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Demokratischer Krieg

Oder: Wie der Spiegel die Heimatfront in Sachen Afghanistan ausrichtet

Von Kurt Pätzold *

Nein, und abermals Nein. Mit Berichten aus den Feldlagern am Hindukusch, verfertigt von Kurzbesuchern, lassen sich die Dinge nicht ordnen. Vor allem nicht, wenn in ihnen von in Zweifel geratenen und enttäuschten Soldaten gehandelt wird. Die Wahrheit ist: Die Heimatfront steht nicht. Zwei Drittel der Deutschen wünschen sich die Rückkehr der Bundeswehrsoldaten, im Klartext: den Ausstieg aus dem Afghanistan-Krieg. Zwar kündigt sich kein November 1918 an. Doch es wird räsoniert, verstärkt dann, wenn deutsche Landser in Särgen repatriiert werden. Dabei sind 43 Tote in acht Jahren Krieg wirklich kein Argument, für die Heimkehr einzutreten. Das meint der Leiter des Ressorts »Deutsche Politik« (das heißt wirklich so) des Spiegel, Dirk Kurbjuweit. Der hat es übernommen, in deutschen Hirnen Klarheit zu schaffen, zunächst in denen der Leser seiner Zeitschrift.

Eine Verwicklung

Der Mann stellt Kernfragen: Warum ist dieser Krieg, von den USA begonnen, überhaupt entstanden? Warum wurden die Deutsche in ihn »verwickelt«? Wie wollten und wie können sie ihn führen? Warum dauert er so lange? Gelten die ursprünglichen Kriegsgründe noch? Warum darf er nicht abgebrochen, sondern muß durchgestanden werden? Und wer ist dafür zuständig, daß sich die Stimmung an der Heimatfront ändert? Wenn, was letzteres anlangt, der Autor auch nicht den Maßstab an Rückhalt und Beifall vor Augen hat, der den Tore schießenden Deutschen in Südafrika zuteil wurde, so wie derzeit soll es nicht bleiben.

Zunächst und um nicht in den Geruch eines »Kriegstreibers« zu geraten, erklärt der Autor sein Verhältnis zu Kriegen mit den Worten: »Im Krieg geht es immer um das Sterben und das Verstümmeln von Menschen, und da sind Skrupel richtig.« Also verwundert er sich nicht über das nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitete »Nie wieder Krieg«. Die drei Worte nennt er einen »bundesrepublikanischen Satz«, eine Kennzeichnung, auf die man wirklich erst kommen muß, aber in Unkenntnis einer weltweiten Bewegung verfallen kann. Nur: mit ihm läßt sich nicht weit kommen. Er »wurde von der Realität eingeholt«. Sätze haben, wie bekannt, kurze Beine. Selbst deutsche. Nun besitzt die schnellfüßige Realität auch Namen. »Für diesen Einsatz« sind maßgeblich verantwortlich »die Bundeskanzler Gerhard Schröder und Angela Merkel ... sowie sämtliche Verteidigungsminister«. Die waren oder sind, wird versichert, durch die Bank »zivile, kriegsscheue Menschen, die mit großen Skrupeln an diese Sache herangingen«. An welche, bitte? Also an die »Verwicklung«.

Die US-Amerikaner mußten die Herausforderung der »islamischen Krieger« annehmen und nach Afghanistan hinein. Und die Deutschen konnten ihren Verbündeten aus zwei Gründen nicht im Stich lassen. Erstens, weil es dort um die Wahrung auch unserer Werte geht (ehedem hieß das »unsere heiligsten Güter«), und zweitens wegen einer doppelten Dankespflicht: Ohne die USA wäre die Bundesrepublik nicht entstanden und ohne sie hätte sie den Kalten Krieg nicht überstanden, also die bolschewistische Bedrohung. Soviel zur Frage: Warum Krieg?

Demokratiegemäß

Wie aber darf ihn ein deutscher Politiker führen lassen? »Sie wollten und wollen diesen Krieg so führen, wie es der deutschen Demokratie gemäß ist.« Dafür existierten hierzulande Voraussetzungen, hat doch »die Bundeswehr sogar versucht, einen neuen Soldatentypus zu schaffen: den guten, gutmütigen Krieger, den Mann mit der Rose im Gewehrlauf, nett, hilfreich, bestienfrei.« Und für diese Art der Kriegführung haben Frauen und Männer der Bundeswehr ein Vorbild in ihrem Bundesgenossen. Der nimmt auf die Zivilbevölkerung eine mitunter grotesk anmutende Rücksicht. Berichtet wird, daß »amerikanische Soldaten bei ihren Operationen die Felder eines bestimmten Bauern nicht mehr betreten, damit er nicht verärgert ist«. Wann je wäre Nachricht von solchem Kriege geworden? »So führt nur eine Demokratie Krieg«, weiß der Autor, der geschichtsbewandert zugibt: nicht immer. Auch derzeit sei das hehre Prinzip »sauberer Krieg« nicht durchzuhalten gewesen. Das sprach sich bis in die Heimat herum. Es gibt den Oberst Klein und seinen »fatalen Befehl«. Soldaten sind eben manchmal überfordert. Mehr noch: »Ihre Begleiter in den Kämpfen sind Angst, Blutrausch, Haß, Größenwahn, irgendwann auch Kälte, Abstumpfung - und all das treibt die Bestie noch immer hervor.« Wie man liest: der Mann ist auch Anthropologe, und es schert ihn nicht, wie »unsere Jungs« am Hindukusch seinen Satz lesen. Wichtig allein: Wir wollen den »gutmütigen«, den »bestienfreien« Krieger, aber, wie so oft, Wollen und Können fallen im Leben auseinander.

Nur ist deshalb »nicht der ganze Krieg schmutzig.« Zumal: Wir wollen dort keine Helden produzieren. Unsere Absicht ist ebensowenig, etwas zu erobern oder zu rauben. Auch unserem Verbündeten geht es nicht um Lithium oder andere Bodenschätze, die im Lande vorhanden sind oder vermutet werden. Freilich darf nach acht Jahren Krieg gefragt werden, ob die »guten Gründe«, die an seinem Anfang standen, sich noch geltend machen lassen. Leise Zweifel kann der Autor selbst nicht unterdrücken, namentlich, wenn angesichts der bisherigen Ergebnisse geforscht wird, ob das erklärte Ziel überhaupt erreichbar sei. »Denn niemand weiß, ob man Osama Bin Ladens dort überhaupt habhaft werden kann.« Doch es müsse durchgehalten. Die »erste Runde des Konflikts« dürfe nicht verloren gegeben werden. Wie es »gute Gründe« für seine Eröffnung gab, so ebensolche für seine Fortsetzung. Selbst wenn manchen Deutschen ein ungutes Gefühl und Zweifel wegen der Beschaffenheit des Regimes in Kabul entstehen mögen, und dazu die Frage, ob es sich denn lohne, für dessen Stabilisierung zu kämpfen. Die Zweifel verstärkt in der gleichen Ausgabe des Journals ein hauseigener Report, der Bereicherungspraktiken insbesondere der Karsai-Verwandtschaft schildert. Das ist eine »schlimme Geißel«, meint auch der Autor, nur was jetzt da sei, wäre noch besser als das, was war. Und lehre uns Bescheidenheit ...

Pathetisches Verhältnis

Warum aber läßt sich dieser Krieg nicht wenigstens abkürzen? Dafür gäbe es nur Möglichkeiten, die sich für uns verbieten. Ein in der Geschichte erprobtes Vorgehen mit »bestialischer Härte« widerspricht dem Menschenbild, »auf dem sie (die Demokratie, K.P.) sich aufbaut.« Also kann die Parole nur heißen: »Geduld. Es dauert, es ist teuer, es gibt Rückschläge. Der Erfolg ist nicht gewiß, aber möglich.« Warum aber, das macht den Autor traurig, ist eine Mehrheit der Deutschen davon nicht zu überzeugen? Das habe seine Ursache in einem tieferen Mangel. Von der Minderheit der Pazifisten wurde vor langem schon »die Demokratie verraten«, wie durch die Losung erwiesen, die lautete »Lieber rot als tot«. Sie war, wie Kurbjuweit nicht hinzufügt, die provokatorische Umkehrung des Schlagwortes »Lieber tot als rot«, einer Parole der militantesten unter den Antikommunisten, und gemünzt gegen jene Kalten Krieger, die es auf den heißen Krieg ankommen lassen wollten. Doch ist es nicht die deutsche Friedensbewegung, die Traurigkeit vor allem erzeugt. Vielmehr: »Aber auch die anderen Deutschen haben kein pathetisches Verhältnis zur Demokratien und zum Staat«. Besäßen sie das, würden sich die Särge aus Afghanistan »halbwegs« ertragen lassen und das Räsonieren aufhören. Dafür existiere in der Bundesrepublik umso weniger Grund, als sie - hier läßt der Autor den sorgenden Vater Staat einfließen - ihren Bürgern soviel gebe (»ein vergleichsweise gutes Leben«) und da dürfe sie doch »auch Opfer mancher ihrer Bürger erwarten«.

Bei alledem und zum Glück begrenzt sich die Ablehnung der Afghanistan-Politik auf ein Nein bei Befragungen. Befriedigt konstatiert der Autor, daß es »im Land der Friedensbewegung ... keine Friedensbewegung« gibt, so daß die Regierenden weiter gegen die »angebliche Stimmung« im Volke regieren könnten. Das führt ihn zu seiner Schlußfrage ähnlich jener des sächsischen Königs, die in Hochdeutsche übersetzt lautete: »Dürfen die denn das?« So fragte Hoheit im Hinblick auf die revolutionären Massen 1918 und so nun der Journalist im Blick auf das Merkel-Kabinett. Anders als den Herrscher ficht ihn kein Zweifel an. Sie dürfen. Erstens sind sie ja gewählt und haben nur der »repräsentativen Demokratie« zu genügen, und zweitens fehlt den Massen für derlei folgenschwere Entscheidungen ohnehin »die professionelle Kühle«. Nur hätten die Politiker einen Fehler begangen. Von Union, SPD und FDP sei im Wahlkampf 2009 das Thema Afghanistan beschwiegen worden. Und den Fehler, das müsse selbstkritisch gesagt werden, hätten die Medien mitgemacht. Das Resultat, schöner läßt es sich nicht formulieren, sei: »Die Legitimation des Krieges hat hier eine Schwäche.« 2013 sollte das korrigiert werden. »Dann können die Bürger ... dem Krieg eine klare Legitimation geben oder eben nicht.« So weit der Spiegel-Appell zur Intensivierung der Kriegspropaganda.

* Aus: junge Welt, 19. Juli 2010

Lesen Sie auch die anderen "Frontberichte" von Kurt Pätzold:

Ungezogene afghanische Kinder
Ein zweiter Frontbericht von den Mühen deutscher Bürger in Uniform. Von Kurt Pätzold (13. Juli 2010)
Ein Frontbericht
Mit Rosenkranz und Glücksschwein: Was die Süddeutsche Zeitung sich vom Krieg in Afghanistan melden lässt (2. Juli 2010)




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