Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea

Die Folgen einer Sezession

Von Mirko Ogris

Zwei der größten Hungerleider der Welt betreiben das kostspieligste aller menschlichen Unternehmen, nämlich Krieg. Äthiopien und Eritrea, bis 1993 in einem - dem äthiopischen - Staat vereint, fühlen sich an ihre gegenseitige Verpflichtung, gutnachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen, schon seit geraumer Zeit nicht mehr gebunden. Die äthiopische Großoffensive bedroht Eritrea in seiner staatlichen Existenz, für die Menschen ist sie auf beiden Seiten der umstrittenen Grenze entlang des Mereb-Flusses existenzbedrohend. Es zeigt sich einmal mehr, daß die staatliche Sezession immense Kriegsrisiken in sich birgt, auch dann, wenn die Lostrennung nicht auf dem Schlachtfeld erfochten wird. Äthiopien hat seinen ehemals nördlichen Landesteil letztlich freiwillig abgetreten.

Dies geschah, nachdem in Addis Abeba die progressive Entwicklungsdiktatur unter Mengistu Haile Mariam, die ihr sozialistisches Hinterland verloren hatte, von prowestlichen Kräften gestürzt worden war. Die Großzügigkeit, mit der die neuen Machthaber die territoriale Integrität des Landes der neuen Weltordnung zum Opfer brachten, erinnert an die abenteuerliche Auflösung der Sowjetunion. Ende 1991 wurden Sowjetrepubliken in die Unabhängigkeit entlassen, die dies zum Teil gar nicht wollten. Das neue Rußland sollte nicht als das Kernland einer Union von Republiken und auch nicht als Imperium in den Grenzen der Sowjetunion in die »Zivilisation« zurückkehren, sondern als demütiger Novize der kapitalistischen Marktwirtschaft. Die Wertegemeinschaft bedankte sich, beorderte Rußland in die Zweitrangigkeit, brachte große Teile der ehemaligen UdSSR unter ihr Einflußgebiet und ließ die NATO nach Osten expandieren. Der von Jelzin beförderte Sezessionismus der Republiken fand im multinationalen Rußland seine Nachahmer.

Auch Äthiopien erhielt die Quittung für seine Gehorsamkeit gegenüber der Fördergemeinschaft neuer Staaten. Es wurde von Eritrea vom Meer abgeschnitten - beide Häfen am Roten Meer sind in eritreischer Hand. So gewann Eritrea die Oberhand über den um ein Vielfaches größeren Nachbarn. Die Regierung in Eritrea schirmte den inländischen Markt von äthiopischen Waren ab, während eritreische Waren ungehindert nach Süden flossen.

Das wollte man sich in Addis Abeba wohl auf die Dauer nicht mehr gefallen lassen. Unter Einsatz aller militärischen Kräfte soll nun zurückgewonnen werden, worauf man in selbstmörderischer Leichtfertigkeit verzichtet hatte.
Aus: junge welt, 19.05.2000

Zurück zur Äthiopien-Seite

Zurück zur Seite "Regionen"

Zurück zur Homepage