Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Auf verlorenem Posten"

Hoher US-Diplomat quittiert seinen Dienst in Afghanistan aus Protest gegen den sinnlosen Krieg / US diplomat resigns over Afghan war

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die sich mit dem demonstrativen Rückzug eines US-Diplomaten aus Afghanistan befassen (der zweite Artikel in Englisch). Den denkwürdigen Brief - er ist vom 10. September 2009 datiert und wurde erstmals von der "Washington Post" im Internet veröffentlicht - haben wir hier dokumentiert: "Dear Amassador Powell".

"..aber warum und wozu?"

"Kein Peacenik und kein Hasch rauchender Hippie", einer, der nichts gegen das Töten hat - der erste höherrangige US-Vertreter, der seinen Posten in Afghanistan aus Protest gegen den Krieg aufgibt *

Unter der Präsidentschaft Bush/Cheney wäre Matthew Hoh höchstwahrscheinlich anders dargestellt worden. Die Washington Post zeichnet ein durchweg positives Porträt von dem ehemaligen Marine, der Kampfeinsätze im Irak, Karrierestationen im Pentagon, im Außenministerium hinter sich hat und nun eine leitende Position als US-Vertreter für die Provinz Zabul in Afghanistan. Matthew Hoh hat gekündigt. Seine Begründung legte er in einem mehrseitigen Brief dar. Der amerikanische Botschafter in Kabul, Karl W. Eikenberry, reagierte auf die Kündigung des Mannes mit einem neuen Jobangebot, an höherer Stelle in der Botschaft; auch der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Richard Holbrooke, lockte mit einem guten Posten in der amerikanischen Hauptstadt, weit weg vom Krieg.

Das ist an sich nichts völlig Neues - mit solchen Angeboten hat man seit jeher Kritiker zum Leistertreten gebracht - , bemerkenswert sind aber die Kommentare der Führung, soweit sie von der Zeitung veröffentlicht werden, allesamt gestehen sie nämlich dem Abtrünnigen trifftige Einsichten zu. Holbrooke ist nicht der Einzige mit seiner Äußerung: "I agreed with much of his analysis." Einverstanden ist er nur nicht mit dem Schluss, den Hoh aus seiner Analyse zieht: Dass der Krieg in Afghanistan kein weiteres Opfer mehr wert ist. Er habe das Vertrauen verloren, dass die amerikanischen Soldaten, die in Afghanistan ihr Leben opfern, dies für einen Zweck tun, der dies wert ist. Aus seinem Kündigungsschreiben zitiert die Zeitung:

"I have lost understanding of and confidence in the strategic purposes of the United States' presence in Afghanistan. I have doubts and reservations about our current strategy and planned future strategy, but my resignation is based not upon how we are pursuing this war, but why and to what end."

Er sei kein "Peacenik", kein "pot-smoking hippie", so Hoh. Es gebe eine Menge Kerle, die getötet werden müssten, nie sei er glücklicher gewesen als im Irak, wenn sein Team eine Gruppe solcher Kerle fertig gemacht hätten.

Zwei Einsichten Hohs gaben nach seinen Äußerungen hauptsächlich den Ausschlag, den Krieg in Afghanistan als sinnlosen zu begreifen und den verlorenen Posten zu verlassen: die Einsicht, dass viele Afghanen nur gegen die USA kämpfen, weil deren Soldaten in dem Land sind. Die andere Einsicht, die ihn nach eigenen Worten "schockierte": Die Truppen hätten es, anders als er dies lange Zeit glaubte, nicht mit einem nationalen Widerstand zu tun, sondern mit einem lokalen Widerstand:

"I thought it was more nationalistic. But it's localism. I would call it valley-ism."

Seine eigenen Erfahrungen in Korengal und Zabul hätten ihm vor Augen geführt, wie sehr die Widerstandsgruppen von örtlichen Interessen geleitet seien. Manche Gruppen würden nicht einmal Verbindungen zu Gruppierungen unterhalten, die nur wenige Kilometer entfernt seien. Von den "hunderten, vielleicht tausenden" dieser Gruppen in ganz Afghanistan, gibt es seiner Anschauung nach nur wenige, die "ideologische Verbindungen" zu den Taliban hätten. Deren Geld werde aber gern genommen, um die ausländischen Eindringlinge zu vertreiben und die eigene örtlichen Machtbasen zu halten. Seiner Beobachtung nach nähren sich große Teile des Widerstandes von der Loyalität der Ortsansässigen zu ihren Familien, Dörfern, Tälern und ihren finanziellen Unterstützern. Die Lektion, die er daraus zieht, hat man schon in den achtziger Jahren lesen können:

"Mit dem Freiheitsdurst dieses Volkes (der Paschtunen, Erg. d.A.) muss rechnen, wer Afghanistan in seine Gewalt bringen will. Wer sich den Blick freigehalten hat für das wichtigste Material der Geschichte, den Menschen, der kann aus den Annalen Afghanistans nützliche Lehren ziehen. Die Paschtunen sind das aktuellste Beispiel dafür, dass die Mächtigen ihre Geschichtslektionen immer wieder neu lernen müssen. Und dafür dass die Völker immer wieder diese Lektionen mit ihrem Blut bezahlen." (Jörg Fauser, Die Killer vom Khaiberpaß, 1980)

Thomas Pany, 27.10.2009

* Aus: Telepolis, 27. Oktober 2009; www.heise.de/tp


US diplomat resigns over Afghan war

AFP, Published: Tuesday October 27, 2009 **

The State Department on Tuesday tried to diffuse the embarrassing resignation of a diplomat who publicly criticized the Afghan war, saying his views were being "taken very seriously."

Matthew Hoh, 36, was the senior State Department official in Afghanistan's Zabul province -- a hotbed of Taliban militancy -- until last month when he became the first US official known to have resigned in protest at the eight-year war.

In a letter to his bosses, Hoh described the United States as "a supporting actor" in Afghanistan's decades-old civil war, adding that he had "lost understanding of and confidence in" the US mission.

He dismissed arguments that the United States must rout the Taliban and Al-Qaeda in Afghanistan in order prevent attacks on the United States.

"(That) would require us to occupy western Pakistan, Somalia, Sudan and Yemen, etc," he wrote.

Hoh's complaints were taken to the top of the State Department, including to special envoy for Afghanistan and Pakistan Richard Holbrooke.

White House officials also saw the four-page resignation letter several weeks ago when it first began to circulate, but not President Barack Obama, who read about it in the Washington Post Tuesday, White House press secretary Robert Gibbs said.

The letter's publication could not come at a more sensitive time with Obama winding up a high-profile review of Afghan policy.

Obama has held a series of meetings with senior commanders over a period of weeks to decide whether to deploy tens of thousands more troops and to define the focus of a war that next year will be longer than the Soviet occupation of Afghanistan.

It also comes amid cooling relations between Washington and the government of Hamid Karzai, who Hoh described as "a President whose confidants and chief advisers comprise drug lords and war crimes villains."

Describing Hoh as the State Department's "eyes and ears on the ground in Zabul," spokesman Ian Kelly said the department respected his departure.

"We take his opinions very seriously. Senior officials on the ground, in Afghanistan and here in Washington, have talked to him, have heard him out. We respect his right to dissent," said Kelly.

"In the end, he made his own decision that he decided to resign, and we respect that," Kelly said, adding that he agreed with some of Hoh's arguments, but not his conclusions.

Hoh's background in both civil and military fields had seemed a perfect fit for Obama's administration as it tries to improve coordination between military, diplomatic and aid operations.

A former Marine Corps captain, Hoh fought in Iraq and in March signed a year-long contract with the State Department to work on Afghan provincial reconstruction.

The Washington Post reported that after Hoh's resignation he was offered a senior staff-level job at the US embassy in Kabul, which he turned down, before being flown to Washington to meet one-on-one with Holbrooke.

But Hoh said his decision to leave was "based not upon how we are pursuing this war, but why and to what end." Hoh told the paper he decided to speak out to influence public opinion.

"I'm not some peacenik, pot-smoking hippie who wants everyone to be in love," he said. "I want people in Iowa, people in Arkansas, people in Arizona, to call their congressman and say, 'Listen, I don't think this is right.'"

Hoh called for a reduction in US troops, which he said fueled the Taliban-led insurgency.

He also urged more support for neighboring Pakistan in its fight against extremist elements, and increased pressure on Kabul to rid corruption in government.

** The Raw Story, October 27, 2009; www.rawstory.com/


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zum Dossier "Bundeswehr raus aus Afghanistan!"

Zurück zur Homepage