein politisches Programm hat Favorit Sisi nicht
Von Oliver Eberhardt, Kairo *
In Ägypten beginnen am Montag die zweitägigen Präsidentschaftswahlen: Ex-Generalstabschef Abdelfattah al-Sisi tritt gegen den Sozialisten Hamdin Sabahi an. Der Sieger steht so gut wie fest.
Nach außen hin ist alles wie früher. Wie bei der Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren hat sich auf dem Tahrir – jenem legendären Platz im Stadtzentrum von Kairo – wieder eine Menschenmenge um Hamdin Sabahi und seine Leute versammelt. Jugendliche rufen die Parolen der Revolution, die sich Anfang 2011 nur wenige Meter weiter abspielte und am Ende zum Sturz von Präsident Husni Mubarak führte. Nach der Rede spricht Sabahi einige Minuten über seine Plattform: Ihm gehe es um soziale Gerechtigkeit und Freiheit. Routiniert skizziert er einen Plan, wie der öffentliche Sektor effizienter gestaltet und von Korruption befreit werden solle. Die Besteuerung, die bei 20 Prozent für alle liegt, müsse hohe Einkommen stärker berücksichtigen und Niedriglöhne freistellen. Die hohe Arbeitslosigkeit von offiziell 13,4 Prozent – wobei mehr als zwei Drittel der Betroffenen jünger als 29 Jahre sind –, will er durch »Mikroprojekte«, eine Art Ich-AG, in den Griff bekommen.
Nur wenige Schritte weiter bietet sich ein völlig anderes Bild: Entweder sagen die Menschen, dass sie gar nicht wählen oder ihre Stimme Sabahis Rivalen Abdelfattah al-Sisi geben wollen. Beides hört man in diesen Tagen weitaus häufiger als das Bekenntnis zu Sabahi – obwohl linke Parteien zu seiner Wahl aufgerufen haben. Andere wiederum fordern einen Boykott, und dabei handelt es sich längst nicht mehr nur um Anhänger der Muslimbruderschaft, deren Präsident Mohammed Mursi im vergangenen Sommer vom Militär abgesetzt worden ist. Sie zweifeln vor allem die rechtliche Grundlage für die Wahl an. Schließlich gebe es bereits einen gewählten Präsidenten. Seine Absetzung sei verfassungswidrig gewesen, wobei es inzwischen ein neues Grundgesetz gibt, legitimiert durch ein Verfassungsreferendum. Doch auch das wird von den Kritikern als illegal zurückgewiesen. Damit werde nur versucht, der Wiedereinführung der Diktatur einen rechtsstaatlichen Anstrich zu geben.
»Die Übergangsregierung tut alles dafür, um einen Sieg Sisis sicherzustellen«, betont denn auch Kamal Khalil, Funktionär der Revolutionären Sozialisten. Sie habe dafür gesorgt, dass die Medien weitestgehend auf seiner Seite stehen, und lasse Oppositionelle zu Tausenden verhaften. Sisis Gegenkandidat findet in den Medien nur am Rande statt, während um den bisherigen Feldmarschall im Laufe der Monate ein regelrechter Personenkult entfaltet wurde, bei dem Inhalte keine Rolle spielen. Der ehemalige Generalstabschef hat bis heute kein politisches Programm und keinen Plan vorgelegt, wie er die vielfältigen wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes angehen will.
Wie groß sein Vorsprung vor Sabahi am Ende sein wird, lässt sich kaum seriös vorhersagen. Bei den Präsidentschaftswahlen 2012 war Sabahi mit 20,72 Prozent Dritter geworden. Der spätere Sieger Mursi hatte damals im ersten Wahlgang nur 24,78 Prozent der Stimmen erhalten. Doch dieses Mal ist die Atmosphäre eine andere. So hat sich nach den vielfältigen Einschränkungen der Bürgerrechte und den Massenfestnahmen der vergangenen Monate ein Klima der Angst breitgemacht. Zudem zeigte sich während des Verfassungsreferendums im Januar, dass von einer geheimen Wahl keine Rede sein konnte. Vielerorts war auch aus mehreren Metern Abstand sichtbar, wofür ein Wähler sich entschieden hatte. Dennoch erklärte die Übergangsregierung das aus ihrer Sicht »erfolgreiche« Referendum zum Vorbild für die Präsidentenwahl.
Schon jetzt ist deutlich, dass ein zu genauer Blick auf die Abläufe nicht erwünscht ist. Tagelang wurde die Ausrüstung einer Beobachtermission der Europäischen Union am Flughafen festgehalten. Vermutlich wurde damit verzögert, wenn nicht verhindert, dass sich internationale Teams rechtzeitig in entlegene Landesteile begeben können. Das offizielle Ergebnis der Wahl soll am Donnerstag bekannt gegeben werden.
* Aus: neues deutschland, Montag, 26. Mai 2014
Sisi schon vorn
Präsidentschaftsfavorit Abdel Fattah al-Sisi hat bei der Wahl der Auslandsägypter eine satte Mehrheit erzielt. In mehreren Ländern stimmten mehr als 90 Prozent der dort ansässigen ägyptischen Wähler für den Feldmarschall. Laut inoffiziellem Ergebnis, das die ägyptischen Medien bereits veröffentlichten, erhielt sein einziger Herausforderer, der Linkspolitiker Hamdin Sabahi, zwischen 2,3 und 24,2 Prozent. Bei der Abstimmung in Deutschland votierten 82,6 Prozent der Wähler für Sisi. für Sabahi nur 17,4 Prozent. Den Angaben zufolge hatten sich an der Wahl, die vier Tage andauerte, mehr als 300 000 Stimmberechtigte beteiligt.
In Ägypten beschwerte sich Sabahis Wahlkampfleitung derweil beim Innenministerium über Behinderungen und mangelnden Schutz während ihrer Veranstaltungen. »Al Ahram« meldete, insgesamt seien zwölf Sabahi-Anhänger verletzt worden. In der Provinz Al-Scharkija kam es demnach zu einem Angriff von Sisi-Anhängern, bei dem auch Messer zum Einsatz kamen. In Kairo seien sie einmal von Parteigängern der Muslimbruderschaft und einmal von der Polizei angegriffen worden. (nd, 26.05.2014)
Zurück mit Al-Sisi
Ägypten wählt neuen Präsidenten. Der Sieger steht schon fest
Von Sofian Philip Naceur, Kairo **
In ungewohnter Einheit präsentierte sich Ägyptens Linke Samstag bei der Abschlußkundgebung zum Wahlkampf des Präsidentschaftskandidaten Hamdin Sabahi im Stadtzentrum Kairos. Hochrangige Funktionäre von über 15 linken und liberalen Parteien saßen auf dem Podium neben Sabahi. Tausende Anhänger von dessen Partei der Würde, aber auch der Sozialdemokraten, der Verfassungspartei von Hala Schukrallah und der Sozialistischen Volksallianz jubelten ihrem Kandidaten für die am heutigen Montag beginnenden Präsidentschaftswahlen in Ägypten zu. Zwar gilt Sabahi als chancenlos, doch an der Basis haben viele noch immer Hoffnung, daß der intensiv geführte Wahlkampf am Ende doch Früchte tragen könnte. Rund drei Wochen lang war er im gesamten Land unterwegs, nahm Kontakt zu den Menschen auf und versuchte, vor allem Nichtwähler für seine Kampagne zu mobilisieren. Dennoch gilt der einzige Kontrahent im Rennen um das höchste Staatsamt, Abdel Fattah Al-Sisi, früherer Verteidigungsminister und federführend beim Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi durch die Armee im Juli 2013, als haushoher Favorit.
Dabei unterschied sich Al-Sisis Wahlkampf von Sabahis Kampagne extrem. Während letzterer wochenlang durch Ägypten reiste, blieb Al-Sisi auf der Straße faktisch unsichtbar. Mehrere Interviews im Fernsehen waren seine einzigen Wahlkampfauftritte. Auf Kundgebungen schickte er konsequent Mitglieder seines Teams vor und drückte sich vor direktem Kontakt mit Ägyptens Bevölkerung. Offizielle Begründung: Aufgrund der fragilen nationalen Sicherheit sei es zu gefährlich für Al-Sisi, öffentlich aufzutreten. Er gilt als scharfer Gegner der islamistischen Muslimbruderschaft Mohammed Mursis, dessen Entmachtung er massiv vorangetrieben hatte und positionierte sich vor der Abstimmung als der Kandidat, der Ägypten innenpolitisch stabilisieren kann. Sein Wahlprogramm beschränkt sich darauf, der Bruderschaft keinen Platz in der politischen Arena einzuräumen und sie endgültig zu entmachten. Ansonsten blieb er betont vage. Er verspricht, die Wirtschaftskrise zu überwinden, den Energiemangel am Nil und das innenpolitische Chaos zu beenden, doch konkrete Schritte zur Erreichung dieser Ziele nannte er nicht.
Dennoch wird Al-Sisi die Wahlen gewinnen. Im bereits abgeschlossenen Votum der im Ausland lebenden ägyptischen Wahlberechtigten stimmten rund 94 Prozent für ihn, Sabahi bekam lediglich 5,5 Prozent der Stimmen. Außerdem gehen zahlreiche Unterstützer Sabahis davon aus, daß die Abstimmung manipuliert wird. Zu unübersichtlich sei die Organisation von Wahlgang und Auszählung, sagte Talaat Fawzy, Generalsekretär der Volksallianz. Zwar räumte er ein, Al-Sisi würde auch ohne Fälschung eine Mehrheit bekommen. Doch seine Wahl zum Staatspräsidenten sei letztlich nicht mehr als der vorerst letzte Schritt der Konterrevolution in Ägypten, erklärte Fawzy. »Das alte Regime hat sich um Al-Sisi geschart und versucht, die Macht zurückzuerobern. Nicht alle seine Unterstützer sind antirevolutionär, aber alle antirevolutionären Kräfte stehen hinter Sisi«, so Fawzy weiter. Mit seiner Wahl wird die Armee ihren Einfluß bewahren. Die alte Ordnung werde damit restauriert und Ägyptens Revolution ausgebremst, zumindest vorerst.
Während sich einige politische Gruppierungen wie die Revolutionären Sozialisten nur zähneknirschend der Kampagne Sabahis angeschlossen haben, bezeichnen andere wie die kürzlich gerichtlich verbotene liberale Jugendbewegung des 6. April den Urnengang als »Farce« und boykottieren die Wahl. Auch das islamistische Lager ruft zum Abstimmungsverzicht auf. Lediglich die radikalislamistische Partei des Lichts wirbt für Al-Sisi. Sie hatte nach Mursis Sturz die Seiten gewechselt und gilt als verlängerter Arm Saudi-Arabiens, das Ägyptens Regierung seit Mursis Sturz finanziell unterstützt hatte. Die Muslimbruderschaft organisiert unterdessen landesweite Proteste rund um die Wahlen.
** Aus: junge Welt, Montag, 26. Mai 2014
Prozesse überrollen die politischen Gegner
Der Weg auf die Anklagebank kann kurz sein – nicht nur für oppositionelle Aktivisten ***
Während Ägypten wählt, gehen die Massenprozesse gegen politische Gegner und kritische Journalisten weiter. Tausende sitzen mittlerweile in Haft – ohne Hoffnung auf einen fairen Prozess.
In einem Kairoer Gerichtssaal führte die Staatsanwaltschaft dieser Tage Fotos und Videos vor, spielte Tonaufnahmen ab – angeblich Beweise dafür, dass die Angeklagten, Mitarbeiter des englischsprachigen Kanals des in Katar ansässigen Senders Al-Dschasira, Nachrichten erfunden und verbreitet hätten und zudem Unterstützer der in Ägypten verbotenen Muslimbruderschaft seien. Wegen dieser Vorwürfe sitzen die drei, darunter der australische Journalist Peter Greste, bereits seit Dezember in Haft. Ob der Sender, der für die Verteidigung aufkommt, auch die umgerechnet rund 150 000 Euro Gebühr dafür bezahlt hat, die von der Staatsanwaltschaft gefordert worden sind, ist unklar. Neben den Prozessen gegen die beiden abgesetzten Präsidenten Husni Mubarak und Mohammed Mursi ist dieser der in Ägypten zur Zeit am meisten beachtete – und liefert so einen kleinen Einblick in das, was zur Zeit Tausende im Lande durchmachen müssen.
Mindestens 9000 Menschen – Menschenrechtsorganisationen sprechen sogar von bis zu 20 000 – stehen zur Zeit vor Gericht, weil sie die Muslimbruderschaft oder eine andere verbotene Organisation unterstützt, Gewalttaten verübt oder an nicht genehmigten Demonstrationen und Streiks teilgenommen haben und so das »Ansehen des Landes beschädigt« haben sollen. Streiks waren bereits unter Mubarak verboten, in dessen Amtszeit drei Jahrzehnte lang der Ausnahmezustand galt. Gewerkschafter, die in den Ausstand treten, sehen sich zudem dem Vorwurf ausgesetzt, das Land destabilisieren zu wollen: »Die Lage ist sehr ernst, und wer streikt, trägt dazu bei, dass die Wirtschaft weiter geschwächt wird«, rechtfertigt Arbeitsminister Nahed Aschri ihre Inhaftierung.
Doch nicht nur sie und missliebige Journalisten sitzen in Haft, sondern auch Tausende Anhänger der Muslimbruderschaft, zu denen inzwischen immer mehr linke und liberale Oppositionelle hinzu gekommen sind. Der Vorwurf meist: Sie hätten demonstriert, ohne um Erlaubnis zu fragen. Übergangspräsident Adli Mansur hatte im Herbst per Dekret verfügt, dass Demonstrationen einer Genehmigung bedürfen. Die Behörden lehnten daraufhin massenhaft Oppositionsproteste ab. Wenig später wurden dann auch Organisationen wie die Bewegung 6. April verboten, deren Formierung in sozialen Netzwerken Anfang 2011 zur Absetzung Mubaraks beigetragen hatte.
Wer einmal im Gefängnis gelandet oder angeklagt worden ist, kann nicht auf einen Prozess nach international anerkannten Maßstäben hoffen. Während sich Anklage und Gericht im Al-Dschasira-Verfahren bemühen, die ägyptische Prozessordnung einzuhalten, geschieht das in vielen anderen Fällen außerhalb der Metropolen nicht. So empfehlen Richter nach kurzen Prozessen ohne Beweisaufnahme und Zeugenvernehmung Todesurteile oder verhängen lange Haftstrafen. Oft werden die gesetzlich vorgegeben Höchststrafen ausgeschöpft.
Im Prozess gegen Mursi passiert dagegen seit Monaten fast gar nichts; stets werden Verhandlungen auf Antrag der Staatsanwaltschaft vertagt. Offen sagen Mitarbeiter des Justizministeriums, dass man die zwei Jahre, die ein Angeklagter nach der Anklageerhebung ohne Urteil in Haft gehalten werden kann, ausreizen wolle.
Oliver Eberhardt
*** Aus: neues deutschland, Montag, 26. Mai 2014
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