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Neuer Papiertiger?

Afghanistan: Gesetzesnovelle soll Frauenrechte stärken. Doch Vergewaltigung kann danach weiter als Ehebruch gewertet werden, Opfern droht im schlimmsten Fall Steinigung

Von Heidi Vogt, AP *

Araso dachte lange, gegen ihren prügelnden Ehemann könne sie sich nicht wehren. Doch dann machten sie Freunde auf ein Frauenhaus in Kabul aufmerksam. Nachdem sie auch im Fernsehen einen Bericht darüber gesehen hatte, entschloß sich die 19jährige zur Flucht. Doch ihren zweijährigen Sohn konnte sie nicht mitnehmen, denn nach afghanischem Recht steht immer dem Vater das Sorgerecht zu.

»Mir ist als Kind eingebleut worden, daß ein Ehemann wie ein zweiter Gott ist und daß ich ihm immer gehorchen muß«, sagt Araso, die als Waise erst 15jährig an einen ungeliebten Cousin verheiratet wurde. Er fing schon bald an, sie zu verprügeln. Manchmal schlug er ihren Kopf gegen die Wand. Ihn zu verlassen, war für die junge Frau ein äußerst mutiger Schritt. Aus Angst vor ihrem Mann und seinen Verwandten ist sie nicht bereit, ihren vollen Namen oder ihren Herkunftsort zu nennen.

Nach einem neuen Gesetz, das schon bald die Nationalversammlung passieren dürfte, hätte Araso das Recht, ihren Mann wegen Mißhandlung anzuzeigen. Das aber will sie auf keinen Fall tun, weil sie den Behörden nicht traut. Selbst wenn sie ihn tatsächlich festnehmen würden, würden sie ihn bestimmt schon bald wieder freilassen, davon ist Araso überzeugt. Menschenrechtsgruppen teilen diese Auffassung. Dennoch begrüßen sie die Vorlage als Meilenstein in ihrem Kampf für die Rechte der Frauen.

Archaisches Eherecht

Das sogenannte Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen ist das Gegenstück zum umstrittenen Eherecht der schiitischen Bevölkerung Afghanistans. Letzteres sorgte im Frühjahr und Sommer für internationale Proteste, weil es Vergewaltigung in der Ehe praktisch rechtfertigte. Der entsprechende Artikel wurde daraufhin abgemildert. Demnach müssen Männer finanziell für ihre Frau sorgen, können dies aber ablehnen, wenn sie sich weigert, »sich dem vernünftigen sexuellen Vergnügen ihres Ehemannes zu fügen«, wie es in einer Übersetzung von Human Rights Watch heißt.

Zwar gilt das Gesetz nur für die schiitische Minderheit, die etwa 15 Prozent der afghanischen Bevölkerung ausmacht. 80 Prozent sind Sunniten. Für Menschenrechtsaktivisten war es jedoch Grund genug, sich massiv für ein Gesetz gegen Gewalt an Frauen einzusetzen.

Erstmals wurde ein solches Gesetz schon 2004 vorgeschlagen. Im vergangenen Sommer wurde die jüngste Vorlage während der Parlamentspause bereits von Präsident Hamid Karsai unterzeichnet, doch muß sie nachträglich auch noch vom Parlament gebilligt werden. An einer Zustimmung wird kaum gezweifelt, zumal die strittigsten Passagen bereits im Sinne der Traditionalisten verwässert wurden.

Anzeigen bleiben riskant

Neben Gewalt gegen Frauen sollen dem Entwurf zufolge Zwangs- und Kinderehen verboten sein. In der Realität dürften solche Traditionen allerdings nur langsam aussterben. Afghanistan war schon eine patriarchalische Gesellschaft, bevor die Taliban Frauen aus dem öffentlichen Leben verbannten und Mädchen den Schulbesuch verwehrten. Und die Verheiratung von Töchtern oder Schwestern, zum Beispiel um Schulden abzuzahlen, ist noch immer gang und gäbe.

Kritisch sehen Frauenrechtlerinnen vor allem die Tatsache, daß das neue Gesetz nicht klar genug zwischen Vergewaltigung und Ehebruch unterscheidet. Wenn Frauen eine Vergewaltigung anzeigen, riskieren sie, wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs verurteilt und im Extremfall sogar gesteinigt zu werden. Dennoch sei mit der Vorlage ein Anfang gemacht, betont Sima Samar, Vorsitzende der Unabhängigen Menschenrechtskommis­sion Afghanistans.

Bis Frauen wirklich den Mut aufbringen, prügelnde Ehemänner zu verlassen oder gar anzuzeigen, wird allerdings noch viel Zeit vergehen, zumal den Frauen viele Grenzen gesetzt sind. Araso zum Beispiel wird nie mehr in ihr Dorf zurückkehren können und noch lange auf die Unterstützung des Frauenhauses angewiesen sein. Sie versucht nun, lesen und schreiben zu lernen, um sich vielleicht irgendwann einmal selbst ernähren zu können. Das Schlimmste aber ist für sie, daß sie ihren kleinen Sohn vielleicht nie wiedersehen wird.

* Aus: junge Welt, 23. Oktober 2009


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