Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Immer im Visier

Drohende Suspendierung der Solidaritätspartei in Afghanistan. Islamisten kontra Meinungsfreiheit

Von Heike Hänsel *

Während diesen Monat weltweit für die russische Band Pussy Riot mobilisiert wurde, interessiert die massive Einschränkung der Meinungsfreiheit in Afghanistan die globale Öffentlichkeit wenig. Im Mai 2012 haben afghanische Behörden erstmals seit Beginn der Präsidentschaft Hamid Karsais das Verbot einer politischen Partei eingeleitet. Dabei handelt es sich um die linke Hezb-e-Hambastagi-ye Afghanistan, auch Solidaritätspartei (SPA) genannt, ein Zusammenschluß von überwiegend jungen Menschen, welche sich auf Demonstrationen gegen die Straffreiheit von Kriegsverbrechern und für den Abzug der NATO-Truppen einsetzen.

Am 30. April haben Anhänger der Hezb-e-Hambastagi-ye in Kabul anläßlich der Feierlichkeiten zum sogenannten Mudschaheddin-Tag, demonstriert. Die Demonstranten haben Porträts von Führern der Taliban und der Mudschaheddin hochgehalten und gefordert, daß sich diese vor Gericht für die von ihnen verübten Menschenrechtsverletzungen verantworten. Die Demonstranten haben zudem ein Ende der »Warlord-Kultur« in Afghanistan gefordert.

Wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion am 16. August bestätigte, hatten einige Vertreter des Oberhauses (Meschrano Dschirga/Senat) in einer Sitzung am 1. Mai die Demonstration als eine »Beleidigung des Dschihads« bezeichnet und ein Verbot der Partei verlangt. Der Senat forderte die Beschwerdekommission des Oberhauses auf, die Vorgänge zu untersuchen. Nach der Anhörung einiger Vertreter der SPA am 2. Juni entschied die Beschwerdekommission, die Vorwürfe fallenzulassen. Ungeachtet der Untersuchungen der Beschwerdekommission hat der Justiz- und Rechtsausschuß des Senats bereits am 26. Mai das Justizministerium und die Staatsanwaltschaft aufgefordert, die Registrierung der Partei aufzuheben. Gemäß dem Parteiengesetz der Islamischen Republik Afghanistan ist nur die Abteilung für die Registrierung der politischen Parteien im Justizministerium berechtigt, auch die Suspendierung oder das Verbot einer Partei auszusprechen.

Inzwischen geht selbst die Parteiführung davon aus, daß die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – nicht zuletzt aufgrund des Drucks der internationalen Gemeinschaft, darunter Human Rights Watch und der afghanischen Zivilgesellschaft – eingestellt wurden. Sie beruft sich dabei auch auf Verlautbarungen der afghanischen Regierung. Das bedeutet, daß die Partei ihre Aktivitäten weiter fortsetzen kann. Die Gefahr ist damit jedoch noch längst nicht gebannt. Parteimitglieder erfahren weiterhin Einschüchterungsversuche bis hin zu Todesdrohungen.

Dies ist nicht das erste Mal, daß die Meinungsfreiheit in Afghanistan eingeschränkt wird. 2003 wurde die Zeitung Aftab verboten. Und vor fünf Jahren wurde die afghanische Abgeordnete und Menschenrechtsaktivistin Malalai Joya suspendiert, weil sie im Parlament wiederholt gegen die Gewalt von Warlords und Kriegsverbrechern protestiert hatte. Sie lebt seitdem in ständiger Gefahr vor Übergriffen, hält sich im Untergrund versteckt und hat sechs Anschläge auf ihr Leben überlebt.

Der Fall der Solidaritätspartei erinnert auch an die Kambachsch-Brüder, deren Verfolgung weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Sajed Jakub Ibrahimi ist ein kritischer Journalist, der für das IWPR (Institute for War and Peace Reporting) arbeitet und sich mit seinen Reportagen über Kriegsverbrechen, Korruption und Menschenrechtsverletzungen der Warlords zu einem der schärfsten Feinde der Kriegsfürsten gemacht hat. Sein Bruder, der Student Sayed Perwiz Kambachsch wurde 2007 verhaftet und von einem islamischen Gelehrtengericht zum Tode verurteilt, weil er einen islamkritischen Text aus dem Inserat heruntergeladen hatte. Tatsächlich aber richtete sich die Wut der Islamisten, die sich in dem Urteil widerspiegelte, gegen seinen Bruder und dessen Berichterstattung zum Warlord-System. Nach internationalen Protesten und Artikeln, u.a. im Spiegel, wurde das Urteil zunächst in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt. Im September 2009 wurde sein Bruder freigelassen, seitdem leben beide im Exil.

Die Linkspartei hat sowohl die Frauenrechtlerin Malalai Joya als auch Sajed Jakub Ibrahimi zu Gast in Berlin gehabt, zuletzt 2011 im Rahmen ihrer Afghanistan-Konferenz. Erstmals in der Geschichte Afghanistans trafen etwa ein Dutzend kritische Organisationen und friedliche Personen aus der Zivilgesellschaft zusammen, um über die Situation und die Zukunft des Landes zu diskutieren. Auch die Solidaritätspartei schickte einen Vertreter nach Berlin, der eindrucksvoll von den Demonstrationen vor Ort und dem enormen Zulauf berichtete, welchen die Partei mit etwa 30 000 Mitgliedern auch in ländlichen Gebieten des Landes erfährt. Von diesen Protesten erfährt man in der weltweiten Öffentlichkeit so gut wie nichts.

Der jüngste Fall der Solidaritätspartei verdeutlicht, daß die progressiven linken Kräfte in Afghanistan ein großes Risiko eingehen. Sie brauchen jetzt erst recht weltweite Öffentlichkeit und die starke Solidarität der Zivilgesellschaft!

* Die Autorin ist Vorsitzende des Unterausschusses Vereinte Nationen, Internationale Organisationen und Globalisierung im Deutschen Bundestag und Entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion

Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. August 2012


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zurück zur Homepage