Lafontaine (LINKE): "Wir halten diesen Krieg nicht mehr für verantwortbar" - Homberger (FDP): "Es geht Ihnen schlicht und ergreifend nur um Wahlkampf"
Erregte Debatte um die Ausweitung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan - Der Schlagabtausch im Bundestag im Wortlaut
Im Folgenden dokumentieren wir die Beiträge einer Aktuellen Stunde im
Bundestag, die von der Fraktion DIE LINKE beantragt worden war.
Vorausgegangen war der vor wenigen Tagen bekannt gewordene Plan der
Bundesregierung, die ISAF-Truppen in Afghanistan um eine besondere
Schnelle Eingreiftruppe aufzustocken und zu verstärken. (Siehe hierzu Verteidigungsminister
will zusätzlichen Kampfverband nach Nordafghanistan schicken und
Richtig
kämpfen in Afghanistan?.)
DIE LINKE sah darin eine qualitative Änderung des am 12. Oktober 2007 im
Bundestag beschlossenen
Mandats. Alle anderen Fraktionen verneinten dies und wiesen die
Argumentation der LINKEN lautstark zurück. Ein Beispiel
wahlkampfbetonter Debatten(un)kultur: Drei Tage später werden in Hessen
und Niedersachsen neue Landtage gewählt!
In der Debatte am 24. Januar 2008 sprachen in dieser Reihenfolge
folgende Abgeordnete:
Plenarprotokoll 16/139
Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht
139. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde: Aufgaben von Bundeswehrkampftruppen als Quick Reaction Forces in Afghanistan
Die Fraktion Die Linke hat diese Aktuelle Stunde beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen
Oskar Lafontaine für die Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern lasen
wir in der Onlineausgabe der Welt:
NATO fordert Kampftruppe der Bundeswehr an. Der erste Kampfeinsatz der
Bundeswehr in Afghanistan rückt offenbar immer näher. Die Nato hat jetzt
unmissverständlich klargemacht, dass sie von der Bundeswehr
Kampfeinsätze erwartet. Das bringt Verteidigungsminister Franz Josef
Jung in Nöte. Der will den neuen Einsatz erst nach der Hessen-Wahl
verkünden.
Aus diesem Grunde haben wir den Punkt heute auf die Tagesordnung
gesetzt. Ich bin der Auffassung, vor zwei so wichtigen Wahlgängen wäre
es nur ein Gebot der Ehrlichkeit und der Wahrhaftigkeit, hier zu sagen,
ob Sie vorhaben, Kampftruppen in diesen Krieg zu schicken.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Wenn der Chef der Eingreiftruppe sagt, Deutschland müsse sich auf Tote
einstellen, dann müssten eigentlich alle Bürgerinnen und Bürger, die uns
zuhören, sehen, worum es hier geht, und müssten sich die Frage stellen,
ob wir berechtigt sind, das zu tun. Im Übrigen darf man daran erinnern,
dass schon in der Vergangenheit Tote zu beklagen waren. Hier soll nur
gesagt werden, dass bei Kampfeinsätzen noch mehr deutsche Soldaten ums
Leben kommen werden. Wir wollen hinzufügen, dass bei dieser sogenannten
Militärintervention im letzten Jahr über 6 000 Todesopfer zu beklagen
waren, darunter viele Zivilisten. Wir halten diesen Krieg nicht mehr für
verantwortbar. Ziehen Sie die Bundeswehr zurück!
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Bisher ist nach außen immer gesagt worden, bei ISAF handele es sich um
eine Friedensmission. Es wird der Eindruck erweckt, als gehe es darum,
Brunnen zu bohren, Schulen zu bauen usw. So haben Sie das der
Bevölkerung immer wieder erklärt. Langsam wandelte sich die
Argumentation. Jetzt ist klar, dass alles das, was in den letzten Jahren
gesagt worden ist, nicht zutrifft. Auch diese Truppe wird immer weiter
in den Krieg einbezogen. Das ist das, was wir gesagt haben.
Kürzlich habe ich im Stern etwas gelesen, das mir die Sprache
verschlagen hat. Das möchte ich hier doch erwähnen, weil ich den
Aufschrei vermisst habe. Dort wurde geschildert, wie ISAF-Truppen
überprüfen, ob ein Feld minenfrei ist. Es wurde geschildert, dass die
Soldaten Äpfel auf ein Feld werfen und Kinder dann auf das Feld laufen
sollen. Wenn keine Mine hochgeht, ist das Feld minenfrei.
Welch ein Zynismus! Sind wir berechtigt, uns an Missionen zu beteiligen,
bei denen solche Dinge einreißen? Das ist in meinen Augen ein
unglaublicher Skandal.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Ich hätte zu gern erlebt, dass irgendjemand dazu irgendetwas gesagt hätte.
(Rainer Arnold [SPD]: Das stimmt alles nicht, was Sie sagen! - Winfried
Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hat der Kollege Schäfer Ihnen
nicht berichtet, wie eindeutig das im Verteidigungsausschuss verurteilt
wurde, nämlich als schändliches Verhalten! - Ernst-Reinhard Beck
[Reutlingen] [CDU/ CSU]: Unerhört, was Sie hier machen! Es war kein
einziger deutscher Soldat dabei!)
- Entschuldigen Sie! Wenn Sie behaupten, alles das, was in der Presse
dargestellt werde, sei falsch, dann müssen Sie das hier klarstellen.
(Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/ CSU]: Das ist im
Verteidigungsausschuss klargestellt worden!)
- Es genügt nicht, dass Sie das in irgendwelchen Ausschusszirkeln
klarstellen. Sie sollten hier klarstellen, ob diese Meldungen richtig
oder falsch sind.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Wir haben in der letzten Zeit viel zu oft gehört, dass Erklärungen der
zuständigen Kommandeure nicht zutrafen. Darauf können Sie sich nicht
berufen. So einfach kommen Sie hier nicht davon.
(Hans Raidel [CDU/CSU]: Für Ihren Unsinn sind Sie selbst verantwortlich!)
Im Übrigen ist es eine Tatsache, dass wir 6 000 zivile Opfer zu beklagen
haben. Wir machen in Zukunft dabei mit. Tun Sie doch nicht so, als
könnten Sie das mit läppischen Bemerkungen vom Tisch wischen!
(Birgit Homburger [FDP]: Quatsch! - Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist einfach nicht wahr! - Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Schämen Sie sich! - Hans Raidel [CDU/CSU]: Unsinn bleibt
Unsinn, auch wenn er von Ihnen kommt!)
Wir von der Linken wollen das schlicht und einfach nicht.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Wir sind in diesen Krieg tiefer verstrickt, als Sie das hier zugeben
wollen; das wird sich in nächster Zeit immer wieder zeigen.
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das möchten Sie wohl, nicht?)
Wir haben nach wie vor festzustellen, dass dieser Krieg
völkerrechtswidrig ist und dass all diejenigen das zu verantworten
haben, die diesem völkerrechtswidrigen Einsatz zugestimmt haben.
Die deutsche Bevölkerung hat in ihrer großen Mehrheit kein Verständnis
für diesen Einsatz der Bundeswehr. Wir überwachen dort die
Opiumproduktion. Hier muss ich einmal die Frage stellen: Ist das
wirklich Aufgabe unserer Soldatinnen und Soldaten? In der Regierung -
das weiß jeder - sitzen Kriegsverbrecher. Die Situation im Land wird
immer schlechter, von Jahr zu Jahr. Dennoch will man aus der Sackgasse
nicht wieder heraus. Kehren Sie endlich um! Ziehen Sie die Bundeswehr
aus Afghanistan zurück!
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] -
Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und überlassen Sie das Land
den alten Kriegsverbrechern! Klasse!)
- Zu dem Zwischenruf "Und überlassen Sie das Land den alten
Kriegsverbrechern!" muss ich sagen: Die sitzen doch in der Regierung.
Haben Sie das immer noch nicht gemerkt? Sie paktieren mit alten
Kriegsverbrechern. Das ist die Wahrheit in Afghanistan.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] -
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So naiv kann man doch gar nicht
sein!)
Im Übrigen haben Sie die Aufgabe - wir sagen das noch einmal ganz klar
-, unser Land sicherer zu machen. Das ist die Aufgabe der
Sicherheitspolitik. Ein unverdächtiger Zeuge, der Ministerpräsident des
Landes Bayern, hat vor einiger Zeit gesagt: Mit solchen
Auslandseinsätzen erhöhen wir die Terroranschlagsgefahr im eigenen Land.
Das ist seine Feststellung. Sie gehen einfach blind darüber hinweg. Wir
sagen: Holen Sie die Truppen zurück! Sonst erhöhen Sie die
Terroranschlagsgefahr im eigenen Land. Es ist nicht unsere Aufgabe, den
Terror nach Deutschland zu holen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] -
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blinder Wahlkampf! Null
Verantwortung!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Ernst-Reinhard Beck für die
CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Lafontaine, was Sie hier abgeliefert haben, war unverantwortlich.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das war Wahlkampf pur.
Sie haben auf einen bestimmten Vorfall angespielt, der leider auch im
deutschen Fernsehen groß herausgestellt worden ist. Dazu hätten Sie von
Ihrem Kollegen Schäfer erfahren können, dass wir im
Verteidigungsausschuss diese Angelegenheit besprochen haben und dass
niemand da war, der so etwas unterstützt hätte. Wir stellen ausdrücklich
fest: Es waren keine deutschen Soldaten beteiligt. Das müssen Sie den
Leuten sagen.
(Beifall bei der CDU/CSU - Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Die Frage ist,
ob es passiert ist oder nicht! Geben Sie eine Antwort! Jetzt reden Sie
sich heraus!)
Ich finde es einfach auch unverantwortlich, wenn Sie meinen, für den
hessischen Wahlkampf noch ein paar Stimmen einsammeln zu können, indem
Sie hier als Friedensengel auftreten.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Ist es passiert, oder ist es nicht passiert?)
Sie haben sich mit der Art und Weise, wie Sie argumentieren, längst aus
einer seriösen sicherheitspolitischen Debatte verabschiedet.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich halte Ihre Forderung, die Truppen abzuziehen, für verantwortungslos.
Ich stimme da dem Kollegen Nachtwei ausdrücklich zu, der sagte: Wenn wir
unsere Truppen abziehen, überlassen wir Afghanistan den
Kriegsverbrechern. Das wäre unverantwortlich.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, worum geht es eigentlich in
dieser Geschichte? Sie, Herr Lafontaine, haben gesagt, es gehe um
Kampftruppen.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Ist das jetzt die Wahrheit oder nicht?)
- Herr Lafontaine, hören Sie bitte einmal einen Augenblick zu. -
Soldaten, die eingesetzt werden, müssen auch kämpfen können.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Frechheit!)
Dies ist doch ganz klar. Es sollte auch ausgesprochen werden. Im Rahmen
des ISAF-Mandats haben sie den Auftrag, dieses Land zu stabilisieren,
Aufbauarbeit zu verrichten und dort, wo Sicherheit hergestellt werden
muss, dies auch mit militärischen Mitteln zu tun.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Da sind Sie sicher erfolgreich! Seit
sechs Jahren!)
Dies ist ganz klar. Wer hat das denn bisher gemacht? Ein bisschen
Sachlichkeit würde dieser Debatte schon gut tun.
(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD] - Oskar Lafontaine
[DIE LINKE]: Antworten Sie auf die Frage!)
- Nein.
Der Zeitpunkt und das Vorgehen überraschen doch gar nicht. Jeder weiß,
dass Norwegen am 30. Juni das Kommando über die Quick Reaction Force
abgibt. Das ist doch schon lange bekannt. Was heißt Quick Reaction
Force? Schnelle Eingreiftruppe.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja, Einsatz!)
Sie stellt, gnädige Frau, eine Art Feuerwehr, eine taktische Reserve
dar, die jeder verantwortliche militärische Kommandeur vorhalten muss.
Sie hat die Stärke einer Kompanie. Das ist, für eine Region, die
gemessen an der europäischen Geografie vom Rhein bis nach Warschau
reicht, im Grunde wenig genug.
Welche Aufgaben hat diese Einsatzreserve? Sie gehen her und sagen, sie
nehme im Grunde die Aufgabe einer Kampftruppe wahr.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Richtig! Genau!)
Was haben denn die Norweger in den letzten zwei Jahren, Frau Enkelmann,
getan? Das kann ich Ihnen sagen: Es liefen ganze zwei Einsätze als
Alarmreserve. Der erste Einsatz fand beim Absturz eines Hubschraubers
und der zweite beim Beschuss des deutschen Lagers in Masar-i-Scharif
statt. Alle übrigen Einsätze waren Patrouillen oder Sicherungsmaßnahmen,
die der Unterstützung der PRT-Tätigkeit dienten. Diese Aufgaben haben
die Norweger wahrgenommen.
Wenn man auf diese Erfahrungen zurückgreift, dann kommt man doch zu dem
Schluss: Es handelt sich um eine fatale Verdrehung, wenn Sie davon
sprechen, man trete jetzt in eine neue Kampfphase ein. Dies ist
schlichtweg falsch. Wir weisen das in aller Klarheit und Deutlichkeit
zurück.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Frage ist: Wer übernimmt diese wichtige Aufgabe? Da ist, wie ich
meine, noch nichts entschieden. Die Truppenstellerkonferenz wird die
Entscheidung treffen. Ich sage Ihnen aber auch ganz klar: Wir als
führende Nation, als Lead-Nation, stehen im Norden in der Verantwortung
und können uns nicht darauf verlassen, dass im Falle eines Falles schon
irgendjemand kommen wird. Ich sage auch ganz klar: Wir sind bereit und
in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen, weil es sich um eine wichtige
Aufgabe für die Sicherung der Aufbauarbeit im gesamten Nordbereich
handelt. Dieses sollte man an dieser Stelle einfach festhalten.
Bei einer seriösen Diskussion hierüber ist in der Tat das ISAF-Mandat
maßgebend. Es handelt sich bei der Eingreiftruppe nicht um eine
Wiederaufbautruppe; das ist richtig. Aber es handelt sich um eine
Truppe, die im Rahmen des ISAF-Mandats eine Stabilisierungsfunktion
wahrnimmt. Dies ist der Hauptauftrag, zeitlich und räumlich begrenzt;
außerhalb dieser begrenzten Region nur dann, wenn der Gesamtauftrag von
ISAF infrage gestellt ist. Sie kennen diese Klausel, die unser Mandat
enthält. Dafür Verantwortung zu übernehmen, sind wir bereit.
Für unsere Fraktion und die Regierung möchte ich sagen: Unsere Soldaten
können mit unserer weiteren Unterstützung bei diesem gefährlichen und
schwierigen Auftrag rechnen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Birgit Homburger.
(Beifall bei der FDP)
Birgit Homburger (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum es hier geht,
zeigen die von der Linken benannten Redner und der Auftritt, den der
Kollege Lafontaine eben hingelegt hat.
(Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!)
Neben dem "Verteidigungsexperten" Lafontaine soll ja auch noch der
"Verteidigungsexperte" Gysi sprechen. Daran wird deutlich: Es geht Ihnen
schlicht und ergreifend nur um Wahlkampf.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Es geht um
Menschenleben, Frau Homburger! Das ist ein Zynismus sondergleichen!)
Wenn Sie hier sagen, es gehe Ihnen um die Sache, dann entgegne ich
Ihnen: Diese Sache war letzte Woche aktuell. Letzte Woche hat ein
Kollege hier erklärt, es sei schon alles entschieden und beschlossen.
Daraufhin gab es eine Debatte, nicht nur im Verteidigungsausschuss des
Deutschen Bundestages, sondern auch in aller Öffentlichkeit. Daran haben
Sie nicht teilgenommen, und das war Ihnen völlig egal.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist ja Quatsch!)
Das zeigt klipp und klar, dass es Ihnen nicht um die Sache geht. Dieses
Thema diese Woche zu behandeln, passt Ihnen schlicht und ergreifend
besser ins Kalkül.
(Markus Löning [FDP]: Sehr richtig!)
Es kommt etwas hinzu: Der Sachstand seit der letzten Woche ist
unverändert. Vielleicht muss man Sie einmal darüber aufklären, Herr
Lafontaine: Die Sache ist nicht neu. Die Norweger haben sehr frühzeitig
erklärt, dass sie diese Aufgabe ab Mitte dieses Jahres nicht mehr werden
wahrnehmen können. Darüber hat der Generalinspekteur im
Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages informiert. Wir haben
darüber diskutiert. Es hat im Übrigen in der Haushaltsdebatte letztes
Jahr - auch öffentlich - eine Rolle gespielt. Das heißt, es geht nicht
darum, dass wir hier irgendwelche Informationen von der Bundesregierung
erzwingen müssten. Was Sie wollen, ist, Angst machen und Verunsicherung
der Menschen schüren. Sie machen Wahlkampf auf dem Rücken der
Soldatinnen und Soldaten, vor allen Dingen derer, die in Afghanistan
einen gefährlichen Dienst versehen.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sie schicken sie doch hin! Das ist doch
unglaublich!)
Das, Herr Lafontaine, ist durchsichtig, unredlich und schäbig.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Es ist doch
unglaublich, was Sie sich erlauben!)
Ich möchte hier in aller Deutlichkeit noch einmal klarstellen: Es geht
hier nicht um Krieg gegen Afghanistan.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Um was geht es hier nicht? Es geht hier
nicht um Krieg? Um was denn dann?)
Wir sind auf Anforderung und auf Wunsch der afghanischen Regierung in
Afghanistan, um den Wiederaufbau zu unterstützen. Es ist Ihnen so klar
wie uns, dass dieser Wiederaufbau nur mit militärischer Absicherung
funktionieren kann. Genau deshalb wird es gemacht. Darüber haben wir
hier zigmal diskutiert. Es bleibt dabei: Es geht hier nicht um Krieg,
sondern darum, die afghanische Regierung dabei zu unterstützen, dieses
Land zu stabilisieren und beim Wiederaufbau zu helfen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Ich sage ebenfalls ganz klar, an die Bundesregierung und auch an den
Vorredner, Herrn Beck, gerichtet: Wir brauchen einen ehrlichen Umgang
mit der Sache.
(Lachen bei der LINKEN)
Ein ehrlicher Umgang im Zusammenhang mit der schnellen Eingreiftruppe
bedeutet, dass man die Qualität dieser Eingreiftruppe so darstellen
muss, wie sie ist. An dieser Stelle geht es nicht nur um Patrouille,
Evakuierung und Absicherungsmaßnahmen, sondern auch um offensive
Operationen. Auch das ist nichts Neues. Das wüssten Sie, wenn Sie im
Verteidigungsausschuss wären und wenn Sie sich damit schon einmal
auseinandergesetzt hätten, Herr Lafontaine.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Opfer in Kriegen sind nichts Neues! Da
haben Sie recht!)
Es ist tatsächlich so, dass es an dieser Stelle um offensive Operationen
geht. Offensive Operationen sind eben keine Stabilisierungseinsätze;
dabei geht es vielmehr ganz klar um Kampf. Das muss man in aller
Nüchternheit und aller Klarheit so sagen.
Das sind die Rahmenbedingungen. Herr Verteidigungsminister, sollten Sie
sich entscheiden, diese Aufgabe zu übernehmen, dann wäre das nach der
Entscheidung, Tornados nach Afghanistan zu entsenden, eine erneute
Erweiterung des Aufgabenspektrums und hätte eine neue Qualität.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aha! Alles nichts Neues!)
Ich möchte sehr deutlich sagen: Wenn diese Aufgabe übernommen wird, dann
erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie nicht immer nur mit
weiteren Aufgaben und noch mehr Soldaten kommt. Sie sollte vielmehr
klarstellen, was das Ziel dieses Einsatzes ist. Ich erwarte, dass die
Bundesregierung der Öffentlichkeit vermittelt, dass das politische Ziel
im Zentrum steht.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich möchte an dieser Stelle noch Folgendes sagen: Sollte sich die
Bundesregierung für die Übernahme dieser Aufgabe entscheiden, dann muss
das Augenmerk noch stärker als bisher auf Ausrüstung und Ausstattung
gelegt werden. Ich möchte hier auf einen Bericht des Kommandeurs
Warnecke aufmerksam machen, der mitgeteilt hat, dass es bei der
Operation "Harekate Yolo-2", die im letzten Herbst stattgefunden hat,
Schwierigkeiten gab, weil das ISAF-Kontingent im Verantwortungsbereich
Nord offensichtlich nicht entsprechend ausgestattet war. Hier, Herr
Bundesverteidigungsminister, erwarten wir, dass die Bundesregierung bei
ihrer Entscheidung berücksichtigt, ob sie die nötige Ausrüstung stellen
kann. Es ist nur verantwortbar, Soldatinnen und Soldaten in einen
Einsatz zu schicken, wenn sie mit der bestmöglichen Ausrüstung
ausgestattet sind.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Abschließend, Herr Bundesverteidigungsminister, bitte ich noch um eines:
dass Sie endlich dazu übergehen, eine offensive Informationspolitik zu
betreiben. Der Bericht der Generäle vom Juli des vergangenen Jahres, in
dem eine Bewertung vorgenommen wird, liegt dem Parlament immer noch
nicht vor. Wir haben erneut aus der Öffentlichkeit davon erfahren. Ich
fordere Sie auf: Legen Sie diesen Bericht endlich auch dem Parlament
vor! Sie schaden mit dieser Geheimniskrämerei der Bundeswehr und sich
selbst. Machen Sie endlich eine offensive Informationspolitik!
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Walter Kolbow für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Walter Kolbow (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn
meiner Rede die kanadischen Kolleginnen und Kollegen auf der Tribüne
sehr herzlich begrüßen und bei uns im Parlament willkommen heißen.
(Beifall im ganzen Hause)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Ihre Anwesenheit gibt dieser Debatte
eine besondere Bedeutung. Wir sprechen in dieser Aktuellen Stunde über
gemeinsame Aktionen und gemeinsames Leiden in Afghanistan. Kanada hat
viele Opfer gebracht, derer wir mit Solidarität in dieser Debatte
gedenken. Wir sind an Ihrer Seite.
Deswegen sage ich: Politische Entscheidungen, die letztlich eine
Entscheidung über Leben und Tod sein können, zu Wahlkampfzwecken zu
benutzen, halte ich für nicht erlaubt,
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
auch nicht unter Bezug auf die Frage, die Sie, Herr Kollege Lafontaine,
zu Beginn Ihrer Einlassungen vorgetragen haben. Ich weiß, dass wir mit
der Verantwortung für die Entscheidung Schuld auf uns laden können und
wir uns in Kämpfe verstricken können. Das ist die Verantwortung des
Parlaments. Daraus populistischen Nutzen zu ziehen, ist jedoch nicht nur
antiaufklärerisch - wir sollten eigentlich aufgeklärt sein -, sondern
schlicht und einfach nicht in Ordnung, meine Damen und Herren von der
Linksfraktion.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Elke Hoff [FDP])
Von dieser Stelle aus ist wiederholt gesagt worden, dass dieser Einsatz,
den das Parlament beschlossen hat, nicht völkerrechtswidrig ist, sondern
den Stempel der Vereinten Nationen trägt und in der Verantwortung der
internationalen Gemeinschaft liegt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Birgit Homburger [FDP])
Wollen Sie dem kanadischen Parlament vorhalten, völkerrechtswidrig
entschieden zu haben? Ich denke, dass Sie Ihre Einlassungen relativieren
müssen.
Herr Kollege Lafontaine, Sie müssen auch Ihre Aussage relativieren, in
Afghanistan seien Kinder als Minensucher missbraucht worden. Sie wollen
damit Wahlkampf machen. Lassen Sie sich informieren: Über diese
Vorkommnisse liegen keine Erkenntnisse vor,
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Aha!)
außer dass sie vor fünf Jahren zwar von jemandem zur Kenntnis genommen
worden sind, dieser es aber nicht für notwendig gehalten hat, einen so
markanten Vorgang seinen Vorgesetzten sofort zur Kenntnis zu bringen,
was die Regel ist.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Das ändert doch
an der Sache nichts!)
Informieren Sie sich bei den Fach- und Sachkundigen über den Sachstand,
bevor Sie hier Behauptungen einbringen, die durch nichts, aber auch gar
nichts zu belegen sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Der Außenminister und der Verteidigungsminister sind ihrer Aufgabe mehr
als nur gerecht geworden. Alle Informationen werden nicht nur den
Ausschüssen, sondern auch der interessierten Öffentlichkeit zur
Verfügung gestellt. Diese Informationen weisen eindeutig darauf hin,
dass eine Einheit im Rahmen eines normalen Truppenstellerverfahrens
ersetzt werden muss. Diese Einheit wird dringend gebraucht, damit die
internationale Gemeinschaft die Ziele, die sie in Afghanistan verfolgt -
ziviler Wiederaufbau, Verhinderung von Krieg und Vermeidung von
terroristischen Anschlägen, und zwar auch bei uns in Europa -, erreichen
kann. Das ist der Sinn. Dafür ist auch die Rapid Reaction Force
notwendig. Wenn wir diese Entscheidung treffen müssen, wird uns die
Regierung rechtzeitig informieren.
Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir die Erfolge, die
wir im Norden von Afghanistan zu verzeichnen haben, in der Debatte nicht
untergehen lassen dürfen. Millionen von Flüchtlingen, die auf die
Entwicklung in ihrem Land vertrauen, sind nach Afghanistan
zurückgekehrt, weil sie der internationalen Gemeinschaft und zunehmend
auch den afghanischen Streitkräften, der afghanischen Polizei und den
afghanischen Autoritäten Vertrauen schenken. Diese Entwicklung kann sich
nicht nur sehen lassen, sondern sie kann und muss auch ausgesprochen
werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dass da natürlich - um es einfach auszurücken - noch eine Menge zu tun
ist, wissen wir alle. Aber das geht nicht in der Art und Weise, dass wir
aus Afghanistan abziehen, sondern das geht nur in der Art und Weise,
dass wir mit der vernetzten Sicherheitsstrategie, die wir in Deutschland
mit Herrn Jung, Herrn Steinmeier, der Bundeskanzlerin, Frau
Wieczorek-Zeul und mit der Mehrheit dieses Hauses entwickelt haben, auch
mit den notwendigen militärischen Entscheidungen, wenn sie denn
anstehen, Afghanistan eine Zukunft geben. Wir warten auf die
Erkenntnisse, die unsere Regierungsvertreter aus den
Truppenstellerkonferenzen in der NATO mitbringen. Dann werden sie uns
mit ihrer verantwortungsbewussten Entscheidung an ihrer Seite sehen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte die
Kolleginnen und Kollegen aus dem kanadischen Parlament sehr herzlich
begrüßen. Kanada hat eine sehr lange Tradition der Teilnahme an
Friedensmissionen im Auftrag der Vereinten Nationen. Als wir kürzlich in
Ottawa waren und dort die Ausstellung Afghanistan: A Glimpse of War
gesehen haben, haben wir erfahren und empfunden, wie die kanadische
Gesellschaft mit dem Afghanistan-Engagement, das für ihre Soldaten
tatsächlich auch ein Kriegseinsatz ist, umgeht und um den richtigen Weg
ringt.
Kollege Lafontaine, die Vorfälle, die Sie aus dem Stern zitieren, sind,
wenn sie tatsächlich so geschehen sind, schändlich. Ich denke, das ist
hier die einmütige Bewertung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Es ist versucht worden, weitere Hinweise dafür zu bekommen, ob diese
Meldungen der Wahrheit entsprechen. Bisher haben wir keine gefunden.
Aber die Bewertung ist völlig eindeutig.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Nein, hier wird so getan, als wäre das
gar nicht wahr!)
Unabhängig von dem, was Sie gerade genannt haben: Kollege Lafontaine,
vielleicht haben Sie Anfang Dezember 2007 die Umfrage von ABC, BBC und
ARD zur Kenntnis genommen, die überraschende Ergebnisse brachte. Die
Leute, die mit dieser Umfrage zu tun haben, sind bekannt, und es handelt
sich hier mit Sicherheit um eine seriöse Umfrage. Das Ergebnis war, dass
die Bevölkerung gegenüber dem internationalen Engagement und auch
gegenüber ISAF viel positiver eingestellt ist, als wir das hierzulande
wahrnehmen. Zwar ist - das muss man ganz nüchtern dazusagen - die
Tendenz bröckelnd, aber die Mehrheit ist eindeutig dafür. Vielleicht
sollte Ihnen das etwas zu denken geben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unabhängig von der Auseinandersetzung mit Ihnen finde ich, dass die
Fragen und Befürchtungen zum Einsatz der Quick Reaction Force völlig
berechtigt sind. Geraten wir in eine Eskalation hinein? Geraten wir in
einen Kriegssumpf hinein? Diese Fragen treiben sicherlich alle um. Man
muss auch angesichts der Tatsache misstrauisch sein, dass gewichtige
Stimmen darauf drängen, dass die Quick Reaction Force ausdrücklich an
Kriegseinsätzen teilnimmt.
Worum geht es bei dieser "Schnellen Reaktionstruppe"? Was ist zu
verantworten und was nicht? Um es klar zu sagen: Es geht um eine relativ
kleine militärische Reserve und Verstärkungseinheit für bestimmte
Notsituationen, wenn die sowieso schon sehr schwachen Kräfte der
Wiederaufbauteams, die in einem riesigen, komplizierten Raum verteilt
sind, nicht mehr klarkommen. Kollege Beck hat vorhin schon Beispiele aus
dem letzten Jahr dafür genannt, welche Einsatzformen das waren. Diese
bewegen sich vollkommen im Rahmen der bisherigen Erfahrungen der ISAF im
Norden des Landes. Sie gestatten, dass ich regional differenziere, weil
es in anderen Regionen, mit denen auch unsere kanadischen Freunde zu tun
haben, ganz krass anders aussieht. Darüber kann man nicht hinwegsehen.
Allerdings - auch das ist völlig richtig - ist diese Quick Reaction
Force Ende Oktober, Anfang November letzten Jahres zum ersten Mal in ein
Gefecht gekommen und hatte einen ausdrücklichen Kampfeinsatz. Das kann
man nicht verniedlichen.
Zusammengefasst: Diese Truppe liegt mit ihrer Aufgabenstellung noch im
Rahmen des bisherigen ISAF-Nord-Mandates; das ist eindeutig. Allerdings
sind bestimmte Punkte klar zu garantieren. Erstens darf es nur eine
Unterstellung unter den Commander Nord geben. Zweitens ist es - wie es
im Mandat festgelegt ist - ein Einsatz im Norden. Drittens ist die
Aufgabenstellung nicht so, wie sie von manchen fahrlässig beschrieben
wurde, dass es jetzt um offensive Terroristenjagd oder offensive
Aufstandsbekämpfung gehe. Nein, es geht weiterhin um
Stabilisierungsunterstützung, allerdings mit härteren militärischen
Anforderungen, und es ist auch riskanter; da gibt es kein Vertun.
Wir sind hier auf dem Sicherheitssektor. Hier geht es um schnelle
Reaktion. Gestatten Sie, dass ich noch zu einem anderen Punkt komme,
nämlich zu Yolo II. Dieser Einsatz in Nordwest-Afghanistan war
notwendig, weil die Polizeikräfte vor Ort äußerst schwach waren. Wie
sieht es nun - Herr Staatssekretär Bergner, das geht jetzt auch sehr
stark an Ihre Adresse - mit dem Polizeiaufbau aus, von dem wir alle
wissen, dass er für nachhaltige Sicherheit in Afghanistan von
strategischer Bedeutung ist?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU
und der SPD)
Wir haben im letzten August, September und Oktober festgestellt, dass
die EUPOL-Mission der Europäischen Union nicht in die Pötte kam, dass
sie viel weniger schaffte als das deutsche Polizeiprojekt. Wie sieht es
zurzeit aus? Im März sollen dort 195 Polizisten sein. Zurzeit sind dort
30 internationale Polizisten. Wie sieht es mit den deutschen Polizisten
aus? Bis zum letzten Jahr waren über 40 da. Jetzt sind gerade noch 15
dort. Das bedeutet nichts anderes als: Hier wird die Kapitulation der
Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland im entscheidenden
Bereich des Polizeiaufbaus vorbereitet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Eine Schande für das Innenministerium!)
Ich muss der Bundesregierung sagen: Ich bin inzwischen ausgesprochen
zornig darüber, wie die Beschönigung der Situation in diesem Bereich aus
den Reihen der Bundesregierung bis gestern - heute haben Sie die Chance,
das zu ändern - fortgesetzt wurde.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss; aber ich bin zornig.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das ändert nichts daran, dass Sie Ihre Redezeit überschritten haben.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Worauf das so hinausläuft: Wir verlieren das besondere Vertrauen der
Afghanen. Wir machen uns in der Staatengemeinschaft lächerlich. Jetzt
tut das not, was die Kanadier und die Briten machen, was die Amerikaner
zweifach machen: endlich einmal eine unabhängige Überprüfung des
Afghanistan-Engagements, um klar zu sehen, wie es aussieht, und nicht
nur immer zu erzählen, was Schönes gemacht wird. Wie sieht es aus? Was
kommt dabei heraus? Wo müssen wir umsteuern? Bitte, die Entscheidung drängt!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU,
der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Bernd Schmidbauer für die Fraktion CDU/CSU.
Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir
sind im siebten Jahr unserer Anstrengungen, Afghanistan zu helfen und
nicht mehr zuzulassen, dass es Terror gibt und dass es von diesem Gebiet
aus unter einem terroristischen Regime in allen Ländern dieser Erde zu
Anschlägen kommt, die, lieber Herr Lafontaine, ungeheuer viele
unschuldige Opfer gefordert haben.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Ja!)
Auch Menschen, die in keinem Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen
in Afghanistan standen, wurden Opfer dieses Terrors, der sich über viele
Jahrzehnte aufgebaut hat. Alle Anschläge in unseren Ländern haben ihren
Ausgangspunkt irgendwo in Afghanistan. Schon dies ist Grund dafür, sich
zu engagieren, Terror in der Welt zu verhindern.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Was Sie gemacht haben, war sehr einfach.
(Zuruf des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])
- Da täuschen Sie sich gewaltig. Denken Sie auch an die Zehntausende
Toten in Afghanistan selbst. Sportplätze wurden als Hinrichtungsstätten
genutzt. Denken Sie daran, welche Chancen Kinder hatten, in die Schule
zu gehen, und welche Chancen Frauen hatten, in diesem Land an der
Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. Lieber Herr Lafontaine, Sie
müssten aus Ihrer Erfahrung, die Sie teilweise auch in
Regierungsverantwortung gemacht haben,
(Zuruf von der SPD: Aber nur ganz kurz!)
sehr genau wissen: Es gibt nichts Verbrecherischeres auf dieser Welt als
das, was in der Vergangenheit in Afghanistan passiert ist. Und dann
sollen die Bürger und soll die Bundesrepublik Deutschland etwa wegsehen?
Soll die Solidarität aller Demokraten, zu der es nach den Anschlägen in
den Vereinigten Staaten gekommen ist, beendet werden? Nein, ich denke,
dass wir gut daran tun, unser Engagement fortzusetzen.
Mit Ihnen und Ihren Genossen werden wir diese Debatten immer wieder
führen müssen.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Ja!)
Dass sie ständig vor Landtagswahlen stattfinden, ist allerdings äußerst
billig.
(Widerspruch bei der LINKEN)
Glauben Sie bloß nicht, dass die Hessen darauf hereinfallen, wie Sie
hier auftreten!
(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])
Glauben Sie nicht, dass es Hessen gibt, die so primitiv sind, dass sie
Ihre Manöver nicht durchschauen und entsprechend reagieren!
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Wolfgang
Gehrcke [DIE LINKE]: Wer in Hessen primitiv ist, das weiß man mittlerweile!)
Von den Argumenten, die Sie anführen, habe ich persönlich die Nase voll.
(Cornelia Hirsch [DIE LINKE]: Sie selbst haben doch gar keine!)
Was wollen Sie eigentlich erreichen? Sie wollen, dass wir Pazifismus
praktizieren, unser Engagement beenden und uns aus Afghanistan
zurückziehen; denn Sie meinen, dann kehrt dort Frieden ein.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Würden wir so vorgehen, würde sich der Terror überall ausbreiten, und
zwar noch viel schlimmer als bisher. Das würden Sie in Kauf nehmen.
Zu dem, was Sie im Hinblick auf den bayerischen Ministerpräsidenten
gesagt haben, stelle ich fest: Natürlich hat er recht. Natürlich ist es
möglich, dass sich der Terror gegen diejenigen, die sich engagieren,
wendet. Man muss damit rechnen, selbst im Visier dieser Verbrecher zu
sein. Sie wollen nämlich nicht, dass wir uns engagieren. Genau deshalb
möchte ich, dass wir unser Engagement fortsetzen.
Wir müssen die Prinzipien, die wir selbst entwickelt haben, einhalten.
Dabei geht es vor allem um die Konzentration unseres Engagements im
Norden des Landes. Täglich können wir dort viele positive Meldungen
vernehmen. Unser Engagement wird positiv aufgenommen, und unsere
Soldaten tun gemeinsam mit der Bevölkerung alles, um dieses Land
aufzubauen. Richtig ist aber auch, dass uns aus dem Süden des Landes und
aus den angrenzenden Provinzen Pakistans jeden Tag negative Meldungen
erreichen.
Tatsache ist aber - das sage ich auch an die anwesenden Gäste gerichtet
-: Wir müssen uns solidarisch verhalten.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Gerade Sie sprechen jetzt von Solidarität?)
Ich glaube nicht, dass wir andere Nationen einfach außen vor lassen
können und bestimmen sollten: Die einen machen die Arbeit im Süden, die
anderen machen die Arbeit im Norden. Hier steht die Solidarität auf dem
Prüfstand. Auch die NATO steht auf dem Prüfstand. Wir müssen uns im
Norden und im Süden gemeinsam engagieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Zuruf von der
LINKEN: Sehen Sie da kein Problem?)
- Das ist überhaupt kein Problem. Allerdings ist es schwierig, Ihnen das
klarzumachen; das versuche ich aber schon gar nicht mehr.
Ich will noch einige Bemerkungen zu den Ausführungen von Herrn Nachtwei
machen. Lieber Herr Nachtwei, mit dem, was Sie zu EUPOL gesagt haben,
haben Sie völlig recht. Ich rede mir in den letzten Monaten den Mund
fusselig, um darauf hinzuweisen, was sich im Bereich von EUPOL abspielt.
(Walter Kolbow [SPD]: Aber nichts passiert! - Winfried Nachtwei [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: Slow Reaction Forces!)
Leider ist hier nur sehr wenig passiert. Es muss allerdings positiv
hervorgehoben werden, dass unsere Soldaten derzeit verstärkt mit der
Ausbildung von Polizisten beschäftigt sind. Das ist nicht ihre primäre
Aufgabe, aber hier tut sich wenigstens etwas. Das möchte ich an dieser
Stelle gerne positiv herausstellen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Ich sage ganz deutlich: Wir setzen den Schwerpunkt unseres Engagements
im Norden Afghanistans. Wenn es um Nothilfe geht, sind wir aber auch im
Süden des Landes vertreten. Gerade in den jüngsten Tagen ist wieder
einiges zu tun. Wir müssen unsere Solidarität unter Beweis stellen. Im
Norden des Landes sind wir im Rahmen ziviler und militärischer Missionen
vertreten. Wir verfügen über ein Aufgabenprofil, an das wir uns halten.
Erfolg wird uns aber nur dann zuteil - das wiederhole ich; denn das muss
immer wieder betont werden -, wenn wir uns im Rahmen der NATO insgesamt
solidarisch verhalten.
Allerdings gibt es Indiskretionen. Von Frau Homburger wird uns
vorgeworfen, es gebe nicht genug Informationen. Frau Kollegin, Sie haben
sich toll aufgeregt. Das hat aber nur zur Folge, dass der
Verteidigungsminister seine Anstrengungen zur Information an der
richtigen Stelle fortsetzen wird.
(Lachen der Abg. Birgit Homburger [FDP])
Es gibt auch solche Indiskretionen, die ich nicht verstehe und die
vielen erneut einen Vorwand liefern können, das gesamte Engagement
infrage zu stellen. Da wird polemisiert, da wird diskriminiert, und da
wird aus Büchern zitiert, die derzeit auf dem Markt sind. Wenn man genau
hinsieht, stellt man allerdings fest, dass die Verfasser dieser Bücher
ihre Aussagen schon relativiert haben und an bestimmten Stellen
Abstriche machen.
Zum Beispiel wird argumentiert, OEF sei nicht durch das Mandat gedeckt,
und die Ausrüstung wird kritisiert. Selbst Bob Gates hat sich in den
letzten Tagen zum Einsatz im Süden Afghanistans geäußert. 48 Stunden
später hat er seine Aussage relativiert. Durch dieses Verhalten trägt
man dazu bei, dass die Öffentlichkeit immer weniger Sympathie für unser
Engagement hat. Das ist natürlich Absicht. Man möchte den Einsatz
unserer Soldaten in der Öffentlichkeit diskreditieren.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?
Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):
Danke. Auch ich bin zornig, aber ich halte mich an das, was Sie sagen.
(Heiterkeit)
Vielleicht ist es ein guter Hinweis, dieses Argument anzuführen.
Ich glaube, dass wir am 6. oder 7. Februar dieses Jahres die
Entscheidung treffen werden, uns am Einsatz der Quick Reaction Forces zu
beteiligen. Warum eigentlich nicht? Er dient der Sicherheit aller
Soldaten. Dies dient auch der Sicherheit in diesem Land; deswegen
unterstütze ich das sehr. Soldaten in Afghanistan sind - das will ich
noch einmal sagen - keine Entwicklungshelfer; aber sie garantieren die
Sicherheit, ohne die Entwicklungshelfer nicht tätig sein können. Deshalb
müssen wir unseren Soldaten für ihren Einsatz danken. Ohne die Hilfe
unserer Soldaten gibt es keinen Frieden in diesem Land.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, mit oder ohne Zorn: Die Redezeit ist weit überschritten.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin, ich beuge mich. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Walter Kolbow [SPD]: Das war Demut!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die
Linke.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP, die Union und die SPD
haben uns vorgeworfen, hier Wahlkampf zu führen. Es ist interessant,
darüber nachzudenken. Man müsste zunächst einmal definieren, was
Wahlkampf ist. Für mich ist Wahlkampf der Versuch, Menschen von meinen
politischen Auffassungen zu überzeugen. Das mache ich als Politiker die
ganze Zeit; so gesehen bin ich immer im Wahlkampf, ist das für mich
nichts Besonderes.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Aber es gibt fairen Wahlkampf und es gibt unfairen Wahlkampf, und da
muss man unterscheiden. Nichts von dem, worum es hier geht, hat die
Linke entschieden; das alles haben andere entschieden. Deshalb stellen
wir das zur Diskussion.
Wie man auf Welt Online lesen kann, rückt laut NATO der erste
Kampfeinsatz der Bundeswehr offenbar immer näher. Das bringt den
Bundesverteidigungsminister in Nöte, sodass er diesen Einsatz erst nach
der Hessenwahl verkünden will. Da Sie mir das nicht glauben werden,
zitiere ich den SPD-Verteidigungspolitiker Jörn Thießen, der, wie es in
Bild steht, "vermutet, dass die Bekanntgabe des neuen Einsatzes bewusst
nach den Landtagswahlen erfolge". Ein ganz übler Wahlkampf ist das,
unehrlich ist das! Sagen Sie so etwas vorher!
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] -
Widerspruch bei der SPD)
Herr Schmidbauer, Sie haben gesagt, kein Hesse werde auf uns
hereinfallen. Ich sage Ihnen: Den miesesten Wahlkampf führt nun wirklich
Herr Koch. Ich möchte, dass von der Hessenwahl ein Signal ausgeht: dass
man in Deutschland mit ausländerfeindlichen Parolen keine Wahlen mehr
gewinnt.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Oskar Lafontaine hat über einen Bericht des Stern gesprochen. Als Sie
sich in diesem Zusammenhang aufregten, dachte ich, Sie wollten das
dementieren. Das wollten Sie gar nicht. Sie wollten nur sagen, dass die
Bundeswehr nicht beteiligt war und Sie dagegen sind. Er hat gar nicht
behauptet, dass Sie dafür sind; ich glaube, es ist eine
Selbstverständlichkeit, dass wir alle dagegen sind. Aber wir werden doch
noch sagen dürfen, was in Afghanistan passiert, woran man sich
beteiligt, wenn man Truppen dorthin schickt!
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] -
Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN - Walter Kolbow [SPD]: Der Stern hat das nicht belegt!)
Noch etwas Interessantes: Norwegen zieht seine schnelle Eingreiftruppe
ab, weil die politischen Kräfte sagen: Das ist der falsche Weg.
(Zuruf von der CDU/CSU: Neu! - Bernd Schmidbauer [CDU/CSU]: Das ist
gelungen!)
Und dann meldet sich Deutschland und bietet an, entsprechende Truppen zu
schicken!
(Bernd Schmidbauer [CDU/CSU]: Falsch!)
Sie reden hier die ganze Zeit davon, dass es darum geht, Afghanistan
aufzubauen. Eine schnelle Eingreiftruppe hat mit der Ausbildung der
Polizei, mit der Ausbildung der Armee, mit Mädchen, die zur Schule gehen
können, nichts zu tun.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Die Bundeswehr ist jetzt seit fast sieben Jahren dort. Was hat sie in
den sieben Jahren gemacht? Es gibt keine nennenswerte Polizei, es gibt
keine nennenswerte Armee, das Bildungswesen ist rückständig.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie einmal in
Afghanistan, Herr Gysi?)
Aber Sie haben immer noch die Illusion, mittels Krieg Terror bekämpfen
zu können.
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)
Nun zum Inhalt; was uns vorgeworfen wird, ist ja schwerwiegend. Der Chef
der norwegischen Eingreif-truppe hat gesagt, die Soldaten seien darauf
vorzubereiten, Krieg zu führen und das eigene Leben zu verlieren. Das
sagt Rune Solberg, nicht wir. Was meint Bundeswehrgeneral Kasdorf dazu?
In der FAZ vom 17. Januar steht zu lesen, wie er gefragt wurde:
Ist das sogenannte Targeting,
- das muss man übersetzen -
gezieltes Ausschalten gegnerischer Kämpfer, ein Vorgehen der Isaf wie
von OEF?
Seine Antwort:
Das gibt es in beiden Operationen. Das ist Teil des Targeting, das ist
Teil der Operationsführung.
Das ist gezieltes Töten, und das hat mit der Ausbildung von Mädchen
nichts zu tun, wenn ich das einmal sagen darf.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Herr Schmidbauer, Sie haben behauptet, dass man mittels Krieg Terror
bekämpfen kann. Terror verurteilen wir alle. Doch ist dieser Weg der
Bekämpfung des Terrors wirklich der richtige? Denken Sie einmal darüber
nach: Wir sind in einer Spirale der Gewalt. Wenn Sie eine Bombe werfen,
wenn Sie gezieltes Töten und andere Dinge verrichten, treffen Sie immer
auch Unschuldige. Das gilt auch in Afghanistan. Sie wissen, dass Sie zum
Beispiel Unbeteiligte und Unschuldige in Hochzeitsgesellschaften und
Geburtengesellschaften getroffen haben. Diese haben Freunde und
Angehörige. Dort entsteht Hass. Irgendein reicher Bin Laden nutzt dann
diesen Hass und rekrutiert Terroristen - übrigens auch
Selbstmordterroristen. Er macht das ja nicht selber, sondern findet
immer andere. Sie müssen meine Wut gar nicht schüren; die ist schon da.
Wir antworten dann wieder mit Bomben. Dann entstehen wieder neuer Hass
und neuer Terror.
Wenn die Industriegesellschaften nicht endlich Vernunft zeigen und aus
der Spirale der Gewalt herausgehen, dann gibt es keine Lösung.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb sagen wir: Die Bundeswehr muss aus Afghanistan zurückgezogen werden.
(Beifall bei der LINKEN - Bernd Schmidbauer [CDU/CSU]: Alter Kommunist
mit seinen Theorien! - Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fünf
Minuten Unwissenheit am Stück!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat der Kollege Rainer Arnold für die SPD-Fraktion das Wort.
Rainer Arnold (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Gysi und Herr
Lafontaine hätten wirklich einen Oscar für diese reife schauspielerische
Leistung, die sie hier abgeliefert haben, verdient. Sie war wirklich
sensationell.
(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Unverschämt!)
Der Inhalt Ihres Stückes ist aber wirklich so billig, dass ich fast
versucht bin, in diesem Zusammenhang von einer Schmierenkomödie zu reden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir führen heute deshalb eine überflüssige Debatte,
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Aha! Wir werden uns noch sprechen!)
weil wir uns im Rahmen des im Oktober sehr sorgsam beratenen Mandates
bewegen. Die Anzahl der Soldaten, die Aufgaben und die nördliche Provinz
- all das haben wir sorgsam abgewogen und im Oktober diskutiert und
entschieden. Deshalb ist diese Debatte heute wirklich überflüssig.
Wir bewegen uns im Rahmen des Mandates der Vereinten Nationen. Sie
versuchen immer, das Völkerrecht für sich zu reklamieren. Sie sollten
sich das Kapitel 7 der UN-Charta einmal sorgsam durchlesen. Dann würden
Sie nämlich feststellen, dass alle Mitglieder der Vereinten Nationen
aufgefordert sind, Beistand zu leisten, wenn die Vereinten Nationen
rufen. Sie koppeln sich von dieser ethischen und moralischen
Verpflichtung leider dramatisch ab.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Es wurde hier auch deutlich, dass die Aufgaben, die diese schnelle
Eingreiftruppe hat, nicht mit einem Wort zu fassen sind.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aha!)
Es sind vielfältige Aufgaben. Klar ist: Für die deutschen Soldaten wäre
nur ein Modul neu, nämlich, dass sie auch eine Sicherheitsvorsorge
betreiben. Was läge denn näher, als dass die Deutschen im Norden
Sicherheitsvorsorge für die Deutschen betreiben? Ohne dieses Modul wäre
der gesamte Einsatz nicht verantwortbar.
Sie sagen hier die Unwahrheit, wenn Sie behaupten, die Norweger zögen
ab, weil sie das Risiko nicht mehr eingehen wollen. Die Norweger leisten
in Afghanistan weiterhin sehr schwierige und ernsthafte Beiträge. Nach
einer seriösen einjährigen Vorankündigung leisten sie dieses Modul nun
nicht mehr, weil ihre kleine Armee in diesem Bereich keine
Durchhaltefähigkeit für viele Jahre hat. Dies und nichts anderes ist die
Wahrheit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zu dieser Sicherheitsvorsorge gehört natürlich auch - das gibt die UNO
vor -, dass die staatliche Ordnung in Afghanistan im Zweifelsfall mit
militärischen Mitteln durchgesetzt werden muss. Deshalb sind auch
Soldaten und nicht nur technische Hilfswerke da. Wir brauchen beides;
denn beides ist wichtig. Dies ist aber die Aufgabe der Soldaten. Das ist
auch verantwortbar und im Übrigen nicht gefährlicher als die Aufgaben,
die das PRT auf der Straße oder bei den Patrouillen ansonsten leistet.
Die Norweger haben in diesem Bereich in den vergangenen Jahren
glücklicherweise keine Verluste gehabt.
Nein, wir müssen das einmal vor dem Hintergrund von Schuld und
Verantwortung diskutieren, Kolleginnen und Kollegen von den Linken. Wir
wissen, dass wir eine große Verantwortung übernehmen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und eine große Schuld!)
Entsprechend sorgsam beraten wir das auch in meiner Partei. Wir machen
es uns nicht leicht. Wir machen uns diese Gedanken, und wir machen es
uns auch intern wirklich sehr schwer.
Das Gegenteil von Verantwortung übernehmen ist verantwortungsloses
Handeln. Wir wissen, dass man in einem solchen Einsatz möglicherweise
auch Schuld auf sich lädt. Eines ist aber auch klar: Wer in der Welt
helfen kann und wissentlich zuschaut, wie ein Volk unterdrückt und
ermordet wird, der lädt auf jeden Fall Schuld auf sich. Diesen
Zusammenhang müssen sich die Linken wirklich einmal klarmachen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ruanda!)
Meine Damen und Herren von der Linken, Sie klatschen, wenn Herr
Schmidbauer von Pazifismus spricht. In unserer Gesellschaft muss
Pazifismus sicherlich Platz haben. Auch in meiner Partei, der
Sozialdemokratie, sind Pazifisten willkommen. Aber Afghanistan ist
möglicherweise kein besonders geeigneter Ort, um den Menschen mit
pazifistischen Ideen zu helfen. Herr Lafontaine, in Wirklichkeit
bedienen Sie eine ganz andere, eine rechte, national denkende Klientel,
wenn Sie den Menschen einreden, es sei gut, wenn sich Deutschland zuerst
um sich selber kümmere und wenn es die Schotten dicht mache. Sie wollen
keine Verantwortung in der Welt übernehmen. Es ist schlimm, dass Sie als
sogenannter Linker dieses Lager ansprechen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Klar ist: Folgten der Deutsche Bundestag und 37 Na-tionen - eine ist auf
der Zuschauertribüne vertreten - Ihrem Ratschlag, fielen die Menschen in
Afghanistan in einen Steinzeitislamismus und eine Welt zurück, in der
Drogenkartelle allein das Sagen hätten. Sie sind damit völlig isoliert.
Wir sind auf einem schwierigen Weg. Aber wir werden ihn in aller
Sorgfalt weitergehen, bis die Menschen in Afghanistan selbst in der Lage
sind - und darum geht es -, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Dabei
helfen ihnen die deutschen Soldaten jeden Tag, und zwar nicht als
Haudraufs, sondern verantwortungsvoll, vorsichtig und mit angemessenen
Mitteln. Dafür sind wir sehr dankbar.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Sehr gute Rede!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Gert Winkelmeier.
(Beifall bei der LINKEN)
Gert Winkelmeier (fraktionslos):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Von Skandinavien kann
man eine Menge lernen, zum Bespiel wie eine Volkswirtschaft so
organisiert wird, dass bei den Menschen genügend für ein soziales Leben
ankommt. Man kann aber auch lernen, wie in der Bevölkerung geführte
Debatten von der Politik aufgenommen und die Anregungen in die Praxis
umgesetzt werden. Aus dem Unmut über das Missverhältnis zwischen
militärischen Ausgaben und ziviler Aufbauhilfe hat die norwegische
Regierung Konsequenzen gezogen: Die Mittel für die Aufbauhilfe wurden
gesteigert, die militärischen Kosten wurden gesenkt. Diese deutliche
Akzentverschiebung führt dazu, dass die norwegische schnelle
Eingreiftruppe ab Mitte 2008 dem deutschen Kommandeur des
Regionalkommandos Nord nicht mehr als Kampftruppe zur Verfügung stehen
wird. Sie wird stattdessen zum besseren Schutz der eigenen Aufbauteams
eingesetzt. Angesichts der kriegstreiberischen Rhetorik und des
rücksichtslosen Vorgehens anderer Verbündeter ist dieser Schritt
geradezu ein Akt der Vernunft.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
In Deutschland hingegen gehen die Uhren offensichtlich völlig anders.
Sie wollen dem Beispiel von gleich hohen Ausgaben für zivile Hilfe und
militärischen Einsatz nicht folgen. Bundesregierung und parlamentarische
Mehrheit scheren sich auch keinen Deut darum, dass die überwiegende
Mehrheit der Bevölkerung gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr ist, wie
eine Allensbach-Umfrage vom Oktober 2007 zeigt. Offenkundig verfängt die
Propaganda nicht mehr, den Krieg in Afghanistan als eine Art
Entwicklungshilfe in Uniform zu beschönigen. Die Regierung in einer
funktionierenden Demokratie muss doch Konsequenzen daraus ziehen, wenn
ihr Souverän, das Volk, in den fundamentalen Fragen von Krieg und
Frieden nicht mehr hinter ihr steht.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie hingegen haben das Politische verlassen und sich auf die Ebene der
militärischen Logik begeben. Das ist jedoch nicht Ihre Aufgabe. Mit der
leider absehbaren Entscheidung, das norwegische Kontingent durch eine
deutsche schnelle Eingreiftruppe zu ersetzen, geben Sie einem seit
Monaten medial aufgebauten Druck nach, der ausschließlich mit
militärischen Argumenten unterlegt wurde, einem Druck, an dem sich auch
Ihre eigenen Generale vor Ort und der Vorsitzende des
Bundeswehrverbandes beteiligt haben. Das norwegische Beispiel zeigt
aber, auf welchem Irrweg Sie voranschreiten. Zug um Zug lassen Sie zu,
dass Deutschland immer tiefer in einen neokolonialen Krieg verstrickt
wird, der den Widerstand der Afghanen gegen Besatzung und Besetzung
brechen soll.
Die Zahl der Anschläge im Winter 2007/2008 ist signifikant höher als ein
Jahr zuvor. Was dies für den Sommer bedeuten kann, kann sich jeder
ausrechnen. Wollen Sie dann wiederum militärisch eskalieren? General
Kasdorf, der Chef des ISAF-Stabes, hat am 17. Januar in einem
FAZ-Interview schon Kampfpanzer ins Gespräch gebracht.
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Hören Sie auf, sich von Generälen
politisch beraten zu lassen!
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wohin das führt, hat schon Hindenburg gezeigt und zeigt heute der
ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses Naumann mit seinen
hanebüchenen Forderungen nach einer nuklearen Ersteinsatzdoktrin für die
NATO. Stimmen Sie stattdessen dem Antrag der Linken zu, damit Sie nicht
ebenso von Ihren Sünden eingeholt werden wie jetzt im Fall Kosovo!
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Parlamentarischer Staatssekretär Thomas Kossendey hat jetzt
das Wort.
Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung:
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Präsidentin! Ich bedanke mich im
Namen der Bundesregierung für die intensive Anteilnahme, die das
Parlament an der möglichen Entsendung einer Quick Reaction Force nach
Afghanistan nimmt. Ich will allerdings neben den vielen konstruktiven
Beiträgen, die es hier gegeben hat, sehr deutlich sagen: Das, was die
Kollegen Lafontaine und Gysi hier vorgetragen haben, gehört einer Art
Demagogie an, die wir in Deutschland eigentlich überwunden glaubten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Widerspruch
bei der LINKEN)
Über diese Einheit, die möglicherweise in Afghanistan ihren Dienst tun
soll, ist hier einiges gesagt worden, was nicht ganz richtig war.
Deswegen lassen Sie mich noch einmal einige Fakten zusammentragen:
Im November hat unser Generalinspekteur die Generalinspekteure der
anderen im Norden Afghanistans vertretenen Nationen zu einer Besprechung
über die Frage eingeladen, wer nach dem Ausscheiden der Norweger die
Quick Reaction Force übernimmt. Daraufhin hat die NATO eine Umfrage
unter den zehn beteiligten Nationen veranstaltet, die Ende Januar
beendet sein soll. Bis dahin sollen mögliche Kontingente für die
Nachfolge der Norweger genannt werden. Die Ergebnisse werden dann
ausgewertet und am 7./8. Februar in Vilnius zu einer konkreten
Entscheidung gerinnen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aber wir wollen vorher eine Entscheidung
des Parlamentes!)
- Lieber Herr Gehrcke, halten Sie doch die NATO nicht für so
kleinkariert, dass sie auf deutsche Landtagswahlen Rücksicht nimmt! Ich
glaube, da gibt es andere Kriterien.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, das glaube ich auch!)
Ich denke, wenn die Entscheidung ansteht, wird das Ministerium die
entsprechenden Ausschüsse und das Parlament unterrichten. Dann können
wir gerne in Ruhe weiter darüber diskutieren.
Lassen Sie mich aber zu der Art und Weise, wie die Quick Reaction Force
arbeiten soll, noch einige Stichworte sagen; die Erfahrungen der
Norweger zeigen, was dort zu tun ist. Die Truppe der Norweger war in den
letzten zwei Jahren insgesamt 26-mal im Einsatz, davon zweimal in
Alarmeinsätzen. Im Wesentlichen ging es um Patrouilleneinsätze,
Absicherungsoperationen, den Einsatz gegen gewaltbereite Menschenmengen,
vor denen Menschen geschützt werden sollten, auch um
Evakuierungsaktionen, Zugriffs- und Durchsuchungsoperationen, um
offensive Operationen gegen gegnerische Kräfte; außerdem waren sie als
taktische Reserve im Norden Afghanistans eingesetzt.
Ich glaube, diese Truppe ist wichtig, weil dadurch der Ansatz, den wir
mit unseren über 3 000 Soldaten in Afghanistan verfolgen, unterstützt
wird. Das Arbeiten unserer Soldatinnen und Soldaten, aber auch der
zivilen Hilfsorganisationen wird dadurch sicherer. Ich denke, deswegen
ist es auch wichtig, dass sie gemeinsam mit den afghanischen
Sicherheitskräften, mit der afghanischen Armee, die übrigens
mittlerweile durch gute Ausbildung zur Hälfte aufgebaut worden ist, und
mit den afghanischen Polizeikräften, die schon zu einem gerüttelt Maß
existent sind und ihre Aufgabe wahrnehmen, operiert.
Dies bedeutet auch keine neue Qualität unserer Arbeit. Das ist zwar eine
neue Aufgabe - das sollte man sehr deutlich sagen -; aber diese
Eingreiftruppe war schon immer eine wichtige Teilkomponente der Arbeit
der Soldatinnen und Soldaten im Norden. Sie wurde bislang von den
Norwegern gestellt und unterstand dem Kommando des deutschen Generals.
Das heißt, wir hatten auch bislang schon für die Quick Reaction Force
der Norweger nicht nur eine politische, sondern auch eine militärische
Verantwortung.
Wir brauchten diese Soldaten dort nicht, wenn es nicht zumindest ein in
Teilen feindliches Umfeld gäbe. Was einige glauben, was unsere Soldaten
dort tun könnten - in Oliv Brunnen bohren oder Schulen bauen, sozusagen
als Ersatz für das Technische Hilfswerk -, hat Ihnen diese Regierung nie
vorgegaukelt.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Oh!)
Wir haben immer wieder sehr deutlich gemacht, dass im Rahmen der
ISAF-Operationen Soldaten helfen, aber auch kämpfen können müssen, um
den Aufbau dort voranzubringen. Sie müssen kämpfen können, wenn es
darauf ankommt; das hat Minister Jung in diesem Hause mehrfach gesagt.
Frau Kollegin Homburger hat die Ausrüstung angesprochen. Ich möchte Sie,
Frau Kollegin Homburger, darauf hinweisen, dass gerade in den letzten
zwei Jahren die Ausrüstung in den Einheiten, die in Afghanistan
stationiert sind, massiv verbessert worden ist. Wir haben einen Anteil
an geschützten Fahrzeugen, der so hoch ist wie noch nie. Mit Blick auf
den Bericht von General Warnecke sollten Sie sich vielleicht das in
Erinnerung rufen, was gestern im Ausschuss gesagt wurde. General
Warnecke hat an keiner Stelle seines Berichtes die Meinung geäußert,
dass die Ausrüstung seiner Einheiten unzureichend sei. Er hat
Optimierungsbedarf aufgezeigt. Wir erwarten von unseren Kommandeuren,
dass sie in ihren Berichten die Situation ehrlich und ungeschönt darstellen.
Ich komme nun zu dem vom Stern abgedruckten Buch, das hier erwähnt
worden ist. Das Ministerium hat jedes einzelne Kapitel daraufhin
durchgesehen, was sowohl für deutsche wie auch für NATO-Soldaten
zutreffen könnte. Wir haben bei keinem dieser Vorwürfe von
Menschenrechtsverletzungen einen präzisen Anhaltspunkt dafür gefunden,
dass sie zutreffen könnten. Das Beispiel mit den Äpfeln haben wir
ausführlich besprochen. Wir haben bei unseren Verbänden und bei allen
anderen NATO-Verbänden nachgeforscht, ob es irgendjemanden gibt, der
davon Kenntnis hat. Es hat sich niemand gemeldet. Ich muss Sie fragen:
Wie glaubwürdig ist eigentlich ein Zeuge, der fünf Jahre mit diesem
schrecklichen Geheimnis lebt, um es dann - wahrscheinlich gegen Geld -
einer Illustrierten zu verkaufen? Sie sollten bei der Nennung von Zeugen
etwas vorsichtiger sein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Kollege Gysi hat wieder einmal gefragt: Was hat das, was wir als QRF
bezeichnen, mit den Rechten von Frauen, mit dem Bau von Schulen usw. zu
tun? Sehr viel, Herr Kollege Gysi. Denn die Frauen könnten heute nicht
frei in Afghanistan leben, wenn es dort nicht die ISAF-Truppe gäbe.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Stimmt doch alles gar nicht! - Weitere
Zurufe von der LINKEN)
Die Schulen würden nicht wieder aufgebaut, wenn es die Truppe dort nicht
gäbe. Es wären dort auch keine 8 Millionen Schülerinnen und Schüler in
der Lage, in die Schule zu gehen, wenn wir dort nicht wären.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir werden an unserem Konzept festhalten. Es lassen sich für unsere
Aufgabe vier Stränge nennen: Wir werden schützen, helfen, vermitteln,
und wir werden da, wo es notwendig ist, auch kämpfen. Das ist ein
Auftrag, den unsere Soldaten dort schon haben. Wir werden auch in
Zukunft so handeln, wie es der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Egal
um welche Aufgabe unserer Soldaten es sich in Afghanistan handelt: Wir
werden sie mandatskonform wahrnehmen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sagen Sie doch einmal etwas zu den
gezielten Tötungen!)
- Herr Kollege Gehrcke, zu dem Thema "gezielte Tötungen" wird der
Kollege Ströbele eine sehr ausführliche Antwort bekommen. Denn das, was
Sie aus dem Interview von General Kasdorf herauslesen, nämlich dass sich
unsere Soldatinnen und Soldaten dort möglicherweise völkerrechtswidrig
verhalten, trifft in keinem einzigen Fall zu. Dies wird auch in Zukunft
nicht so sein, weil sich unsere Soldatinnen und Soldaten nach den ihnen
vorgegebenen Regeln richten. Darauf können Sie sich verlassen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Wir werden mandatskonform arbeiten. Wir werden in der Nordregion bleiben
und die Obergrenze von 3 500 Soldaten einhalten. Wenn irgendein Einsatz
außerhalb des Nordens erforderlich sein sollte, werden wir dies so
regeln, wie es durch das Mandat festgelegt worden ist. Wir werden
darüber in den Ausschüssen berichten. Von der politischen Leitung wird
dann entschieden. Daran brauchen Sie keinen Zweifel zu haben. Das haben
wir in der Vergangenheit auch so gemacht.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich bitte Sie alle ganz herzlich um
Ihre Unterstützung hinsichtlich einer sachgerechten Information über den
Afghanistan-Einsatz vor allem mit Blick auf mögliche Veränderungen. Wir
brauchen in Afghanistan einen langen Atem. Unsere Maßnahmen und die
unserer Partner zur Ausbildung der afghanischen Streitkräfte und der
afghanischen Polizei beginnen langsam Früchte zu tragen. Was der Kollege
Nachtwei in Bezug auf die Polizeiausbildung angemahnt hat, ist ein
Kapitel - das wissen wir aus langen Beratungen im Ausschuss -, das uns
natürlich nach wie vor beschäftigt. Wir werden Ende März mit 195 Kräften
bei EUPOL vertreten sein. Wir werden durch die Verstärkung der Feldjäger
die Arbeit effektiver gestalten. Es ist uns aber auch klar, dass es
dabei zu Rückschlägen kommen kann.
Wir werden uns davon nicht beirren lassen und werden unseren Beitrag im
Rahmen eines vernetzten Ansatzes auch in Zukunft einbringen. Wer heute
den Abzug unserer Soldatinnen und Soldaten fordert, der gibt grünes
Licht für die Rückkehr des Terrors. Das kann nicht unser Wille sein.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die SPD-Fraktion ist Detlef Dzembritzki der nächste Redner.
(Beifall bei der SPD)
Detlef Dzembritzki (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren
wahrlich nicht zum ersten Mal über das Thema Afghanistan. Einige in
diesem Haus wollen allerdings immer wieder den Eindruck erwecken, als
wenn wir über die Ereignisse, die im Augenblick in Afghanistan
stattfinden, überrascht sein müssten.
In einigen Reden ist gesagt worden, es gehe nur um Wahlkampf. Herr Gysi,
Sie haben diesen Gedanken hier zu Recht eingebracht. Auch ich finde es
bedrückend, mit welchen stilistischen Mitteln bei uns Wahlkampf geführt
wird. Eines muss ich Ihnen allerdings sagen: Sie werfen dem hessischen
Ministerpräsidenten zu Recht vor, er versuche, mit
Ausländerfeindlichkeit Wahlkampf zu machen. Ich kann Sie nur dringend
bitten, nun nicht den Versuch zu machen, mit Populismus, der noch
überzogener ist, gleichzuziehen und unsere Bevölkerung im Wahlkampf mit
völlig falschen Informationen zu bedenken.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Kollege Lafontaine, ich finde es wirklich vermessen,
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Was war denn falsch?)
wenn Sie aus einem Buch zitieren, dessen Argumente nicht belastbar sind,
und wenn Sie den Eindruck erwecken - dies versuchen Sie zumindest -,
wir, das Parlament, könnten mit dem Tatbestand einverstanden sein, den
Sie uns hier vorgeworfen haben. Dieser Versuch ist in schlimmer Weise
populistisch und reicht fast an demagogisches Verhalten heran.
Herr Kollege Lafontaine, ich habe alle Ihre Zurufe bei den Reden zuvor
ertragen müssen. Sie sagen, es gehe um Menschenleben. Natürlich geht es
um Menschenleben: um das Leben unserer Soldatinnen und Soldaten, um das
Leben unserer Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer und um das
Leben der afghanischen Bevölkerung, um Menschen, die auf unsere Hilfe
angewiesen sind.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])
Bei dem furchtbaren Attentat in der Zuckerfabrik in Baghlan ist kein
einziger Militär ums Leben gekommen. Es waren ausschließlich afghanische
Zivilisten, Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen, die dort umgebracht
worden sind. Natürlich geht es um Menschenleben. Menschen zu schützen,
das ist mit die Aufgabe, die unsere Bundeswehr und ihre Partner dort haben.
Es ist doch überhaupt nicht wegzudiskutieren, dass die Lage in
Afghanistan höchst schwierig und komplex ist. Wenn das nicht der Fall
wäre, wären wir nicht da. Ich habe vorhin gehört, dass wir von der
Koalition den Eindruck erweckt hätten, bei der Bundeswehr handele es
sich um eine Art THW. Ich habe von dieser Stelle aus mehrfach darauf
hingewiesen, dass wir zur Bewältigung der Aufgaben dort nicht das THW
entsenden können, sondern dass wir auf das Militär, auf eine
entsprechende Robustheit, angewiesen sind, um uns die notwendige Zeit,
die wir für den zivilen Aufbau brauchen, zu erarbeiten, der ohne diesen
militärischen Schutz nicht denkbar ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Kollege Nachtwei hat dankenswerterweise die Meinungsumfragen, die zu
unterschiedlichen Zeiten zum einen von kanadischer Seite und zum anderen
von der ARD angestellt worden sind, angesprochen. Ich fand das
hochinteressant, weil wir hier ja häufig über ein Bild diskutieren, das
zum Teil nur durch die veröffentlichte Meinung gezeichnet wird und nicht
durch Präsenz im Land. Wir haben hier zum Beispiel gehört, dass die
große Mehrheit der afghanischen Bevölkerung mit der militärischen
Präsenz nicht nur einverstanden ist, sondern sie auch weiterhin wünscht.
Das Empfinden ist dort doch nicht, dass wir als Besatzer oder als
Kriegstreiber gekommen wären. Die Menschen wissen vielmehr, dass wir
eine Schutzfunktion wahrnehmen. Sie wären bitter enttäuscht, wenn wir
aus Afghanistan herausgingen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])
Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, sich diese Untersuchung
anzuschauen, dann stellen Sie natürlich fest, dass die Hoffnungen nicht
voll erfüllt worden sind. Sie sehen auch, dass es 2006 und 2007 minimale
Enttäuschungen gab. Sie werden aber feststellen, dass eine breite
Mehrheit die Erwartung hat, dass die Solidarität mit Afghanistan
weitergeht; sie ist im Norden noch größer als im Süden. 60 Prozent der
Menschen in ganz Afghanistan sind der vollen Überzeugung, dass wir dort
unsere Arbeit leisten müssen. Schauen Sie sich zum Beispiel die
Zustimmung zur Militärausbildung und zur Polizei an: Über 75 Prozent der
Menschen in Afghanistan finden das richtig.
Umso wichtiger ist es dann - ich unterstreiche dies auch von unserer
Seite noch einmal -, die Effektivität im zivilen Tun enorm zu erhöhen.
Dies gilt für die Polizei, die Justiz, die Bildung und die Gesundheit.
All die Diskussionen, die wir hier im Augenblick führen, ob nun zur
schnellen Eingreiftruppe oder zu unserem militärischen Einsatz, machen
nur dann Sinn, wenn wir in der Lage sind, im zivilen Bereich die
Erwartungen zu erfüllen, die etwa im Afghanistan Compact
zusammengetragen worden sind und die die Menschen in Afghanistan an uns
haben. Nur dann ist die Sinnhaftigkeit des militärischen Handelns gegeben.
Deswegen mein dringender Appell an die Bundesregierung: Nehmen Sie all
die Debatten ernst, die wir gerade zum zivilen Bereich geführt haben,
unterstützen Sie die internationale Zusammenarbeit und steigern Sie die
Effektivität. Die Menschen in Afghanistan, aber auch die Menschen hier
in Deutschland warten darauf.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg.
Carl-Ludwig Thiele [FDP])
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Hans Raidel spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
Hans Raidel (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit es nicht
untergeht, will ich zuallererst unseren Soldaten im Einsatz für ihren
verantwortungsvollen Dienst herzlich danken und sie vor jedem Klamauk
und Krawall sowie vor jeder unseriösen Behandlung dieses Themas in
Schutz nehmen. Das ist notwendig.
Lieber Herr Lafontaine, lieber Herr Gysi, Sie wollen doch ernst genommen
werden. Denken Sie bitte einmal darüber nach, dass es von der
Erhabenheit zur Lächerlichkeit nur ein ganz kleiner Schritt ist.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Wir sehen gerade ein hervorragendes
Beispiel dafür!)
- Ja, an Ihnen; das haben Sie heute bewiesen. Das ist genau der Punkt.
Meine Damen und Herren, Fakt ist: Wir haben dieses Mandat beschlossen
und unsere sicherheitspolitischen Interessen und Verpflichtungen
seinerzeit ausreichend begründet. Die Zielsetzungen und die politischen
Vorgaben sind unverändert geblieben. Wir bewegen uns mit unseren
Aufgaben, auch wenn neue dazukommen, nur innerhalb dieses Mandates.
Alles andere erforderte eine neue Beschlussfassung in diesem Hause.
Derzeit liegt noch keine konkrete Anfrage vor. Diese Debatte ist also
eigentlich nicht zwingend erforderlich. Sie macht nur dann Sinn, wenn
wir militärisch wie politisch die richtigen Signale geben. Das erste
Signal heißt Solidarität. Unsere Verbündeten bei der NATO und unsere
Partner im Einsatz haben einen Anspruch darauf - dies sollen sie
zweifelsfrei wissen -, dass wir unverändert engagiert bleiben. Wir
tragen für die Nordregion in Afghanistan die Führungsverantwortung, in
die übrigens auch die Norweger eingeschlossen sind. Wenn sich Norwegen
jetzt aus dieser Aufgabe zurückzieht, bleiben sie nach ihrem eigenen
Bekunden mit einer neuen Aufgabenstellung weiterhin dort.
Für uns bedeutet dies Folgendes: Fiele diese Schutzkomponente ersatzlos
weg, entstünde ein nicht vertretbares Sicherheitsrisiko für die ISAF
insgesamt, aber natürlich insbesondere für unsere Soldaten. Im Sinne der
Sicherheitsvorsorge ist es also zwingend erforderlich, dass diese Lücke
wieder geschlossen wird. Für unseren eigenen Selbstschutz ist es
notwendig, auch darüber nachzudenken, diese Aufgabe selbst zu
übernehmen, natürlich bei bester Ausbildung und bester Ausrüstung sowie
mit besten Kräften und bei entsprechend großem Verantwortungsbewusstsein
der politischen und militärischen Führung.
Das zweite Signal sollte an unsere Bevölkerung gehen. Unsere
Sicherheitsinteressen müssen der Bevölkerung immer wieder klargemacht
werden. Es muss hervorgehoben werden, dass unser ISAF-Einsatz ein
ernsthaftes politisches und militärisches Engagement ist, das, wie ich
meine, mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit verdient.
Jeder Bürger weiß - wir sollten das noch einmal klarmachen -, dass
solche Einsätze immer auch ein Wagnis für Leib und Leben unserer
Soldaten sind. Vorhin wurde gesagt, dass der Tod näherrückt. Das ist je
nachdem, wie sich kritische Situationen entwickeln, durchaus richtig und
darf auch nicht verschwiegen werden.
Das dritte Signal muss an unsere Soldaten gehen. Von Anfang an war klar,
dass das Mandat auch Bewährung im Kampf bedeuten kann. Deswegen darf es
keinen Zweifel daran geben, dass wir, das Parlament bzw. die Regierung,
in schwierigen und fordernden Situationen eine besondere Verantwortung
haben und an der Seite unserer Soldatinnen und Soldaten stehen.
Wir müssen die politische Verantwortung und die Fürsorge für unsere
Soldaten in den Mittelpunkt stellen. Ich meine, alles andere wäre ein
falsches Signal. Deswegen ist die Forderung richtig, den Ausschuss sehr
detailliert über das Einsatzkontingent, die Ausbildung und die
Ausrüstung zu informieren, damit wir dazu beitragen können, die Weichen
richtig zu stellen. Wir haben volles Vertrauen in die militärische und
politische Führung.
Das vierte Signal muss an die afghanische Regierung und die afghanische
Bevölkerung gehen. Sie sollen wissen, dass wir dort verstärkt engagiert
bleiben. Das gilt auch für die militärische Versorgung und Absicherung.
Denn wie jeder weiß, ist ohne diese Absicherung der Wiederaufbau in
allen Bereichen der Daseinsvorsorge nicht möglich.
Das fünfte Signal muss an die Taliban gehen. Sie müssen verstehen
lernen, dass wir mit verbesserten operativ-taktischen Maßnahmen auch ein
klares politisches Zeichen für unseren festen Willen geben, -
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Hans Raidel (CDU/CSU):
- in Afghanistan weiter für Menschenwürde, Demokratie, Frieden, Freiheit
und Wohlstand einzutreten. Ich hoffe, dass diese Zeichen dort auch
richtig verstanden werden.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege!
Hans Raidel (CDU/CSU):
Für den Fall, dass die NATO-Anfrage kommt, signalisieren wir schon heute
unsere positive Einstellung dazu.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde bekommt der Kollege Gert
Weisskirchen für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD)
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege
Lafontaine, lieber Kollege Gysi, ich habe eine herzliche Bitte, auch
wenn ich nicht weiß, ob das noch zu Ihnen vordringt
(Widerspruch bei der LINKEN)
- ich bin mir da nicht ganz sicher -: Es geht in der Tat um
Menschenleben, um Tod und um Gewalt. Beides gibt es in diesem Land, wie
Sie wissen. Herr Lafontaine, ich darf Sie als früheren Sozialdemokraten
in allem Freimut bitten, eine Lehre, die uns Herbert Wehner mitgegeben
hat, sehr ernst zu nehmen. Diese Lehre besagt, dass man sich in den
politischen Debatten auch darüber im Klaren sein sollte, ob nicht die
Argumente und Instrumente, die man in der Debatte gebraucht, bestimmte
Grenzen überschreiten. Wenn - wie Herbert Wehner, glaube ich, zutreffend
festgestellt hat - kriegswissenschaftliche Methodik in einer Debatte in
der Weise eingesetzt wird, dass die Verantwortung der Politik im Mark
getroffen werden soll, dann muss man genau wissen, welche Grenzen man
überschreitet.
Was Sie vorgetragen haben, hat die Grenzen überschritten.
(Beifall bei der SPD)
Das will ich Ihnen deutlich sagen.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Grenzüberschreitung im militärischen
Sinne ist etwas ganz anderes!)
Es gibt nämlich sehr wohl das Problem, lieber Kollege Lafontaine, dass
man Menschenleben als Instrument einsetzt. Sie sind derjenige, der den
Tod instrumentalisiert und als Waffe in der Politik benützt. Damit ist
die Grenze deutlich überschritten, lieber Kollege Lafontaine.
(Beifall bei der SPD - Lachen bei der LINKEN - Oskar Lafontaine [DIE
LINKE]: Ach Gott, ach Gott! Mach dich doch nicht lächerlich!)
Ich will dazu nur eines sagen:
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Er ist immer bei der Friedensdemo hinter
mir mitgerannt!)
Es wird die Zeit kommen, in der über Schuld und Verantwortung im Detail
debattiert werden wird. Ich reklamiere, dass wir, die Sozialdemokratie,
in jedem Fall unserer historischen Verantwortung dann, wenn es darum
ging, unschuldigen Menschen zu helfen und, wenn es sein musste, auch
begrenzte militärische Gewalt einzusetzen, gerecht wurden und wir uns in
langwierigen, ernsthaften und quälenden Diskussionen darüber verständigt
haben. Im Falle von Afghanistan sind wir diesen Weg gegangen, und er ist
richtig, weil dies den Menschen in Afghanistan hilft, ihren eigenen,
selbstbestimmten Weg zu gehen, lieber Kollege Lafontaine.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Der entscheidende Schlüssel - insofern finde ich es etwas bedauerlich,
dass wir dieses Jahr gerade mit dieser Diskussion beginnen -, um
Afghanistan voranzubringen, ist Entwicklung.
(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Was machen Sie denn dafür?)
Der Außenminister sagte, dass wir den Menschen in Afghanistan in diesem
bitteren Winter helfen und ihnen zusätzliche Millionen an Finanzmitteln
zur Verfügung stellen. Die Menschen in Afghanistan haben Angst vor dem
Wintereinbruch, der gegenwärtig erkennbar ist. Wir wollen ihnen helfen,
damit sie über den Winter hinwegkommen und im Frühling und Sommer
Perspektiven haben, ihr Land durch Arbeit voranzubringen. Das ist es,
was nötig ist. Wir müssen mithelfen, damit dieses Land eine Chance hat,
sich selbst zu verändern und die Situation zu verbessern.
Lieber Kollege Lafontaine, wir alle sollten die Ängste, Sorgen und Nöte,
die alle in diesem Land haben, nicht instrumentalisieren, sondern wir
sollten unsere Verantwortung wahrnehmen und helfen, damit Afghanistan
eine Chance hat, sich so zu entwickeln, dass ein ziviler Aufbau in
diesem Land möglich ist. Das ist unsere erste und wichtigste Aufgabe
hier in diesem Parlament. Wir erfüllen diese Aufgabe; aber wir wissen
auch, dass es notwendig ist, diesen Aufbau in begrenzter Weise
militärisch zu sichern und zu unterstützen. Die Afghanen sollen wissen:
Wir lassen sie nicht allein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Quelle: Website des Deutschen Bundestags; www.bundestag.de
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