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Frankreichs Soldaten sollen am Hindukusch bleiben

Rechte Mehrheit stimmte der Verlängerung des Einsatzes zu

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Obwohl Umfragen zufolge zwei Drittel der Franzosen gegen den Einsatz französischer Soldaten in Afghanistan sind, hat das Parlament am Montag (22. Sept.) für die Verlängerung dieses Einsatzes gestimmt. Dafür sorgte die Mehrheit der Regierungskoalition in beiden Kammern.

Die rechte Einheitspartei UMP und das Zentrum mobilisierten 353 Abgeordnete und 209 Senatoren, die für den Antrag der Regierung stimmten. Sozialisten, Kommunisten und Grüne boten 210 Abgeordnete und 119 Senatoren dagegen auf. Eine solche Debatte über Auslandseinsätze französischer Truppen ist erst seit einer im Februar erfolgten Verfassungsänderung vorgeschrieben. Bisher hatte darüber allein der Staatspräsident kraft seiner Oberhoheit über die Außen- und Verteidigungspolitik entschieden.

Die Parlamentssitzung begann mit einer Gedenkminute für die zehn französischen Soldaten, die am 18. August in einem Hinterhalt der Taliban ums Leben gekommen waren. Die durch Medienberichte entfachte Debatte darüber, ob die französischen Soldaten in Afghanistan ausreichend vorbereitet, ausgerüstet und abgesichert waren, bezeichnete Premierminister François Fillon vor dem Parlament als »haltlos und schändlich«. Er kündigte nicht nur die Entsendung weiterer 100 Soldaten an, sondern auch die Lieferung von Hubschraubern, unbemannten Aufklärungsdrohnen und die Verbesserung der Ausrüstung. Frankreich könne seine Verbündeten in Afghanistan nicht allein lassen, argumentierte der Regierungschef. Dort seien Soldaten aus 39 Staaten – darunter 25 EU-Mitglieder – im Einsatz, und Deutschland beispielsweise habe gerade erst die Verstärkung seines Kontingents angekündigt.

Frankreich verteidige in Afghanistan keine eigenen Interessen, sondern im Auftrag der UNO den Weltfrieden, »weil wir verhindern wollen, dass das Land eine Brutstätte des internationalen Terrorismus wird«, wiederholte er die üblichen Argumente. Wenn die Mission nicht erfüllt werde, liefere man die afghanische Bevölkerung den Taliban aus und versperre ihr den Weg zu demokratischer Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Bildung und Verbesserung der Lebenslage.

Für die Sozialisten erklärte der Fraktionsvorsitzende Jean-Marc Ayrault, seine Partei fordere nicht den unverzüglichen Rückzug der französischen Truppen, weil dies den Afghanen gegenüber unverantwortlich wäre. Wenn seine Partei trotzdem gegen die Verlängerung des Militäreinsatzes stimme, so richte sich dies »gegen die Konzeption und die Strategie des Präsidenten und der Regierung hinsichtlich des Einsatzes in diesem Land«. Ayrault bedauerte, dass es Nicolas Sarkozy nicht wie sein Vorgänger Jacques Chirac 2001 geschafft habe, einen »nationalen Konsens für den Einsatz in Afghanistan« herzustellen. Stattdessen sei er auf den Kurs der USA eingeschwenkt. Dabei seien die USA für die Verschlechterung der Situation in Afghanistan und das Scheitern der NATO-Strategie dort verantwortlich, weil sie das Gros ihrer Kräfte, Mittel und Aufmerksamkeit auf den Irak-Krieg gerichtet haben. Die »Afghanisierung« des Kampfes gegen die Taliban, des Aufbaus demokratischer Strukturen und des Wiederaufbaus gehe viel zu schleppend voran. »Wenn Sarkozy sagt: ›Wir bleiben so lange, wie es nötig ist‹, dann heißt das, auf unbestimmte Zeit weiter auf dem Kurs zu verharren, der doch jetzt schon gescheitert ist«, urteilte Ayrault.

Für die Fraktion der Kommunisten und der Grünen erklärte der Grünen-Abgeordnete Noel Ma-mère: »Wir sagen klar und eindeutig Nein zu diesem schmutzigen Krieg und fordern den Rückzug der französischen Soldaten.« Es sei Zeit einzusehen, dass die Truppenkoalition diesen Krieg bereits verloren hat.


Zitiert: "Le Progrès" aus Lyon merkte zur Debatte im französischen Parlament an:
Die Amerikaner kämpfen dort gegen Islamisten, die sie vor zwanzig Jahren gegen die Sowjets ausgerüstet haben. Diese Islamisten (...) finden Zuflucht in Pakistan, einer befreundeten Regierung der Amerikaner. Wir wollen auf niemanden einen Stein werfen. Aber wir sollten die entscheidenden Reden über die Zivilisation, die Barbarei und Frankreichs Ehre relativieren.



* Aus: Neues Deutschland, 24. September 2008


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