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Kritik an Karsais Kritik

NATO verärgert über Afghanistans Präsidenten

Bundesverteidigungsminister de Maizière hat den afghanischen Präsidenten Karsai wegen einer abfälligen Bemerkung über den internationalen Militäreinsatz in Afghanistan kritisiert.

In der NATO stößt die heftige Kritik des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai am internationalen Militäreinsatz in seinem Land auf Unverständnis. »Diese spezielle Äußerung hat mich befremdet«, sagte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière am Mittwoch bei einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel. »Und sie entspricht nicht dem, was die afghanische Bevölkerung uns jeden Tag sagt.« Zudem habe sich Karsai in der Vergangenheit »oft auch sehr positiv« über den Einsatz geäußert.

Der NATO-Einsatz habe Afghanistan »viel Leid gebracht, den Verlust zahlreicher Leben und keine Vorteile, denn das Land ist nicht sicher«, hatte Karsai vor rund zwei Wochen dem britischen Rundfunksender BBC gesagt. Ebenso wie de Maizière widersprach auch der britische Verteidigungsminister Philip Hammond der Darstellung des afghanischen Staatschefs. Zu Beginn des Einsatzes habe es weder eine effektive Staatsführung noch eine öffentliche Verwaltung gegeben. »Wir haben die Situation ins Gegenteil gekehrt«, sagte der Brite. Millionen mehr Kinder könnten nun zur Schule gehen, neue Straßen seien gebaut worden, es gebe ein funktionierendes Gesundheitssystem und eine viel bessere Sicherheitslage. »Natürlich wird es sich in Afghanistan niemals wie in der Schweiz anfühlen, aber das ist auch nicht das, was wir zu erreichen erwarten.«

Die NATO-Verteidigungsminister berieten mit ihrem afghanischen Kollegen Bismillah Khan Mohammadi und den Nicht-NATO-Staaten, die am Afghanistan-Einsatz teilnehmen, über die 2015 beginnende Ausbildungsmission »Resolute Support« (Entschiedene Unterstützung). Damit es aber überhaupt dazu kommt, pocht die Allianz auf Abkommen mit der afghanischen Regierung über den rechtlichen Status ihrer Truppen.

Erster Punkt auf der Tagesordnung des Verteidigungsministertreffens war erstmals seit zweieinhalb Jahren wieder eine Sitzung des NATO-Russland-Rats. »Wir hoffen sehr und arbeiten daran, dass die Beziehungen zwischen der NATO und Russland nun wirklich auch besser werden können und eine Phase des Stillstands überwunden wird«, sagte de Maizière.

Thema war unter anderem der Raketen-Abwehrschild für Europa, den die NATO aufbaut. Russland fühlt sich durch den Schild bedroht, über eine von der NATO angebotene Zusammenarbeit gibt es bisher keine Übereinkunft. »Aber wir sind und alle einig, dass weitere Gespräche der richtige Weg nach vorne sind«, sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Oktober 2013


Brückenkopf für de Maizière

Von Uwe Kalbe **

Man sitze am Bildschirm und müsse mit ansehen, was passiert. Statt selbst zu reagieren, müsse man die Luftwaffe anfordern. So klingt es, wenn ein General jammert. Über die unbemannten Aufklärungsflugzeuge, die nicht schießen können. Der deutsche Befehlshaber in Nordafghanistan drängt auf die Ausrüstung mit bewaffneten Drohnen. In Afghanistan ist damit zwar kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Die Mission, die der General im Einsatz damit nebenher erfüllt, ist deshalb eine politische. Eine Gewöhnungsmission, die die Bundeswehr neben ihren Einsätzen seit den 90er Jahren immer zeitgleich zu erfüllen hat. Einen Brückenkopf errichtet der General für den nächsten Einsatz, wo immer er stattfindet. Und Schützenhilfe leistet er für seinen Dienstherrn.

Der hat im Grunde das gleiche Problem wie sein General. Minister de Maizière kann immer nur mit ansehen, was passiert. Statt zu agieren, wenn in der NATO Entscheidungen fallen, muss er das Votum des Bundestags anfordern. Deshalb schlägt er jetzt Ländergruppen für die NATO-Aufrüstung vor, sozusagen flexible Kampfeinheiten, in denen die Länder mit der größten Rüstungsindustrie das Sagen haben. Deutschland etwa. Ähnlich soll es dann bei den Einsätzen laufen. Natürlich braucht es dafür mehr Befugnisse und weniger Parlament. Bewaffnete Drohnen sowieso.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Oktober 2013 (Kommentar)


Aufstand der Statthalter

Sharif und Karsai widersprechen Obama

Von Werner Pirker ***


US-Präsident Barack Obama blieb die Antwort im Hals stecken, als der pakistanische Regierungschef Nawaz Sharif anläßlich seines Staatsbesuches in den USA ein Ende der amerikanischen Drohnenangriffe forderte. In einer gemeinsamen schriftlichen Erklärung hieß es dann aber immerhin, daß die Partnerschaft beider Länder auf »den Prinzipien des Respekts der Souveränität und territorialen Unversehrtheit« basiere. Solange die völkerrechtswidrigen Drohnenattacken auf dem Territorium der Islamischen Republik andauern, ist genau das nicht der Fall.

Mehrere tausend Menschen sollen bei diesen Angriffen allein in Pakistan bereits ums Leben gekommen sein. Ein großer Teil unter ihnen waren als »Kollateralschäden« verbuchte Zivilisten. Barack Obama hat die heimtückischen Drohnenangriffe zu seiner Spezialdisziplin gemacht. Die Al-Qaida-Leute, die er in Jemen, Pakistan und Afghanistan jagen läßt, hat er in Syrien als Sturmbrigade des Regimewechsels unter Vertrag genommen.

Nicht nur die Pakistani sind es leid, ihr Land als Schlachtfeld für den US-»War on terror« mißbrauchen zu lassen. Auch die Afghanen wollen sich mit der gewalttätigen westlichen Einmischung nicht länger abfinden. Präsident Hamid Karsai hat dieser Stimmung Ausdruck verliehen, als er dem Besatzungsregime bescheinigte, »viel Leid, den Verlust zahlreicher Leben und keine Vorteile« gebracht zu haben. Das sagte immerhin der Mann, den die US-Interventen mit in ihrem Gepäck hatten. Aber der will freilich nun angesichts der zu erwartenden Neuverteilung der Macht das Image eines von den Besatzern inthronisierten Statthalters schnell noch loswerden. Die westlichen Kriegsherren sind schier sprachlos ob der »Frechheiten« ihres Mannes in Kabul.

Die westlichen Militärinterventen wollen auch nach dem Ende der Besatzung am Hindukusch präsent bleiben. Deshalb fordern sie von der Regierung in Kabul, ein Truppenstatut für die Stationierung von ausländischen Soldaten für die Zeit nach 2014 zu ratifizieren. Offiziell soll das unter der Bezeichnung »Ausbildungsmission für die afghanischen Sicherheitskräfte« laufen. Der Pferdefuß dabei: Kabul müßte den Ausbildern volle juristische Immunität zusichern. Was als Programm zur Befähigung der Afghanen, selbst für die Sicherheit in ihrem Land zu sorgen, erscheint, wäre in Wahrheit eine drastische Einschränkung der afghanischen Souveränität und ein Freibrief für Kriegsverbrechen. Der von den Westmetropolen gegenüber Kabul angeschlagene Ton wird zunehmend rauher. Das Abkommen soll unter allen Umständen verabschiedet werden, andernfalls will man die Afghanistan zugesagten Gelder stoppen.

Der NATO-Krieg hat zu keiner Befriedung der Situation am Hindukusch geführt. Die Verhältnisse sind instabiler, als sie vor der Militärintervention waren. Da aber der Westen sein Scheitern nicht akzeptieren will, wird die afghanische Katastrophe so schnell kein Ende nehmen.

*** Aus: junge Welt, Freitag, 25. Oktober 2013 (Kommentar)


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