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Kundus "unter Kontrolle"

Bundeswehroffensive in Nordafghanistan fortgesetzt

Die Bundeswehr setzte ihre Angriffe auf afghanische Aufständische auch am Donnerstag (23. Juli) fort. CDU/CSU und SPD verteidigten das Vorgehen und weigern sich weiterhin, es als Krieg zu bezeichnen.

Kabul/Peshawar (dpa/AFP/ND). Im Rahmen der bislang größten Militäroffensive der Bundeswehr gegen die aufständischen Taliban haben deutsche und afghanische Soldaten einen Unruhedistrikt im Norden des Landes wieder unter Kontrolle gebracht. Der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammad Omar, teilte am Donnerstag mit, deutsche Truppen und afghanische Sicherheitskräfte hätten den Distrikt Char Darah am Vorabend von Taliban-Kämpfern und Qaida-Terroristen »gesäubert«.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kabul kamen vier afghanische Soldaten bei den Gefechten ums Leben. Der Provinzgouverneur berichtete, mindestens 13 Aufständische seien getötet und zahlreiche weitere verletzt worden.

An der seit mehreren Tagen andauernden Offensive sind rund 300 deutsche Soldaten und 900 afghanischen Sicherheitskräfte beteiligt. Verteidigungsminister Franz Josef Jung hatte den Einsatz am Mittwoch mit der Verschlechterung der Sicherheitslage im Raum Kundus durch Angriffe und »Hinterhalte« von Aufständischen begründet. Vor allem im Distrikt Char Darah hatte sich die Situation zuletzt massiv zugespitzt. Erst Ende Juni waren dort drei deutsche Soldaten bei einem Gefecht mit Taliban-Kämpfern ums Leben gekommen.

Die große Koalition hat die Kriegshandlungen der Bundeswehr in Nordafghanistan gegen kritische Stimmen verteidigt. Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Bernd Siebert (CDU), sagte am Donnerstag (23. Juli) dem Radiosender hr-Info, die Taliban müssten »als Terroristen und als Verbrecher bekämpft werden«. Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich erklärte auf WDR 5, die Stabilität in der Region müsse wieder hergestellt werden. Dafür seien im Mandat der Bundeswehr auch militärische Maßnahmen vorgesehen.

Am Vortag war bekannt geworden, dass die Bundeswehr bei ihrer bislang größten Militäroffensive am Hindukusch erstmals auch Panzer und schwere Waffen einsetzt. Der Grünen-Verteidigungspolitiker Winfried Nachtwei warf der Bundesregierung vor, den Afghanistan-Einsatz weiter zu beschönigen. »Soldaten, mit denen ich kürzlich in Kundus gesprochen habe, reden von Krieg«, sagte Nachtwei der »Münsterschen Zeitung« vom Donnerstag. Jung betont hingegen weiterhin: »Wir machen einen Stabilisierungseinsatz und keinen Krieg.«

Die pakistanische Armee hat bei Kämpfen im Nordwesten des Landes in Grenznähe zu Afghanistanmehr als 30 Rebellen getötet. In der Swat-Region tötete die Armee am Mittwoch nach eigenen Angaben 27 Aufständische und zerstörte drei ihrer Ausbildungslager. Bereits Dienstagabend griffen Kampfflugzeuge in der Region Sarwakai in Süd-Waziristan mutmaßliche Rückzugsorte des pakistanischen Taliban-Chefs Baitullah Mehsud an und töteten vier seiner Kämpfer.

Bei Angriffen im Distrikt Lower Dir im Norden der Swat-Region tötete die Armee bei Angriffen nach eigenen Angaben 16 Aufständische und zerstörte drei Ausbildungslager. In den benachbarten Distrikten Swat und Buner seien elf weitere Aufständische getötet worden. Erst vor zwei Wochen hatte Pakistans Regierungschef Yousuf Raza Gilani erklärt, die Taliban in der Region seien »eliminiert«. Zehntausende Flüchtlinge wurden daraufhin nach Swat zurückgebracht. Am Dienstagabend beschossen mehrere Jagdflugzeuge zwei Rebellenstützpunkte Mehsuds, wie ein Armeevertreter am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP sagte. Dabei seien die Stützpunkte zerstört und vier Aufständische getötet worden. Ein Regierungsvertreter bestätigte die Angriffe in den an Afghanistan grenzenden Stammesgebieten.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Juli 2009


Krieg ist keine Kunst

Von Ingolf Bossenz **

Die jetzt in Afghanistan rollenden und schießenden deutschen Panzer rufen an der Heimatfront Abwiegler wie Scharfmacher auf den Plan – und damit Zeitgenossen, die gleichermaßen unappetitlich sind.

Während Franz Josef Jung in autistischer Halsstarrigkeit auf einem »Stabilisierungseinsatz« beharrt, bringt »Bild« ein Fossil in Stellung, das immerhin so populär war, es regelmäßig auf die Liste der »peinlichsten Berliner« des Hauptstadtmagazins »tip« zu schaffen: Georg Gafron. Hatte dieser seine Qualitäten als kalter Krieger hinlänglich beim Radiosender Hundert,6 und beim Boulevardblatt »B.Z.« bewiesen, schlägt nun endlich die Stunde des heißen Kriegers. »Die Bundeswehr ist mit ihren Verbündeten im Krieg!«, schleudert Gafron dem Militärminister die unbarmherzige Wahrheit ins Gesicht. Und – so Gafrons Conclusio – das ist auch gut so. Denn: Afghanistan »darf nie wieder zum Ausbildungsort von islamistischen Terroristen werden, die den Rest der Welt mit Leid und Unglück überziehen«. Angesichts des Preises – auch in Menschenleben –, den diese zur Vernebelung schlichter imperialistischer Interessen geprägte und bis zum Erbrechen perpetuierte Formel mittlerweile erreicht hat, können wohl nur noch notorische Ignoranten derlei Durchhalteparolen verbreiten. Zumal man beim Insistieren auf einem kategorischen Imperativ wie »nie wieder« durchaus ein paar Gedanken daran verschwenden sollte, sich zu erinnern, dass dieses Wortpaar einmal mit Begriffen wie »deutsche Soldaten«, »deutsche Waffen« und »Krieg« eine sinnvolle und international geschätzte Verbindung eingegangen war.

Jung beschwichtigt das Volk, »Bild« macht es scharf. Eine Arbeitsteilung, die sich beim Ausbau des Kriegspfades zur Heerstraße rentieren kann. Denn, wie das Massenblatt am selben Tag auf seiner Titelseite meldete, wird es mittlerweile pro Tag von 11,63 Millionen Lesern konsumiert. »Kein anderes Medium«, so Chefredakteur Kai Diekmann stolz, »erreicht täglich so viele Menschen wie ›Bild‹ – auch keine einzige Fernsehsendung.« Das Hegelsche Gesetz vom Umschlagen der Quantität in Qualität nutzt leider auch Leuten, die ansonsten jeden Anflug dialektischen Denkens empört von sich weisen würden. Die bislang gegen den Afghanistankrieg stehende Mehrheit kann hierzulande ebenso unterminiert werden wie beispielsweise in Großbritannien, wo trotz ständig steigender Opferzahlen Gegner und Befürworter des Feldzuges fast gleichauf liegen. Der aktuelle Beweis für das Wirken dieses Gesetzes ist Afghanistan selbst, wo das unablässige Aufstocken der Truppen und die fortdauernde Eskalation militärischer Handlungen die jetzige »qualitative Veränderung« (Generalinspekteur Schneiderhan) bewirkten – hin zum veritablen Krieg. Es wäre gut, sich neben Hegel auf einen weiteren deutschen Meisterdenker zu besinnen: Immanuel Kant. Und auf seine Schrift »Zum ewigen Frieden«. Denn – entgegen der in Strategiebüchern seit Jahrhunderten strapazierten Behauptung – Krieg ist keine Kunst. Nicht im wörtlichen und nicht im übertragenen Sinn. Frieden schon.

** Aus: Neues Deutschland, 24. Juli 2009 (Kommentar)


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