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Afghanistan: Bush kaufte Bodentruppen und verhalf Al-Qaida zur Flucht

Geber, Summen und Seitenwechsler genannt - Und andere (Un-)Gereimtheiten

Welche Blüten der "Kampf gegen den Terrorismus" treiben kann, vermitteln folgende Informationen, die wir dem "Neuen Deutschland" vom 8. Februar entnehmen konnten (Bericht von René Heilig):

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Zum Spottpreis von insgesamt sieben Millionen Dollar haben die USA aus ursprünglich Taleban-freundlichen Stammesfürsten Oppositionelle gemacht. Das berichtete die »Washington Times« am Donnerstag (7. Februar 2002, Anm.: Pst) und verwies auf über 35 so genannte Warlords. Die regionalen Milizführer hätten Ende vergangenen Jahres Geldtransaktionen von jeweils 200000 Dollar vorgenommen. Das Blatt beruft sich auf Mitarbeiter von Banken, Geldwechsler und andere, die mit den Transaktionen zu tun hatten. In mindestens einem Fall seien Schmiergeldgaben durch einen offiziellen USA-Vertreter erfolgt. Doch angeblich hat das Außenministerium davon nichts gewusst. Noch ahnungs- und deswegen wortloser gibt sich der USA-Geheimdienst CIA. Unter den von den USA unterstützten Anführern sei auch ein Mirza Mohammed Nasseri gewesen. Der ist als Überläufer von den Taleban zu den Nordallianz-Kriegern bekannt geworden. Im Norden des Landes befehligte er eine Gruppe in Kunduz. Der Fahrer des Kommandanten beschreibt, wie er seinen Chef im Herbst vergangenen Jahres vor der Botschaft der USA in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad abgesetzt hat. Nasseri sei mit einer dicken schwarzen Aktenmappe wieder aus dem Gebäude herausgekommen. Anschließend ging die Fahrt nach Peshawar im Nordwesten Pakistans. Dort traf Nasseri seinen Bankier. Er gehört zum südasiatischen Untergrundbanksystem namens »Hawala«, wo jeglicher Transfer traditionell und dennnoch weltweit nicht nur bargeld- sondern auch beleglos abgewickelt wird.

Der Banker erinnert sich, wie sein Kunde die Tasche geöffnet und 200.000 Dollar sowie ein großes Satellitentelefon auf den Tisch gelegt hat. Als Erklärung bot der Einleger an, er spiele beim Sturz der damals noch in Afghanistan regierenden Taleban-Regierung und der Zerstörung der Al-Qaida-Organisation von Osama bin Laden eine gewisse Rolle.

Dass dieser Rebellen-Kauf System hat, lässt sich mit den Aussagen eines Toyota-Verkäufers in Peshawar belegen. Nachdem die Dollars an die Klanchefs geflossen sind, soll ein »Run« auf teure Sportwagen und geländegängige Kleinlaster, Pickup genannt, eingesetzt haben. Denn, so der Vertreter der japanischen Autofirma: »Toyota is good for jihad«. Besagtem Nasseri haben die Dollars dennoch kein Glück gebracht. Einige Wochen später starb er gemeinsam mit zwei anderen Chef-Überläufern bei einem Hubschrauberunfall.

Das Verfahren, Verbündete zu kaufen, wurde von den USA inzwischen perfektioniert. Die Treue zur Globalmacht bringt den Verbündeten laut US-amerikanischem Etat 2003 rund 25,4 Milliarden Dollar ein. Jordanien bekommt 250 Millionen, Pakistan 200 Millionen, Indien 75 Millionen, Jemen zwölf Millionen, Oman 20 Millionen US-Dollar...

Dass viel Geld manchen auch zu überzogenen Erwartungen reizt, bewies US-Senator Jim Bunning dieser Tage. Er polterte: »Wenn wir eine Milliarde Dollar und mehr am Tag ausgeben, dann sollten wir doch schon wissen, ob bin Laden in Somalia oder in Irak steckt.«

Aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2002


Fluchthelfer für Al Qaida

Über weitere Ungereimtheiten (oder darf sich schon einen Reim darauf machen?) berichtete dieselbe Zeitung in einem zweiten Artikel:

Im November vergangenen Jahres lief die Meldung, dass Tausende pakistanische Militärberater auf Seiten der Taleban sowie für Osama bin Ladens Al Qaida kämpfende pakistanische Staatsangehörige und hochrangige Taleban-Führer mit mysteriösen Transportmaschinen nachts aus der von der Nordallianz belagerten Stadt Kunduz ausgeflogen worden seien. Die USA-Regierung hatte das sofort dementiert - und gelogen. Wie das Magazin »New Yorker« jetzt berichtete, bestätigten mit der Aktion unzufriedene Geheimdienstler und Militärs gegenüber dem Autor Seymon Hersh, dass die USA diese organisierte Flucht seinerzeit befürwortet hätten. Dorfbewohner und Kommandeure der vorrückenden Nordallianz hatten damals nächtelang solche Flüge vom Flughafen Kunduz beobachtet. Die »New York Times« meldete am 24. November, dass dort täglich mehrere große Transportmaschinen landeten und Menschen ausflogen. Angesichts der absoluten Lufthoheit, die die US-Airforce zu diesem Zeitpunkt über der Region hatte, ist es nicht vorstellbar, dass das ohne ihr Wissen ging. Hershs Informanten aus den USA-Geheimdiensten zufolge hatte Washington die Aktion akzeptiert, weil Pakistans Präsident Musharraf darauf hinwies, dass es eine Frage seines politischen Überlebens sei, wenn tausende Pakistanis in Afghanistan gefangen genommen oder getötet würden. Zusammen mit den rund 5000 Pakistanis, darunter zwei Generälen, sei eine noch unbekannte Zahl von Taleban-Kadern und Al-Qaida-Mitgliedern ausgeflogen. Zu diesem Zeitpunkt hofften Washington und Islamabad noch, »gemäßigte«, sprich weniger antiamerikanische, Taleban in die künftige Administration Afghanstans einbeziehen zu können. Mit welche Aufgaben die außer Lande gebrachten Al-Qaida-Kämpfer nun betreut werden, wird sich zeigen.
Anton Holberg

Aus Neues Deutschland, 8. Februar 2002


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