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NATO oder Taliban

Hintergrund. Der Krieg des westlichen Militärbündnisses in Afghanistan bringt Rußland in eine komplizierte geostrategische Situation

Von Willi Gerns *

Westliche Politiker und Militärs rufen die russische Führung regelmäßig dazu auf, »mehr zur Lösung des Afghanistan-Problems beizutragen«. So hat Anders Fogh Rasmussen, seit August 2009 Generalsekretär der NATO, z.B. bei seinem Antrittsbesuch in Moskau im Dezember 2009, in seinen Gesprächen mit Präsident Dmitri Medwedew und Ministerpräsident Wladimir Putin Rußland um die Lieferung von mehr Rüstungsgütern für den Afghanistan-Krieg gebeten.

Rasmussens Forderung geht auf US-Präsident Barack Obama zurück. So wird Josef Braml, US-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik nach der Moskau-Visite des NATO-Generalsekretärs mit den Worten zitiert: »Er (Rasmussen - W.G.) vollzieht jetzt im Kern jene Verabredungen, die zuvor bereits zwischen Obama und Medwedew getroffen wurden.« Letzterer hat dann auch seine eigene Regierung beauftragt, die Wünsche der ­NATO wohlwollend zu prüfen.[1]

Kein russisches Kanonenfutter

Wenn es nach der NATO ginge, sollte sich die russische Unterstützung für den Afghanistan-Krieg allerdings keineswegs in dem von Rasmussen in Moskau vorgetragenen Wunschpaket erschöpfen. Am liebsten sähe man in Washington und Brüssel, wenn Moskau sich direkt an diesem Abenteuer beteiligen und dem dortigen Befehlshaber aus den USA Kanonenfutter zur Verfügung stellen würde. Doch das dürfte in Rußland kaum offene Ohren finden. Das Debakel des sowjetischen Militäreinsatzes in dem Land am Hindukusch zwischen 1979 und 1989 hat sich tief in das Bewußtsein der Russen eingegraben. 15000 gefallene Sowjetsoldaten und Zehntausende verstümmelte Opfer des Krieges mahnen.

Nikolai Patruschew, Sekretär des Sicherheitsrats der Russischen Föderation, erklärte darum im Februar 2010 zu neuerlichen Beteiligungsaufforderungen offizieller Vertreter des nordatlantischen Bündnisses noch einmal nachdrücklich, daß Rußland dies unter keinen Umständen beabsichtige: »Wir wenden uns kategorisch gegen die Teilnahme unserer Militärangehörigen an Operationen in Afghanistan. Der Schlüssel zur Lösung der afghanischen Probleme liegt nicht auf der militärischen, sondern auf der friedlichen Ebene.«[2]

Von der Bereitstellung eigener Truppen abgesehen, leistet Rußland allerdings vielfältige Unterstützung für das Afghanistan-Abenteuer der NATO. Diese hat unmittelbar nach Beginn der unter dem Etikett »Antiterroreinsatz« begonnenen Militäroperation ihren Anfang genommen. So entschied sich der Kreml damals dafür, die Stationierung von NATO-Truppen auf Militärstützpunkten in Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan zu akzeptieren, also in einem Gebiet, das Rußland als seine direkte Einflußzone betrachtet.

Unterstützung für Karsai und NATO

Bereits zu einem frühen Zeitpunkt wurde das von den USA installierte Regime durch die russische Führung unterstützt. Präsident Hamid Karsai besuchte im Frühjahr 2002 Moskau. Im Rahmen der Visite wurde eine Reihe von Abkommen getroffen, in denen sich Rußland verpflichtete, beim Wiederaufbau der durch den Krieg zerstörten Infrastruktur, im Energiebereich, durch Lieferung von Landwirtschafts- und Industrieausrüstungen und andere zivile Projekte Hilfe zu leisten. Außerdem hatte Rußland Afghanistan Schulden in Höhe von 11,5 Milliarden US-Dollar erlassen.

Bei den Wiederaufbauprojekten geht es häufig um solche, die zuvor durch die Sowjet­union finanziert worden waren. Sie hatte seit Beginn der 50er Jahre - insbesondere nach der demokratischen Revolution von 1978 bis Ende der 80er Jahre - Afghanistan umfangreiche Hilfe bei der Entwicklung von Industrie und Infrastruktur sowie der Landwirtschaft geleistet. In diesem Zeitraum wurden 142 große Projekte verwirklicht. 183 weitere bedeutende Vorhaben befanden sich im Stadium der Realisierung, als die sowjetischen Truppen das Land verließen.[3]

Inzwischen hilft Moskau dem Karsai-Regime auch durch die Ausbildung von Polizisten und Militärs. Außerdem werden Geheimdienstinformationen geliefert und Waffen, sogar Hubschrauber, sowie Kommunikationsausrüstung an Kabul verkauft.

Was die Unterstützung der in Afghanistan operierenden NATO-Truppen angeht, steht heute der Nachschub über russisches Hoheitsgebiet, einschließlich Truppen und Waffen, im Zentrum. Eine Vereinbarung über den Transport von nichtmilitärischen Gütern für diese Kampfeinheiten wurde von Putin am Rande des NATO-Gipfels in Bukarest im April 2008 unterzeichnet. Obama und Medwedew erweiterten im Juli 2009 in Moskau die Übereinkunft um die Beförderung von US-Militärgütern auf dem Luft- und Schienenweg. Dies war zuvor nur Deutschland, Frankreich und Spanien gestattet.

Durch die sich häufenden Angriffe der afghanischen Aufständischen auf die von Karatschi über den Khyber-Paß nach Pakistan und Afghanistan verlaufende Versorgungsroute erhält die nun über Rußland und zentralasiatische Anrainerstaaten führende zusätzliche Strecke wachsende Bedeutung für den NATO-Krieg. Laut der Vereinbarungen können bis zu 4500 Flüge im Jahr über russisches Gebiet erfolgen. Gleichzeitig wird umfangreiche Fracht über lettische Häfen und weiter auf dem Schienenweg durch Rußland und Kasachstan nach Afghanistan befördert.

Der Kreml erlaubt aber nicht nur die Beförderung von Versorgungsgütern, Waffen und Soldaten über sein Gebiet, sondern beteiligt sich offenbar auch an deren Transport in Afghanistan. So meldete die Agentur Ria Novosti am 1. Juli dieses Jahres, daß Rußland laut seiner Behörde für militärische Kooperation bereit sei, Transporthubschrauber an die NATO-Kräfte in Afghanistan zu verleasen. Der Vizechef dieser Behörde, Wjatscheslaw Dsirkaln, verwies laut dem Bericht auf »die guten Erfahrungen aus dem Kooperationsprojekt Salis: Russische Transportflugzeuge An-124 haben im Rahmen dieses Projekts insgesamt 1600 Flüge für die NATO absolviert«. »Dieses effiziente Leasingmuster«, so Dsirkaln, könne auch in bezug auf schwere Transporthubschrauber für NATO-Kräfte verwendet werden.

Interessen der Energiemonopole

Was sind die Beweggründe für Rußlands stärkeres Engagement in Afghanistan? Hier sind vor allem drei Aspekte zu nennen: wirtschaftliche Interessen des russischen Kapitals, die eigene Drogenproblematik und die Gefahren, die vom islamistischen Terrorismus für Rußland selbst und sein zentral­asiatisches Vorfeld ausgehen.

Was das Feld der Ökonomie betrifft, so liegt das Interesse am Verkauf von Rüstungsmaterial sowohl an das Karsai-Regime wie auch an die NATO-Besatzer auf der Hand. Es geht jedoch um mehr. So betonte der russische Journalist Alexander Bondar in einem am 2. Juni dieses Jahres erschienenen Artikel für die Agentur FK-Novosti über die Afghanistan-Reise einer hochrangigen russischen Wirtschaftsdelegation: »Für Rußland ist die Zeit gekommen, erneut seine Anwesenheit in Afghanistan zu verstärken. Während andere versuchen, dort durch Waffengewalt präsent zu sein, können wir dies mit Hilfe der Ökonomie tun; Erfolgschancen haben wir.«[4] Der wissenschaftliche Experte des Zentrums zur Erforschung des heutigen Afghanistan, Nikita Mendkowitsch, hatte bereits zwei Jahre zuvor, am 21. Juli 2008, in einem Beitrag auf der Internetseite Afghanistan.ru [5] geschrieben, daß das Nachbarland infolge seines heutigen Zustands ein wichtiger zukünftiger Markt für den Absatz russischer Produkte und für mögliche Importe afghanischer Bodenschätze sei.

Noch ist der Warenaustausch zwischen beiden Ländern allerdings äußerst bescheiden. 2007 machte er ganze 68,2 Millionen US-Dollar (und 2009 140 Millionen) aus. Neben Waffen und für das Militär bestimmten Geräten liefert Rußland bisher vor allem Lebensmittel, Brennstoffe, Holzfasern und Schnittholz.

Mehr als an Waren sei Afghanistan jedoch an Investitionen interessiert, stellt Mendkowitsch fest. Man kann wohl davon ausgehen, daß daran auch die russischen Oligarchen und Staatskonzerne großes Interesse haben. Dies umso mehr, als es vor allem um Kapitalanlagen im Bereich der Förderung von Bodenschätzen gehen dürfte. Sowjetische Geologen hatten bereits in den 80er Jahren umfangreiche Vorkommen entdeckt. Kürzlich bestätigte auch die US-Seite die Existent von Lagerstätten. In erster Linie gehe es um Erdöl- und Gasvorkommen, schreibt der russische Wissenschaftler. Ihr Gesamtumfang wurde auf 40 Millionen Tonnen Erdöl und 13 Milliarden Kubikmeter Erdgas geschätzt.[6] Außerdem gibt es Lagerstätten von Kupfer, Blei, und Zink sowie 49 Vorkommen seltener Metalle, darunter Lithium, Niobium und Beryllium.[7] Interesse daran haben allerdings neben russischen Konzernen auch die der USA und ihrer NATO-Verbündeten. Es wird wohl letztlich in Washington entschieden werden, ob und wieviel die russischen Konkurrenten von diesem Kuchen abbekommen.

Dennoch - so Mendkowitsch - realisiere das russische Busineß bereits eine Reihe Projekte auf dem afghanischen Markt. Zum Beispiel handele es sich um den Bau kleiner Wasserkraftwerke in Bergregionen, um die Rekonstruktion eines Baukombinats, einer Zementfabrik und anderer Produktionsstätten. In diesem Zusammenhang wird hervorgehoben, daß es neben direkten wirtschaftlichen Vorteilen auch »um die Bewahrung des Status quo« gehe, im besonderen darum, »den Bau der transnationalen Pipelines von Turkmenistan nach Pakistan oder von China ans Arabische Meer für den Import von Gas und Öl mit Supertankern zu blockieren«.

Das erste Projekt, das den Bau einer Gaspipeline betrifft, die es erlauben würde jährlich 30 Milliarden Kubikmeter Gas nach Pakistan zu transportieren, könne - so Mendkowitsch - das bestehende System der Gaslieferungen in die Ukraine gefährden, das von Gasprom in den 90er Jahren geschaffen wurde. Und weiter: »Veränderungen auf den turkmenischen Absatzmärkten können sich bei einer Absage an den Transport turkmenischen Gases über russisches Territorium unvermeidlich negativ auf die Profite von Gasprom auswirken und auf die Weltmarktpreise insgesamt.« Als Alternative solle Moskau Kabul Investitionen in die Rohstoff fördernde und verarbeitende Industrie vorschlagen. Auf diese Weise müsse Rußland »zur Lösung seiner geopolitischen Aufgaben« einen Kompromiß suchen. Andererseits sei nicht auszuschließen, daß Moskau sich mit dem Bau neuer Pipelines durch das Territorium Afghanistans versöhne, wenn dabei »die Teilnahme russischer Unternehmen vorgesehen wird«. Deutlicher kann nicht dargelegt werden, wessen Interessen die russische Führung bei ihrer Strategie der wirtschaftlichen Einflußnahme im Nachbarland verfolgt: die Profitinteressen der russischen Konzerne, insbesondere die Gasproms, dessen Aufsichtsratsvorsitzender Medwedew bis zu seiner Wahl als russischer Präsident war.

Das Drogenproblem

Der zweite Aspekt des russischen Engagements in Afghanistan sind die von dort für Rußland und seine zentralasiatische Interessenregion ausgehenden Gefahren der Produktion und Verbreitung von Rauschgift. Afghanistan ist nach dem jüngsten Bericht des UN-Büros für Drogen und Kriminalität, der am 23. Juni 2010 veröffentlicht wurde, das Land mit den weltweit größten illegalen Anbauflächen für Mohn als Rohstoff für Opium und Heroin. Diese sind seit der Okkupation Afghanistans durch Truppen der USA und anderer NATO-Staaten von etwa 75000 Hektar im Jahr 2001 auf 193000 ­Hektar 2007 angewachsen. 2009 betrug die Anbaufläche etwa 130000 Hektar. Beim Abzug der sowjetischen Truppen 1989 machte sie etwa 35000 Hektar aus. Seitdem hat sich der Anteil Afghanistans an der Weltopiumproduktion von 34 Prozent auf 89 Prozent im Jahr 2009 erhöht.[8]

Von den Gefahren dieser Produktion ist Rußland in ganz besonderem Maße betroffen. Viktor Korgun, Professor und Vorsitzender der Abteilung für Afghanistan am Institut für Orientstudien der Russischen Akademie der Wissenschaften, stellt dazu fest: »25 Prozent der afghanischen Drogenproduktion, diese beläuft sich auf fast vier Tonnen Opium pro Tag (genug für sechs Millionen Dosen reinen Heroins), gelangen von Afghanistans nördlicher Grenze über das Hoheitsgebiet der zentral­asiatischen Republiken nach Rußland.« Und weiter: »Ein beträchtlicher Teil des nach Rußland gelangten Heroins wird nach Westeuropa weitertransportiert, der Großteil jedoch in Rußland konsumiert. Laut offizieller russischer Statistik gibt es 2,5 Millionen Drogenabhängige im Land, was Rußland den ersten Platz im weltweiten Konsum afghanischen Heroins verschafft. Mehr als 30000, meist junge Menschen sterben jährlich an einer Überdosis. Das afghanische Heroin wurde somit zu einer realen Bedrohung für die Gesundheit der russischen Bevölkerung und ist ein ernst zu nehmender Faktor bei der Verschlechterung der demographischen Situation. Folglich hat der Kampf gegen afghanische Drogen einen hohen Stellenwert in der russischen Außenpolitik.«[9]

Daher hat Rußland die NATO immer wieder - z.B. auf dem internationalen Forum »Die afghanische Drogenproduktion. Eine Herausforderung für die Weltgemeinschaft« am 9./10. Juni dieses Jahres - aufgefordert, energische Maßnahmen zur Zerstörung der Drogenanbauflächen in Afghanistan zu ergreifen. Auch auf der erweiterten Sitzung des NATO-Rußland-Rats am 24. März 2010 in Brüssel hat Viktor Iwanow, der Direktor der russischen föderalen Drogenkontrollbehörde, das nordatlantische Bündnis gedrängt, ein ambitioniertes Programm zur Mohnvernichtung in Afghanistan zu verabschieden.

Die NATO nimmt jedoch eine prinzipiell andere Haltung in dieser Frage ein. Sie vertritt den Standpunkt, daß die Zerstörung von Mohnfeldern nur von afghanischen Kräften ausgeführt werden dürfe. Wenn dies durch die NATO geschehe, würde das den Wechsel von Bauern auf die Seite der Taliban fördern und damit die »antiterroristische Mission« der NATO untergraben. Die NATO ist also nicht bereit, Opiumplantagen in Afghanistan zu vernichten, wie das die USA in Kolumbien mit Tausenden Hektar Koka-Anbauflächen getan haben. In dem oben zitierten Beitrag des russischen Zentrums für Problemanalysen wird dieses Verhalten der NATO darum nicht zu Unrecht in einen Zusammenhang mit der immer wieder deutlich werdenden sowjet- und rußlandfeindlichen Destabilisierungsstrategie der NATO gestellt.

Islamistischer Terrorismus

Neben der Drogenproblematik ist es die Furcht vor der Gefahr des islamistischen Terrorismus, der die russische Führung dazu bewegt, in Afghanistan mit den USA und der NATO zu kooperieren. Ein Sieg der Taliban würde zweifellos direkte Auswirkungen auf Rußland und sein Umfeld haben.

Es ist zu erwarten, daß in diesem Fall die Nachfolgestaaten der zentralasiatischen Sowjetrepubliken - die Rußland zu seinem Einflußgebiet zählt - zum nächsten Angriffsobjekt der Taliban und des radikalen Islamismus würden. Und das könnte ein direktes militärisches Engagement Rußlands erforderlich machen. Schließlich unterhalten die Taliban schon heute enge Kontakte zu extremistischen Gruppen in Usbekistan und Tadschikistan, wie Viktor Korgun in seinem bereits zitierten Beitrag ausführt. Das gilt besonders für die Islamische Bewegung Usbekistans (IMU) und die Hizb ut-Tahrir.

Aber auch die Sicherheit Rußlands selbst wäre noch stärker bedroht, als das schon heute der Fall ist. Darauf weist auch der US-amerikanische Militärforscher David Krickus hin. Er schreibt: »Die erfolgreichen Dschihadisten würden ihre Aufmerksamkeit den 20 Millionen Muslimen in Rußland zuwenden, im 'Kampf um religiöse Befreiung' von der Herrschaft der 'Ungläubigen'. Dies zeigt sich seit geraumer Zeit daran, daß ausländische Terroristen Waffen liefern und in Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan und anderen Teilen des Nordkaukasus regierungsfeindliche Kämpfer trainiert haben. Im Ergebnis stieg die Zahl der Toten durch bewaffnete Auseinandersetzungen, Terrorismus und Morde in der ganzen Region. Gleichzeitig haben die Dschihadisten den Kampf weit nach Rußland hineingetragen. Beispiele dafür sind die St. Petersburger Zug- und die Moskauer Metroanschläge. (...) Vor diesem Hintergrund kommen russische Politiker und Experten zu dem Schluß, daß Rußland seine Kooperation im Kampf gegen den islamischen Dschihadismus mit Europa und den USA 'upgraden' muß, um diesem, wo immer er in Eurasien auftritt, entgegenzuwirken.«[10]

Kritik der Kommunisten

Kann nun aber ein Erfolg der USA und ihrer NATO-Verbündeten in Afghanistan mit Hilfe Moskaus eine im russischen Interesse liegende Alternative zum Sieg der Taliban sein? Die Kommunisten des Landes und auch Teile der politischen und militärischen Eliten bestreiten dies.

Die USA und die NATO würden sich nicht nur am Hindukusch, sondern zugleich auch - wie schon heute im Ergebnis der russischen Zugeständnisse nach dem 11. September 2001 - in ganz Zentralasien festsetzen. Es entstünde die reale Gefahr für Rußland, sein rohstoffreiches und für seine südliche militärische Flanke äußerst wichtiges Einflußgebiet an die USA zu verlieren. Die NATO stünde nicht nur im Westen, Nord- und Südwesten, sondern auch im Süden unmittelbar an den Grenzen der Russischen Föderation.

Die NATO ist keineswegs ein Freund Rußlands, wohl aber ein Instrument US-amerikanischer Weltherrschaftspolitik. Ein Sieg des Militärbündnisses in Afghanistan würde ernste Gefahren für Rußland und China heraufbeschwören. Er wäre ein wesentlicher Schritt zur Verwirklichung der vom langjährigen Berater vieler US-Präsidenten Zbigniew Brzezinski entworfenen Strategie zur Beherrschung des eurasischen Kontinents als Schlüssel zur Weltherrschaft der USA. Weiterhin könnten sich die USA und ihr NATO-Gefolge durch einen Sieg in Afghanistan zu weiteren Kriegsabenteuern ermuntert sehen.

Anmerkungen
  1. Siehe Spiegel online vom 16.12.2009
  2. infox.ru/authority/defence/2010/02/09/
  3. Siehe www.fcinfo.ru
  4. www.fcinfo.ru/themes/basic/map-print.asp?folder=1506&prn=247951%3A3117
  5. www.afghanistan.ru/doc/12588.html
  6. Zitiert nach Mendkowitsch: I. Achmedzjanow: Die Kohlenwasserstoff-Ressourcen Afghanistans. www.afghanistan.ru/doc3773.html
  7. Zitiert nach Mendkowitsch: www.bgs.ac. k/AfghanMinerals/mininfo.html
  8. Angaben nach dem russischen Zentrum für Problemanalysen und staatliche Verwaltung: www.rusrand.ru/ac/cifra_314.html
  9. Viktor Korgun: Das Afghanistan-Problem aus russischer Perspektive, in: russland-analysen 203/10
  10. David Krickus: Warum Rußland in Afghanistan mit dem Westen kooperiert, in: russland-analysen 203/10
* Willi Gerns ist Redaktionsmitglied der ­Mar­xistischen Blätter.

Aus: junge Welt, 21. Juli 2010



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