Blühende Landschaften in Afghanistan
Anbauflächen für Opiumproduktion werden jedes Jahr größer
Von Frank Brendle *
Die Vereinten Nationen erwarten für das laufende Jahr einen erneuten Anstieg der Opiumproduktion in Afghanistan. Eine vor wenigen Tagen veröffentlichte »Risikoeinschätzung« des UN-Antidrogenbüros UNODC bestätigt den schon voriges Jahr festgestellten Trend zur Ausweitung der Anbauflächen. Während nur in einer einzigen Provinz, Kandahar, ein Rückgang der Drogenproduktion prognostiziert wird, werden neun dieser Velajats »voraussichtlich einen Zuwachs beim Opiumanbau verzeichnen«, heißt es in dem Bericht, der auf Befragungen von über 500 Dorfvorstehern im ganzen Land basiert. Nur 15 der insgesamt 33 Provinzen werden am Ende des Jahres noch »opiumfrei« sein. Bis vor zwei Jahren galt das noch für 20 Provinzen. »Wir sind wieder auf dem Stand von 2007/2008«, räumte der UNODC-Vertreter in Afghanistan, Jean-Luc Lemahieu, gegenüber dem britischen Guardian ein.
Der Bericht konstatiert einen engen Zusammenhang zwischen der Sicherheitslage, dem Fehlen staatlicher Unterstützung für die legale Landwirtschaft und dem Opiumanbau: »Nahezu alle Dörfer mit sehr schlechter und die meisten Dörfer mit schlechter Sicherheitslage bauen Mohn an.« Durch den Verkauf können lokale Machthaber den erhöhten Bedarf an Waffen und Milizen finanzieren. Der Umkehrschluß ist aber nicht unbedingt zulässig: Zu den »blühenden« Regionen gehört auch die nordöstlich gelegene Provinz Badakhshan, die in offiziellen Stellungnahmen über eine »gute« Sicherheitslage verfügt. Dennoch nahm dort der Mohnanbau 2011 um rund 50 Prozent zu, und auch für dieses Jahr erwartet die UNO einen Anstieg. Die Provinz befindet sich im Prozeß der Übergabe der Sicherheitsverantwortung von der Bundeswehr an afghanische Behörden. Die deutschen Truppen hatten sich um das Drogengeschäft praktisch nicht gekümmert, und von afghanischen Behörden ist bekannt, daß sie vom örtlichen Polizeiposten bis in Regierungsstellen hinein hochgradig korrupt und in die Drogenwirtschaft verstrickt sind. UNODC-Mann Lemahieu beklagt, der Regierung fehle es am politischen Willen, »hart durchzugreifen gegen jene Kräfte innerhalb des Systems, die am Drogenhandel verdienen«. Zwar profitierten auch die Taliban vom Opium, »aber der Löwenanteil der Einnahmen verschwindet hier, in den Händen der großen Feudalherren«.
Das Geschäft lohnt sich: Der Preis für den Stoff ist seit rund einem Jahr extrem hoch. Rund 220 Dollar werden derzeit pro Kilo erzielt. Einem bereits im Januar veröffentlichten UNODC-Bericht zufolge ist der Wert des 2011 gewonnenen Opiums gegenüber dem Vorjahr um 133 Prozent auf 1,4 Milliarden Dollar gestiegen, der Exportwert sogar auf 2,4 Milliarden Dollar – das sind rund 15 Prozent des afghanischen Bruttosozialprodukts. Mit legalen Nahrungsmitteln könnten die Bauern höchstens ein Elftel dieser Summe verdienen. Dementsprechend war 2011 die Opiumernte von 3,6 auf 5,8 Tonnen gestiegen. Die größten Drogenhersteller befinden sich weiterhin im Süden des Landes, wo allein die Provinz Hilmand mit 63000 Hektar fast die Hälfte der Gesamtanbaufläche aufweist. Die Experten gehen davon aus, daß die Hinwendung zur Drogenproduktion sich verstärken wird, wenn die internationalen Hilfsgelder versiegen – was für die Zeit nach dem Teilabzug der ISAF-Truppen ab 2014 erwartet wird.
* Aus: junge Welt, Montag, 23. April 2012
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