Dem Heer gehört vielleicht ein Stück vom Himmel - in Deutschland
Bilderbuch-Übungen sind das eine, der Auslandseinsatz ist gefährlicher - in Afghanistan wurden wieder drei Bundeswehrsoldaten verwundet
Von René Heilig *
Gestern wurden die drei bei einem Selbstmordanschlag nahe der
nordafghanischen Stadt Kundus verletzten Soldaten nach Deutschland
zurückgeflogen. Ihr Zustand sei stabil, sagt das zuständige
Einsatzführungskommando in Potsdam.
Das muss man dem Militär lassen: Die - wie sie in der Bundeswehr genannt
wird - »Rettungskette« funktioniert. Unmittelbar nach dem Anschlag waren
die drei Männer von der im Saarland stationierten Luftlande-Brigade 26
medizinisch versorgt worden. Man flog sie mit einem Hubschrauber ins
Lazarett nach Masar-i-Scharif, stabilisierte ihren Zustand, brachte sie
nach Temez. Von dort ging es im MedEvac-Airbus nach Köln-Wahn. Bis ins
Zentralkrankenhaus nach Koblenz war es dann nur noch ein kleines Stück.
Über die Hintergründe des Anschlages gibt die Bundeswehr nur wenig
Informationen. Nach ersten Erkenntnissen - die auch gestern noch nicht
wesentlich präzisiert wurden - sprengte sich ein Motorradfahrer neben
einer Patrouille in die Luft. Das geschah rund 35 Kilometer von Kundus
entfernt auf einer Landstraße. Die Soldaten waren alle an Bord
gepanzerter Fahrzeuge, versichert das Einsatzführungskommando.
»Schließlich fahre man da nicht wie bei einem Touristikausflug umher.«
Der Anschlag auf den Konvoi, der zwischen dem deutschen Stützpunkt
Kundus und dem südlich davon gelegenen Pul-i-Kumri unterwegs war, sei
aus heiterem Himmel erfolgt. Der Motorradfahrer habe nicht erkennbar
Sprengstoff am Körper getragen und ihn in Höhe des Konvois gezündet. So
beschrieb der zuständige Polizeichef Baghlans, Abdul Rahman Sayedchail,
die Situation.
Zu dem Attentat bekannt haben sich die Taliban - deren Propagandaapparat
tadellos funktioniert, wenn es darum geht, erfolgreiche Operationen noch
»erfolgreicher« zu vermelden. Sabiullah Mudschahid, der Talibansprecher
für den Norden und Osten, sagte, ein Kämpfer namens Abdullah habe die
Operation ausgeführt. Laut Mudschahid sollen zwölf ausländische Soldaten
getötet worden sein.
»Militärische Einsätze außerhalb Deutschlands sind das bestimmende
Merkmal im Alltag der Bundeswehr« - und nicht ohne Grund nennt
Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan in seiner VS-gestempelten
Bundeswehrplanung 2009 die Teilnahme an ISAF als erstes. Ȇbergeordnetes
Ziel der Transformation bleibt unverändert die nachhaltige Verbesserung
der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr im vorgegebenen Aufgabenspektrum.«
Wie man sich das an Schreibtischen im Berliner Bendler-Block vorstellt,
ließ Heeresinspekteur Hans-Otto Budde bei der ILA 2008 im Mai vorführen.
»Ein Stück des Himmels gehört dem Heer«, hieß es auf Plakaten. Dann
kreisten mattgrüne Hubschrauber in großer Anzahl. Alte UH-1D setzten
Aufklärer ab, neue NH 90 flogen als Führungsstationen, CH-53-Lastentiere
setzten Soldaten ab und schleppten Wiesel-Panzer sowie Mungo-Transporter
heran. In Null-Komma-Nichts war der »feindliche« Flugplatz fest in der
Hand der überlegenen Bundeswehr. Die Division Luftbewegliche Operationen
hat gezeigt, was sie kann. Auf dem Übungsfeld in Berlin-Schönefeld.
Die Wirklichkeit ist anders, und selbst wenn die Bundeswehr alle
erwünschten technischen Mittel - also mehr geschützte Fahrzeuge, mehr
elektronische Aufklärungsmittel, unter anderem gegen Sprengfallen, oder
mehr einsatzfähige Helikopter bekommt - es sind immer die einfachen
Lösungen, mit denen Taliban- und andere zu allem bereite Attentäter
erfolgreich sind. Die Sicherheitslage in und um Kundus hat sich in den
vergangenen zwei Jahren deutlich verschlechtert. Vor eineinhalb Jahren
wurden dort bei einem Selbstmordanschlag im Stadtzentrum drei
Bundeswehrangehörige getötet. Experten warnen erneut: Der Kampf habe
erst begonnen. Der einst fast friedliche Norden, in dem die Bundeswehr
führende Besatzungsmacht ist, wird immer mehr zum Frontgebiet.
* Aus: Neues Deutschland, 8. August 2008
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