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"Das Böse mit Gutem überwinden ..."

Neujahresbotschaften: Der Afghanistan-Krieg bewegt die Deutschen - nicht immer, aber immer mehr

Von René Heilig *

Deutschland führt Krieg, seit zehn Jahren bereits und ein Ende ist noch nicht absehbar. Rund 70 Prozent der Deutschen lehnen den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan ab. Dennoch beklagt der Militärbischof Martin Dutzmann - im Namen der Soldaten - das angeblich mangelnde Interesse der Deutschen am Afghanistan-Einsatz.

Zu den verbreiteten Sorgen der Soldaten, so gab Bischoff Dutzmann im NDR Auskunft, zählten neben dem Trennungsschmerz und privaten Schwierigkeiten inzwischen immer stärker die zunehmende Bedrohung. Die Soldaten fragten sich: Was ist, wenn mir etwas passiert, wenn ich verwundet, oder womöglich gar nicht nach Hause zurückkomme? "Ganz massiv" stellten sie sich auch die Frage: "Was ist, wenn ich jemand anderen verletzen oder gar töten muss?".

Bischof Dutzmann wollte für "seine" Soldaten sprechen, als er sagte, dass die Truppe das Interesse der Deutschen an ihrem Einsatz vermisse. Besonders dramatisch sei dies, wenn ein Soldat verwundet, etwa im Rollstuhl oder blind, aus Afghanistan zurückkomme. Wenn er sich dann sagen lassen muss, "na ja, du hättest ja auch einen weniger gefährlichen Beruf lernen können. Das ist dann schon bitter."

Sachsens Landesbischof knüpft an Käßmann an

Ob es in Deutschland wirklich ein zu geringes Interesse am Afghanistan-Krieg gibt? Die Kanzlerin hat in ihrer Neujahresansprache an den Tod von neun Soldaten im Jahre 2010 erinnert: "Auch wenn kein Wort von mir das Leid der Familien und Freunde der Gefallenen tatsächlich mildern kann, will ich von Herzen sagen: Ich vergesse sie nicht." Merkel wünschte den "körperlich und seelisch Verwundeten" rasche Gesundung und behauptete, "die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan haben mir erzählt, dass viele Menschen, auch ganz unbekannte, ihnen zu Weihnachten Briefe und Päckchen geschickt haben. Sie haben mich ausdrücklich darum gebeten, Ihnen dafür zu danken." Was die Kanzlerin auch - wie sie sagte - gerne tat.

Ganz anders lautete die Botschaft des sächsischen Landesbischofs Jochen Bohl. In seiner Neujahrspredigt wandte er sich gegen den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan. Bohl erinnerte an alle 45 Soldaten, die bislang in Afghanistan ums Leben kamen. Ihre Angehörigen fragten sich, für welches Ziel sie gestorben seien.

Mit seiner Predigt in der Dresdner Frauenkirche knüpfte der Landesbischof an das an, was die damalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann vor genau einem Jahr an gleicher Stelle bekundete: "Nichts ist gut in Afghanistan." Bohl bekräftigte: "Es ist nicht besser geworden in Afghanistan, und niemand vermöchte zu sagen, wie es gut werden kann." Wieder einmal habe sich die die uralte Wahrheit bestätigt, "dass es so viel schwerer ist, einen Krieg zu beenden als ihn zu beginnen". Regierung: Abzugstermin "ehrgeizig" aber möglich

Erinnert wurde an den Apostel Paulus: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." Christen, so Bohl, setzten auf die Macht der Liebe Gottes, und widerstehen darum dem Drang nach Vergeltung und leben die Bereitschaft zur Vergebung. "Das mag aussehen wie Schwäche - es ist aber die unvergleichliche Stärke ..." Bohl weiter: "Durch Gewalt kann es keinen Frieden geben. Er muss gesucht werden im Gespräch. Gebe Gott, dass in diesem Jahr endlich neue Wege gefunden werden, damit es besser wird für das gequälte Land am Hindukusch."

Einer der schon von Berufs wegen das Reden vor das Kämpfen setzt, ist der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan, Michael Steiner. Der schrittweise Abzug der internationalen Truppen, der bis Ende 2014 abgeschlossen sein soll, sei vom Zeithorizont "ehrgeizig", aber möglich, sagte er gegenüber AFP.

Nach Fehlern in der Vergangenheit habe sich die internationale Gemeinschaft inzwischen auf eine "realistische Zielsetzung" geeinigt, sagte der Top-Diplomat. "Wir wollen in Afghanistan hinreichende Sicherheit erzielen und die Gewährleistung fundamentaler Menschenrechte." Das könne nicht nur mit militärischen Mitteln und durch zivilen Aufbau erreicht werden, dafür brauche es auch einen politischen Prozess, sagte Steiner unter Verweis auf den Prozess der Versöhnung und Wiedereingliederung von Gegnern der Kabuler Regierung. Die vom afghanischen Hohen Friedensrat geführten Gespräche mit den Taliban hätten jedoch gerade erst begonnen. Die internationale Gemeinschaft müssten sie nach Kräften fördern.

Saarland-Brigade unterwegs zum Hindukusch

Diffuser blieb Steiner in Bezug auf die Ziele der internationalen Afghanistan-Konferenz, die Ende 2011 in Bonn stattfinden soll. Es gehe darum, die dann noch verbleibenden drei Jahre der Sicherheitsübergabe zu "strukturieren". Zudem werde die internationale Gemeinschaft ihr langfristiges Engagement nach 2014 konkretisieren müssen.

CSU-Chef Horst Seehofer mischte sich gleichfalls in die Afghanistan-Debatte ein. Mit Schelte für die Opposition, die konkrete Termine für den Rückzug der Bundeswehr verlangt. Auch der CSU-Landesgruppenvorsitzende im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, fühlte sich aufgerufen. Die Opposition müsse an ihre Pflicht erinnert werden, "die sie beim Afghanistan-Einsatz erfüllen muss", kommentierte er im "Hamburger Abendblatt". Er betonte: "Unter Rot-Grün sind die Soldaten nach Afghanistan geschickt worden. SPD und Grüne können sich aus der Verantwortung, die sie damals übernommen haben, nicht heraus stehlen."

Unterdessen sind 650 Mann der Saarland-Brigade bereit zu ihrem bisher größten Auslandseinsatz. Für den heutigen Montag ist Abrücken nach Afghanistan befohlen. Ihr Kommandeur, Brigadegeneral Eberhard Zorn, betonte, dass der Einsatz mehr Gefahren als frühere in sich trage. Über mangelndes Interesse der Bürger beklagte sich Zorn nicht. Im Gegenteil. Doch gebe es "oft eine unklare Vorstellung darüber, was die Soldaten am Hindukusch wirklich tun". Von der Politik forderte Zorn, sie müsse erklären, "wie sie sich das in Afghanistan langfristig vorstellt".

* Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2011


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Evangelischer Militärbischof mahnt Unterstützung für Soldaten in Afghanistan an. CSU-Chef Seehofer lehnt Abzugstermin für Bundeswehr ab

Von Rüdiger Göbel **


Die Deutschen interessieren sich zu wenig für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan, beklagt der Militärbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Martin Dutzmann. Die Truppe vermisse ein solches Interesse, offenbarte er am Wochenende im NDR-Inforadio. Besonders dramatisch sei dies, wenn ein Soldat verwundet, etwa im Rollstuhl oder blind, aus Afghanistan zurückkomme. "Wenn der Soldat sich dann sagen lassen muß, naja, du hättest ja auch einen weniger gefährlichen Beruf lernen können. Das ist dann schon bitter", so Dutzmann, der im Hauptamt Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche ist. Grund für das angeblich fehlende Interesse sei, daß den Menschen in Deutschland "das Gefühl für militärische Bedrohung abhanden gekommen" ist. Dies sei in den achtziger Jahren angesichts des Kalten Krieges anders gewesen. Heute sei Deutschland von Freunden umgeben. "Von daher muß man natürlich in der Bevölkerung klarmachen, was es jetzt heißt, Verantwortung in anderen Teilen der Welt zu übernehmen", sagte Dutzmann weiter.

Im Gegensatz zum Militärbischof äußerten sich mehrere "zivile" Kirchenvertreter zum Jahreswechsel kriegskritisch. Der stellvertretende EKD-Vorsitzende Jochen Bohl mahnte "neue Wege für Afghanistan" an. "Durch Gewalt kann es keinen Frieden geben, er muß gesucht werden im Gespräch", sagte der Bischof der evangelischen Landeskirche Sachsens in seiner Predigt beim Neujahrsgottesdienst in der Dresdner Frauenkirche. Deutsche Soldaten stünden bereits seit neun Jahren in dem Land am Hindukusch. "Es ist nichts besser geworden in Afghanistan."

Auch der mecklenburgische Landesbischof Andreas von Maltzahn kritisierte in seiner Neujahrspredigt den Kriegseinsatz in Afghanistan. Dort sei gerade zu erleben, "wie wenig es die Probleme löst, die Freiheit am Hindukusch militärisch verteidigen zu wollen", sagte der evangelische Theologe im Schweriner Dom. Es sei "alarmierend", daß Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) erklärtermaßen "offen, ohne Verklemmung" über die Verknüpfung von Militärpolitik und Wirtschaftsinteressen diskutieren wolle.

Die Kriegsparteien warben derweil für ihre Minderheitenposition. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer wies in Bild am Sonntag Forderungen nach Abzugsplänen zurück. "Mit Blick auf mögliche Strategien des Gegners und im Interesse der Sicherheit unserer Soldaten und der Menschen in Afghanistan" sollten keine konkreten Termine für einen Rückzug genannt werden, erklärte der Bayer. "Wenn wir jetzt für Provinzen Abzugsdaten festlegen, hätte das für das Land eine fatale Wirkung", sekundierte CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich im Hamburger Abendblatt (Montagsausgabe) laut Vorabmeldung. Der FDP-Wehrexperte Christoph Schnurr sagte der Zeitung, das Nennen eines Abzugsdatums wäre "nur eine Einladung an die Taliban, bis nach dem Tag X zu warten und dann erst zuzuschlagen".

Doch die Aufständischen warten nicht auf den "Tag X", sondern schlagen täglich gegen die NATO-Truppen zu. Nach den Rekordverlusten für die Besatzer im vergangenen Jahr starben allein in den ersten beiden Januartagen drei NATO-Soldaten im Süden Afghanistans. Mit 702 getöteten Militärangehörigen hatten die ausländischen Truppen 2010 die schwersten Verluste seit Beginn der Invasion vor zehn Jahren. Genaue Angaben über die Zahl der Kriegsversehrten und die Schwere ihrer Verwundungen liegen nicht vor. Statistisch nicht erfaßt werden die zivilen afghanischen Kriegstoten.

** Aus: junge Welt, 3. Januar 2011


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