Militärstaat bestätigt
Ägyptens Armeemachthaber Abdel Fattah Al-Sisi gewinnt Präsidentschaftswahl. Beteiligung trotz Strafandrohung und Ausweitung der Abstimmung gering
Von Sofian Philip Naceur, Kairo *
Ägypten hat einen neuen Staatspräsidenten gewählt. Zwar wird das offizielle Ergebnis erst in einigen Tagen erwartet, doch stand der Wahlsieger faktisch im Vorfeld fest. Abdel Fattah Al-Sisi, Ex-Verteidigungsminister und federführend bei der Absetzung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi im Juli 2013, hat die Abstimmung nach Angaben des Staatsfernsehens vom Donnerstag mit 96,2 Prozent der Stimmen für sich entschieden. Sein einziger Gegenkandidat, der Linkspolitiker Hamdin Sabahi, war chancenlos.
Die Leitung von Sabahis Wahlkampagne berichtete schon am Montag von zahlreichen Verstößen gegen das Wahlgesetz. Armee und Polizei, die mit einem massiven Aufgebot den Urnengang absichern sollten, hätten in mehreren Wahllokalen Vertretern der Sabahi-Kampagne und seinen Anhängern, die abstimmen wollten, den Zutritt verwehrt. In einigen Wahllokalen seien Mitglieder des Wahlkampfteams gar verhaftet worden. Am Mittwoch zog Sabahis Kampagnenleitung daher alle eigenen Beobachter aus den Wahllokalen ab.
Die Wahl verlief derweil auffallend ruhig. Die islamistischen Muslimbrüder hatten vor der Abstimmung zwar zu Demonstrationen gegen den in ihren Augen illegitimen Urnengang aufgerufen, doch die Proteste blieben überschaubar und friedlich. Zwischenfälle gab es dennoch: Am Montag, dem ersten Tag der Abstimmung, explodierte in der südlich von Kairo gelegenen Oasenstadt Fayoum, einer Hochburg der Bruderschaft, eine Bombe vor einem Wahllokal. Verletze gab es keine. Auch bei einem Bombenanschlag am Dienstag in Heliopolis im Osten Kairos, wurde niemand verletzt.
Rund 54 Millionen Wahlberechtigte waren an die Urnen gerufen, doch blieb die Wahlbeteiligung gering. Die Interimsregierung hatte vor Beginn der Abstimmung ebenso wie Ägyptens Staatsrundfunk und das Gros der Privatpresse sowie Al-Sisis und Sabahis Unterstützer massiv für eine hohe Wahlbeteiligung geworben, doch zahlreiche Wähler blieben aus Frust über die unabwendbare Installation eines schon feststehenden Wahlsiegers lieber zu Hause. Für viele andere war die Wahl Al-Sisis vor allem ein Ruf nach politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Ob der Machthaber als Vertreter der alten, vom Militär dominierten politischen Ordnung dafür jedoch sorgen kann, ist unwahrscheinlich. Den wirtschaftlichen, sozialen, politischen und demographischen Herausforderungen, vor denen das Land am Nil steht, begegnet Al-Sisi mit Marktliberalisierung, starkem politischen Führerkult und Militarismus.
Auch darum ließ Ägyptens Regime nichts unversucht, die Wahlberechtigten zur Stimmabgabe zu bewegen, ist die Wahlbeteiligung doch am Ende der wichtigste Gradmesser für die Legitimität des neuen Präsidenten. Das Wahlkomitee verlängerte daher am Dienstag die Öffnungszeiten für Wahllokale und weitete schließlich den Urnengang um einen dritten Tag aus. Die Regierung ging sogar so weit, mit Verweis auf das Wahlgesetz eine Strafe in Höhe von umgerechnet 50 Euro für jede Person anzukündigen, die nicht wählen ging. Ersten Angaben zufolge lag die Wahlbeteiligung bei 30 bis 44 Prozent. Bei den Präsidentschaftswahlen 2012 hatten in der ersten Runde noch 46 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt, bei der Stichwahl, die Mursi damals knapp gewann, waren es 51 Prozent.
Sabahis Kandidatur hatte immerhin Teile der linksliberalen Opposition vereint, doch die machte sich keine Illusionen über den Wahlausgang. Es sei wichtig, öffentlich zu zeigen, daß mit Sabahi eine von zahlreichen politischen Kräften unterstützte Alternative zu armeenahen Kandidaten bereitstehe, betonte der Sprecher der linksliberalen Verfassungspartei, Khaled Daoud. Das gelte auch, wenn die Wahl ein im Vorfeld entschiedenes Rennen gewesen sei.
Die gerichtlich verbotene Jugendbewegung des 6. April rief derweil weiterhin zum Boykott auf, die Wahl verstoße gegen Artikel 97 der im Januar verabschiedeten neuen Verfassung, der die Immunisierung administrativer Entscheidungen verbietet. Interimspräsident Adli Mansur hatte Entscheidungen des Wahlkomitees für immun erklärt.
* Aus: junge Welt, Freitag 30. Mai 2014
Wahldrückeberger schmälern Sisis Sieg
Votum der Ägypter für den neuen Präsidenten wurde nicht zur erhofften starken Legitimierung seiner Macht
Von Oliver Eberhardt **
Abdelfattah al-Sisi wird wie erwartet Ägyptens Präsident. Doch der überwältigende Ansturm auf die Wahllokale, den sich der neue starke Mann erhofft hatte, blieb aus.
Ägypten hat die Wahl. Und viele Ägypter entscheiden sich dafür, gar nicht zu wählen: In Kairo, in Alexandria, Assuan und erst recht auf dem flachen Land dazwischen melden Beobachter am Montag, am Dienstag menschenleere Wahllokale, während draußen die unzähligen, allgegenwärtigen Plakate mit dem Konterfei von Abdelfattah al-Sisi darüber wachen, wie die Menschen ihrem Alltag nachgehen, und im Fernsehen Bilder von jubelnden Anhängern Sisis in übervollen Wahllokalen laufen, unterbrochen von Moderatoren, die über Nichtwähler schimpfen.
In der Übergangsregierung hatte man sich einen »überwältigenden« Wahlsieg mit einer hohen Beteiligung erhofft, beides sogar immer wieder öffentlich gefordert. Doch am Donnerstag präsentiert sich ein völlig anderes Bild: Ja, Sisi dürfte die Wahl haushoch gewonnen haben; mehr als 90 Prozent aller abgegeben Stimmen werden ihm zugeschrieben; auf den einzigen Gegenkandidaten, den Sozialisten Hamdeen Sabahi, sollen um die 3 Prozent entfallen. Doch gleichzeitig hat der starke Mann Ägyptens Schwäche gezeigt.
Die Wahlbeteiligung wird von der Wahlkommission mit 46 Prozent angegeben; internationale Beobachter halten hingegen eine Zahl von ungefähr 35 Prozent für wahrscheinlicher. Der Unterschied: Bei der offiziellen Zahl hätte Sisi mehr Stimmen erhalten als Mohammed Mursi bei der Wahl zuvor; bei den inoffiziellen Schätzungen läge er trotz seiner 90+ Prozent unter Mursis Ergebnis.
So oder so: Beide Zahlen kamen nur mit recht viel Nachhilfe zustande. Nachdem klar wurde, dass am ersten der beiden Wahltage nur um die 15 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt hatten, wurde zunächst kurzerhand der zweite Tag zum Feiertag erklärt. Als auch das nicht half, drohte die Wahlkommission damit, Nichtwähler müssten ein Bußgeld in Höhe von umgerechnet rund 50 Euro zahlen. Und als auch das seine Wirkung verfehlte und die Wahlbeteiligung am Dienstagabend trotzdem nur bei 30 Prozent lag, verlängerte man die Abstimmung einfach um einen weiteren Tag.
Die Entscheidung sei »Teil einer Reihe von ungewöhnlichen Schritten gewesen, die die Glaubwürdigkeit des Wahlprozesses ernsthaft untergraben haben«, heißt es in einer Stellungnahme der Beobachtermission von Democracy International. »Es stellen sich Fragen nach der Unabhängigkeit der Wahlkommission, der Unparteilichkeit der Regierung und der Integrität des Wahlprozesses.« Eine Hitzewelle habe die Menschen davon abgehalten, zur Wahl zu gehen, begründete hingegen ein Sprecher der Wahlkommission den zusätzlichen Wahltag. Und Vertreter der Übergangsregierung machten in den Medien Mangel an Taxis für die niedrige Wahlbeteiligung verantwortlich – die Muslimbruderschaft habe den öffentlichen Nahverkehr lahmgelegt, um die Wahl zu boykottieren.
Doch längst nicht nur Unterstützer der Muslimbruderschaft boykottierten die Wahl. Auch viele junge Ägypter unter 30 gingen nicht hin. »Ich habe ganz einfach das Gefühl, dass meine Stimme nicht zählt, ganz gleich, wen ich wähle«, sagt der 25-jährige Student Ahmed, der am Dienstag den unerwarteten freien Tag zum Einkaufen nutzt – eine Aussage die immer wieder zu hören ist. Und auch dies: Man habe das Gefühl, dass Ägypten wieder zum Polizeistaat werde – wogegen Hunderttausende zunächst Anfang 2011 und dann wieder im vergangenen Sommer auf die Straße gegangen sind.
Mit der Wahl hatte Sisi unterstreichen wollen, dass er die Unterstützung der Bevölkerung für seinen Kurs hat – eine Legitimation, die er vor allem international dringend braucht, denn im Westen wird die Verhaftungswelle gegen Oppositionelle, werden die Massentodesurteile nach kurzen Prozessen ausgesprochen kritisch gesehen. Zwar haben die USA die militärische Zusammenarbeit zum Teil wieder aufgenommen. Doch gleichzeitig wurde sowohl dort als auch in Europa klargestellt, dass es ohne Rückkehr zur Demokratie mehr nicht werden wird.
** Aus: neues deutschland, Freitag 30. Mai 2014
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