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Bundeswehr brach Merkels Versprechen

Militärführung verhinderte Kundus-Untersuchung / Packen Schneiderhan und Wichert aus?

Von René Heilig *

Heute (18. März) tagt der Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestages zum ersten Mal öffentlich. Vorgeladen sind der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und der Ex-Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert.

Beide hätten heute Gelegenheit, sich für ihren Rauswurf durch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zu revanchieren. Der hatte behauptet, sie hätten ihm wichtige Informationen über den Luftangriff vom 4. September 2009 vorenthalten, bei dem über 140 Afghanen umgebracht wurden

Die Revanche wäre einfach mit der Wahrheit zu bewerkstelligen. Politisch wichtiger als die Wiederherstellung persönlicher Integrität sind aber Auskünfte über die vorsätzlich falsche Informationspolitik der schwarz-roten Bundesregierung. Guttenbergs Vorgänger Franz-Josef Jung (CDU) und die Militärführung leugneten wochenlang, dass bei dem vom deutschen Oberst Georg Klein befohlenen Angriff Zivilisten umgekommen sind.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am 8. September 2009 vor dem Parlament die »lückenlose Aufklärung des Vorfalls« versprochen, das sei für sie und die ganze Bundesregierung »ein Gebot der Selbstverständlichkeit. Die Bundeswehr wird mit allen zur Verfügung stehenden Kräften genau dazu beitragen.« Doch genau das tat die Bundeswehr nicht.

Die – zum Teil noch immer unter Verschluss gehaltenen – Fakten: Als Brigadegeneral Jörg Vollmer, damals ISAF-Militärchef der afghanischen Nordregion, am 4. September kurz vor acht Uhr afghanischer Zeit die Meldung über den Bombenangriff erhielt, sei ihm klar gewesen, dass es zivile Opfer gegeben hat. So teilte er es dem Untersuchungsausschuss am Montag mit. Und so hatte er es am Morgen des 4. September auch mit dem Kommandeur des Potsdamer Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Rainer Glatz, besprochen. Der wiederum erinnert sich genau, im morgendlichen Video-Gespräch mit dem stellvertretenden Generalinspekteur Johann-Georg Dora und anderen Ministeriumsmilitärs mitgeteilt zu haben, dass zivile Opfer nicht auszuschließen sind.

Sein »Bauchgefühl« deckte sich mit einem sogenannten INTSUM-Bericht, den der zuständige Bundeswehr-Nachrichtendienstler in Kundus am 4. September 15.30 Uhr Ortszeit ins interne ISAF-Netz gestellt hat. Dann notierte der penible Glatz nach einem Telefonat mit Vollmer: Brigadegeneral Vollmer »hat gegen 20 Uhr veranlasst, dass die Meldung wieder aus dem Netz genommen wird«. Glatz wie Vollmer begründeten das Löschen damit, dass die Meldung – was absolut üblich ist – nicht vom Kundus-Oberst Klein autorisiert war.

Es ist jedoch auch eine andere Deutung der Vorgänge möglich. Am 4. September um 6 Uhr hatte das Verteidigungsministerium bereits seine Desinformationskampagne gestartet und eine Pressemeldung veröffentlicht, wonach beim Angriff 50 feindliche Kämpfer getötet wurden. »Unbeteiligte«, so wiederholte der Ministeriumssprecher Christian Dienst kurz darauf vor der Bundespressekonferenz, seien »nicht zu Schaden gekommen«.

Die Sprachregelung »keine zivilen Opfer« war ausgegeben, obwohl deutsche Feldjäger vor Ort bereits am 4. September zu anderen Erkenntnissen gelangt waren. Am 7. September hat Generalinspekteur Schneiderhan befohlen, sofort alle deutschen Untersuchungen einzustellen. General Glatz wurde persönlich dafür verantwortlich gemacht, dass die letzte Kopie des Untersuchungsberichtes aus Kundus nach Deutschland geschafft und hier »gesichert« wird. Die für den 7. September angesetzte Vernehmung von Oberst Klein fiel aus. Offiziell hieß es, man wolle den amtlichen NATO-Bericht abwarten. Im Hintergrund stand vermutlich die Absicht, das Thema vor der Bundestagswahl am 27. September »klein« zu halten. Erst am 29. September meldete sich Schneiderhan wieder und nannte – entgegen dem NATO-Bericht – den Angriff »militärisch angemessen«.

Auskünfte dazu könnte auch das Auswärtige Amt geben. Dort waren ebenfalls bereits am 4. September E-Mails aus Kundus über getötete und verwundete Zivilisten angekommen. Entsprechend rhetorisch vorsichtiger taktierte der damalige Vizekanzler und Amtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Die militärische Taktik ist durchschaubar, nun müsste der Ausschuss klären, wer die politische Strategie bestimmte. Der heute ebenfalls vorgeladene Ex-Staatssekretär Peter Wichert böte sich als der Sündenbock an, der Merkels Versprechen torpedierte. Lehnt er diese Rolle ab, könnte die des Kanzleramts interessant werden.

* Aus: Neues Deutschland, 18. März 2010

Zur Sache

Internationaler bewaffneter Konflikt

Von Normen Paech **

Im Krieg stirbt bekanntlich die Wahrheit zuerst. Um wie viel schwerer hat sie es, danach wieder aufzuerstehen – wenn es ihr überhaupt gelingt. Gut acht Jahre brauchte die Regierung, um den »Krieg gegen den Terror« auf seinem tödlichsten Kriegsschauplatz in Afghanistan zumindest als »kriegsähnlich« zu bezeichnen. Ein Minister musste darüber ausgewechselt werden. Der »Stabilisierungseinsatz« war angesichts der realen Destabilisierung der Lage am Hindukusch nicht mehr überzeugend. Das Massaker von Kundus trieb jedoch die Diskussion weiter und nun in juristische Gefilde. Dort geht es vor allem um die strafrechtliche Beurteilung der Verantwortlichen, wo der Begriff des Krieges nicht hilft. Dort geht es um den »„bewaffneten Konflikt«“, der für die Beteiligten (Kombattanten) bestimmte Rechte und Pflichten im Völkerrecht begründet. Wer sich hier etwas zu Schulden kommen lässt, beispielsweise Zivilpersonen angreift oder mit seiner Kriegsführung große Leiden und schwere Beeinträchtigungen der Gesundheit verursacht, wird nicht nach dem normalen Strafrecht zur Rechenschaft gezogen, sondern nach dem Völkerstrafrecht. Dieses ist in dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshof von 1998 und dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch von 2002 kodifiziert.

Dass es sich in Afghanistan um einen bewaffneten Konflikt handelt, darüber gibt es keine Diskussion. Wohl aber darüber, ob es sich um einen internationalen oder nichtinternationalen Konflikt, also einen Bürgerkrieg handelt. Denn nun hat die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe »nach eingehender juristischer Prüfung des ihr vorliegenden Materials« entschieden, dass die Bundeswehr in Afghanistan an einem »nichtinternationalen Konflikt« beteiligt sei. Die Bundesregierung hat diese Sprachregelung sofort übernommen. Zum Glück hat die Bundesanwaltschaft ihre Äußerung nur als »Zwischenergebnis« bezeichnet und sich damit eine Tür zur ganzen Wahrheit offen gehalten.

Ein Bürgerkrieg ist das Kriegsgeschehen am Hindukusch schon lange nicht mehr. Es hat seit Jahren die Grenze zu Pakistan überschritten, das US-Militär spricht realistischerweise von AfPak, wenn es den Kriegsschauplatz und die regionalen Anforderungen der Kriegsführung umschreibt. Auf der Seite der Taliban und des Widerstands kämpfen nicht nur Afghanen, sondern Pakistaner, Saudis, Tadshiken, Tschetschenen etc. und auf der Seite der afghanischen Regierung stehen immerhin 40 fremde Staaten in der einen oder anderen Form im Einsatz. Genau betrachtet ist dieser Krieg seit Oktober 2001 nie bloß ein Bürgerkrieg, sondern ein internationaler bewaffneter Konflikt gewesen.

Warum die Bundesanwaltschaft noch nicht zu dieser Erkenntnis vorgedrungen ist, ist unklar. Denn an der strafrechtlichen Verantwortung von Oberst Klein ändert sich nichts. Er muss sich in jedem Fall mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass er bei seinem Angriff auf die Tanklastzüge »mit Sicherheit erwartet (hat), dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen …verursachen wird«. Dies ist ein Kriegsverbrechen, das mit einer »Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft« wird.

** Prof. Dr. Norman Paech war 2005 – 09 außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.

Aus: Neues Deutschland, 18. März 2010




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