Die Afghanistan-Politik der USA von Carter bis Obama
Von Matin Baraki *
Nach Angaben der Vereinten Nationen gehörte Afghanistan 1971 zu den
25 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Um diese feudalen
Strukturen aufzubrechen, kam es am 27. April 1978 zu einem
Militäraufstand. Die neue Regierung leitete grundlegende Reformen ein.
Unmittelbar danach läuteten die Alarmglocken in den westlichen
Metropolen.
Rund 17 Millionen AfghanInnen lebten damals unter feudalen
Verhältnissen. Etwa 5 Prozent der Grossgrundbesitzer verfügten über
die Hälfte, im Norden des Landes waren es sogar nur zwei Prozent, die
über 70 Prozent des Bodens verfügten. Im Jahre 1967 waren landesweit
lediglich 88 Industriebetriebe mit 23436 Beschäftigten registriert,
und nur 0,6 Prozent aller Erwerbstätigen waren in der industriellen
Produktion beschäftigt. Afghanistan dürfe keine Schule machen,
ansonsten werde die ölreiche Region revolutioniert, warnten
US-Strategen. Das war eine indirekte Kriegserklärung an Afghanistan.
Dem Kommunismus den Garaus machen
Der ehemalige CIA-Direktor Robert Gates schrieb in seinen Memoiren,
dass die US-Geheimdienste mit der Unterstützung der afghanischen
Islamisten bereits sechs Monate vor der sowjetischen Intervention
begonnen hätten. Auch der ehemalige Sicherheitsberater des
US-Präsidenten Jimmy Carter, Brzezinski, bestätigte, dass dieser am 3.
Juli 1979 die erste Direktive über die geheime Unterstützung der
islamistischen Opposition gegen die Regierung in Kabul unterzeichnet
hatte. Die Islamisten terrorisierten Politiker und Lehrer, bevorzugt
wurden Mädchenschulen zerstört und Schülerinnen mit Säure attackiert.
Bis Ende 1983 wurden 1814 Schulen - also rund die Hälfte - und 130
Krankenhäuser zerstört. "Die Existenz von Trainingslagern ist wohl
nicht mehr ernsthaft zu bezweifeln [...]. Die Aufständischen selber
verweisen stolz auf amerikanische, chinesische und islamische Finanz-,
Ausbildungs- und Waffenhilfe. Der grosse Plan scheint aber zumindest
vorerst wegen der sowjetischen Einmischung undurchführbar geworden zu
sein: Über Kabul und anderen Städten, die noch als Stützpunkte der
Regierung dienten, hätten im Laufe des Januars oder Februars mit
Fallschirmen eine grosse Zahl von Rebellen abspringen und dem
verhassten kommunistischen Regime endgültig den Garaus machen sollen",
berichtete die NZZ im Januar 1980. Da die Gefahr eines Umsturzes
bevorstand, nahm die afghanische Regierung 1979 die Militärhilfe der
UdSSR in Anspruch. Damit sollte Afghanistan das Schicksal Chiles unter
General Augusto Pinochet erspart bleiben.
Die Sowjetunion in der afghanischen Falle
Die westlichen Länder hatten damit ihr Ziel erreicht, die Sowjetunion
in eine Falle zu locken. Der Konflikt wurde dadurch
internationalisiert und nun offensichtlich von den westlichen Ländern
geschürt. Alle afghanischen Islamisten hatten in den westlichen
Metropolen Verbindungsbüros eröffnet. Die Islamisten wurden von
hochrangigen BRD-Politikern, wie etwa Ernst Albrecht, Alfred Dregger,
Helmut Kohl und Willy Brandt, empfangen. Bundeswehroffiziere wurden
vom Dienst beurlaubt und dann, als Privatpersonen getarnt, zum Einsatz
nach Afghanistan geschickt, um die Islamisten auszubilden. Die GSG 9
bildete sie sogar aus, Flugzeuge der Bundeswehr brachten Gasmasken,
Nachtsichtgeräte, Decken und Zelte für die Islamisten. Ab 1979 wurde
gegen Afghanistan die grösste Geheimoperation in der Geschichte der
CIA durchgeführt. Es wurden unter CIA-Regie über 35.000 Islamisten aus
vierzig Ländern ausgebildet. Insgesamt waren über 100.000 weitere
Islamisten am Krieg gegen Afghanistan beteiligt. Auch Osama Bin Laden
wurde mit Hilfe der CIA nach Afghanistan gebracht. Der Führer der
Islamischen Partei, Gulbudin Hekmatjar, der Mann, der für alle
wichtigen Geheimdienste dieser Welt gearbeitet, der Tausende von
Menschenleben auf dem Gewissen hat, war der Favorit der CIA
schlechthin. Die Islamisten sind in den ersten zehn Jahren des
Bürgerkrieges mit rund zwei Milliarden Dollar hochgerüstet worden.
Seit 1987 wurden von den USA jährlich über 65.000 Tonnen Waffen nach
Peschawar gebracht. Über 60 Prozent der jährlich 700 Millionen Dollar
US-Hilfe für die Islamisten ging bis 1991 direkt an Hekmatjar. Nur
seine Gruppe erhielt die 1000 begehrten Stinger-Raketen und die 300
britischen Blowpipes. Dadurch sind auch zahlreiche Zivilflugzeuge
abgeschossen worden.
Gorbatschows erstes Geschenk an den Westen
Mit der Machtübernahme von Michail Gorbatschow wurde Babrak Karmal,
der mit dem Eintreffen der sowjetischen Armee, die Partei- und die
Regierungsführung übernommen hatte, nunmehr als Hemmnis für die Lösung
des Afghanistan-Konfliktes angesehen. Im Jahre 1986 wurde er von allen
seinen Funktionen entbunden. An seiner Stelle wurde Nadjibullah, der
Favorit von Gorbatschow, gewählt. Danach wurde der Abzug der
sowjetischen Armee aus Afghanistan angeordnet und am 15. Februar 1989
abgeschlossen. Voran gegangen waren lange Verhandlungen unter
UNO-Vermittlung zwischen Afghanistan und Pakistan. Die USA und die
UdSSR fungierten auf der Grundlage der Genfer Vereinbarung vom 14.
April 1988 als Garantiemächte und hatten sich verpflichtet, nach dem
Abzug keine weitere Unterstützung an ihre jeweiligen Verbündeten zu
leisten. Während die Sowjetunion mit dem Abzug ihrer Armee dies auch
umsetzte, leisteten die USA weiter verdeckte Militärhilfe. Der
oberkommandierende General der sowjetischen Armee in Afghanistan,
Boris Gromow, nannte den Abzug, militärisch unnötig und politisch
falsch.
Gewollte Talibanisierung
Die neue afghanische Führung übertrug die Macht im April 1992 an die
"gemässigten" Islamisten. Diesen gelang es wegen der Priorität eigener
Interessen jedoch nicht, das Land zu regieren. Im Gegenteil: Der Krieg
wurde im wahrsten Sinne des Wortes gegen das afghanische Volk und
unter den Islamisten selbst mit einer nie da gewesenen Brutalität
fortgesetzt. Der Krieg gegen Afghanistan ist nicht zu verstehen, wenn
wir die US-Strategie für die Region nicht berücksichtigen.
Diesbezüglich entwickelte Brzezinski eine Konzeption, die den
US-Anspruch auf Vorherrschaft und ungehinderten Zugang zu diesem Raum
proklamierte. Diese Konzeption ist das "Drehbuch" dessen, was die
Bush-Administration unter dem Vorwand eines "Kampfes gegen den Terror"
umgesetzt hat. Wie die Washington Post am 19. Dezember 2000
berichtete, zog schon die Clinton-Administration neun Monate vor den
Anschlägen des 11. September 2001, einen Krieg gegen Afghanistan in
Erwägung. Hierüber gab es Konsultationen mit den Regierungen Russlands
und Usbekistans. Da die usbekische Regierung sich weigerte, ihr
Territorium für eine US-Aggression gegen Afghanistan zur Verfügung zu
stellen, musste der Krieg zunächst verschoben werden.
Die "Warlordisierung" Afghanistans
Noch während des Krieges gegen das Regime der Taliban wurden auf dem
Petersberg bei Bonn Ende 2001, hauptsächlich eine Regierung aus
Warlords gebastelt. Hamid Karsai, der in den Jahren des Bürgerkrieges
gute Kontakte zur CIA gepflegt hatte, wurde in Abwesenheit zum
Regierungschef ernannt. Damit wurde die Warlordisierung Afghanistans
eingeleitet. Um die internationale Öffentlichkeit zu täuschen, haben
die USA seit 2002 verschiedentlich Wahlen organisiert. Die New York
Times nannte die Art und Weise, wie die Kandidatur Karsais zum
Präsidenten zustande gekommen war, "eine plumpe amerikanische Aktion".
Infolge dieser verfehlten US-Politik wurde der Krieg gegen Afghanistan
und die Destabilisierung der Region, vor allem Pakistans, einer
Atommacht mit starken islamistischen Kräften, in Kauf genommen.
Obamas Politik
Die Kriegsstrategie des Friedensnobelpreisträgers Obama bestand in der
Intensivierung des Krieges sowie seiner Ausdehnung auf die
pakistanischen Stammesgebiete. Darüber hinaus sollten die afghanischen
Sicherheitskräfte massiv aufgestockt, ausgebildet und ausgerüstet
werden, um den Krieg zu afghanisieren. Dies wird seit einem Jahr der
Öffentlichkeit als Abzug verkauft. Schliesslich soll die
US-Militärpräsenz am Hindukusch auf unabsehbare Zeit gesichert werden.
Für den Afghanistan-Konflikt kann es keine militärische Lösung geben.
Solange die völkerrechtliche Souveränität Afghanistans nicht
wiederhergestellt ist, wird es am Hindukusch keine Ruhe geben. Die
politische Klasse der NATO-Länder sollte dies endlich berücksichtigen.
"Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A
falsch war". Diese Erkenntnis muss die NATO beherzigen und die Fehler
ihres Abenteuers korrigieren. Eine sofortige Ablösung der NATO durch
Einheiten der blockfreien Staaten ist Voraussetzung für Frieden und
Stabilität am Hindukusch. Unter Kontrolle der blockfreien Staaten, der
internationalen Gewerkschaften und von Friedens- und
Frauenorganisationen sollten Wahlen für eine Ratsversammlung
durchgeführt und auf dieser repräsentativen Versammlung eine
provisorische Regierung und Kommissionen zur Ausarbeitung einer
Verfassung sowie eines Parteien- und Wahlgesetz gewählt werden. Eine
Regierung, vom Volk gewählt, hätte auch in Kabul kaum etwas zu
befürchten. Die Fortsetzung des NATO-Krieges ab 2014 durch die
afghanischen Sicherheitskräfte wird den AfghanInnen keinen Frieden
bringen, eher die gesamte Region weiter destabilisieren. Die NATO
begründete ihre Militärpräsenz in Afghanistan mit dem Vakuum, das mit
dem Abzug der sowjetischen Armee entstanden wäre. Nun wollen die USA
den Krieg afghanisieren, ohne das Land zu verlassen. Es wäre längst an
der Zeit, nach 34 Jahren Krieg und Terror, endlich den Frieden zu
afghanisieren.
* Dieser Beitrag erschien in der Schweizer Zeitung "Vorwärts - die sozialistische Zeitung", Nr. 19/20, 69. Jahrgang, 24. Mai 2013, S. 5.
Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.
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