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Käßmann fordert Abzugsplan für Afghanistan

EKD-Ratsvorsitzende weiter in der Kritik / USA senden Truppen in den Norden *

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, weist Kritik wegen ihrer Äußerungen zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan zurück.

Die Äußerungen der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr stoßen weiter auf ein geteiltes Echo. Während die Bischöfin aus den Kirchen weitgehend Zustimmung erhält, äußerten sich Vertreter der Bundesregierung und der Bundeswehr am Montag weiter kritisch.

Käßmann hatte in der Dresdner Frauenkirche in ihrer Neujahrspredigt gesagt, in Afghanistan schafften Waffen »offensichtlich auch keinen Frieden«. Dies hatte bereits am Wochenende bei Regierung und Opposition zum Teil scharfen Widerspruch ausgelöst.

Der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmanns erklärte am Montag in Berlin, es gebe »Meinungsverschiedenheiten« zwischen Käßmann an der EKD-Spitze und der Bundeskanzlerin über den Afghanistan-Einsatz. Steegmanns betonte, die Bundesregierung sei für eine Debatte über den Einsatz am Hindukusch, sofern sie in einem angemessenen und ernsthaften Ton geführt werde.

Der Deutsche Bundeswehrverband erklärte: »Es wäre besser gewesen, wenn Käßmann vor ihrer Predigt das Gespräch mit den Soldaten über ihre schwierige Aufgabe gesucht hätte.« Käßmanns Nein zum Afghanistan-Einsatz schaffe nur neue Frustrationen für deutsche Soldaten. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) sagte, er teile Käßmanns Ansichten zum Afghanistan-Einsatz nicht. Der Bundeswehreinsatz sei notwendig. »Frau Käßmann darf eine eigene Meinung haben. Sie sollte ihre Kritik am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr aber nicht für die evangelischen Kirchenmitglieder äußern«, sagte Niebel in Berlin.

Unterdessen wehrte sich Käßmann erneut gegen die Vorwürfe. Der »Bild«-Zeitung sagte sie, es sei eine »perfide Unterstellung«, wenn man ihr vorwerfe, sie lasse die deutschen Soldaten im Stich. Seelsorger begleiteten die Soldaten in Afghanistan und auch nach ihrer Rückkehr. »Wir sprechen mit Traumatisierten, und wir begraben die Toten, wenn sie nach Deutschland zurückkehren, und stehen ihren Angehörigen bei«, sagte sie. »Ich bin schockiert, was so aus meiner Predigt gemacht wird.« Sie habe zudem nie den sofortigen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan verlangt, fügte Käßmann hinzu. Die Kirche fordere aber einen erkennbaren Plan für den Abzug.

Die Soldatenvereinigung »Darmstädter Signal« begrüßte die Forderung der EKD-Ratsvorsitzenden nach einer Strategie für den Abzug deutscher Soldaten aus Afghanistan. Ein Abzug sei dringend notwendig, sagte Vorstandsmitglied Helmuth Prieß am Montag. Prieß widersprach dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbands, Kirsch. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass nachdenkliche Soldaten eine Missachtung ihres Einsatzes sehen. Sie sehen sich vielmehr bestärkt in ihren eigenen Sorgen.«

Mehr US-Soldaten ins deutsche Einsatzgebiet

Die US-Armee wird ihre Präsenz im Einsatzgebiet der Bundeswehr in Nordafghanistan massiv aufstocken. Nach Informationen von »Spiegel Online« vom Montag werden rund 2500 US-Soldaten am Standort der Bundeswehr in Kundus stationiert. Etwa 1000 Ausbilder für die afghanische Polizei und die Nationalarmee ANA werden bis Sommer 2010 nach Kundus entsandt. Zudem sollen bis zu 1500 Soldaten in den Norden gehen, um das US-Lager zu sichern und gemeinsam mit afghanischen Einheiten gegen die Taliban vorzugehen.

Die Bundeswehr rechnet laut »Spiegel Online« damit, dass die US-Truppen nicht nur die Ausbildung forcieren, sondern auch eine härtere Gangart gegen die Taliban anschlagen werden.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Januar 2010


Nichts ist gut

Von Ingolf Bossenz **

Noch fiel es nicht, das Wort vom Dolchstoß in den Rücken der tapfer im Felde stehenden Truppe. Aber immerhin: »Schlichter Pazifismus«, wie ihn der CDU-Politiker Ruprecht Polenz ausmachte, führt in Deutschland wieder zu öffentlicher Empörung. Da nutzte es der Gescholtenen, Bischöfin Margot Käßmann, wenig, dass sie in »Bild« umgehend versicherte, einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan »nie gefordert« zu haben, und dass sie auf »katholische wie evangelische Geistliche« verwies, die »unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan beim Einsatz« begleiten.

Dabei hatte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in ihrer Neujahrspredigt lediglich eine Evidenz unverhüllt benannt - die Evidenz des totalen Scheiterns der NATO-Intervention am Hindukusch: »Nichts ist gut in Afghanistan.« Das Geschrei von Politikern, Militärs und Medien speist sich zweifellos aus der Anmaßung Käßmanns, ihre Kirche nicht als Akklamationsorgan für den Bundeswehreinsatz und als Staffage von ökumenischen Gottesdiensten für tote Soldaten zu sehen. Besonders schwer wiegt dabei gewiss, dass sie nach Ansicht des SPD-Politikers Hans-Ulrich Klose »die Position der Linkspartei« vertritt.

Die Erregung über Käßmanns »gut gemeinte Banalitäten« (Ralf Fücks, Grüne) wirkt umso bizarrer, setzt man sie ins Verhältnis zum Entschuldungsexzess für das von der Bundeswehr zu verantwortende Massaker von Kundus. Aber sie wird dadurch auch plausibel.

** Aus: Neues Deutschland, 5. Januar 2010 (Kommentar)


Die ersten ISAF-Toten 2010

Fünf NATO-Soldaten starben bei Anschlägen in Afghanistan / Karsai: Keine Parlamentspause ***

Wenige Tage nach dem schweren Angriff auf Agenten des US-Auslandsgeheimdienstes CIA sind in Afghanistan fünf NATO-Soldaten bei zwei Anschlägen getötet worden.

Nach offiziellen Angaben vom Montag kamen ein britischer und vier US-Soldaten am Sonntag in den als Taliban-Hochburgen bekannten Provinzen Helmand und Kandahar ums Leben. Bei dem Attentat auf die CIA starb laut einem Bericht auch ein Oberst des jordanischen Geheimdienstes.

Die fünf Soldaten sind die ersten Todesopfer der ISAF in diesem Jahr. In Afghanistan sind rund 113 000 ausländische Soldaten stationiert. Für die internationalen Truppen war 2009 mit rund 520 Toten das verlustreichste Jahr seit dem Einmarsch 2001, wie aus Zahlen der unabhängigen Internetseite www.icasualities.org hervorgeht. Erst am Mittwoch waren bei einem Taliban-Anschlag sieben CIA-Agenten auf dem Stützpunkt Chapman in der ostafghanischen Provinz Chost getötet worden. Auch ein ranghohes Mitglied des jordanischen Geheimdienstes kam dabei ums Leben, wie die Zeitung »Washington Post« am Sonntag unter Berufung auf die amtliche jordanische Nachrichtenagentur Petra berichtete.

Der frühere CIA-Agent Jamie Smith sagte der Zeitung, die jordanischen Kollegen seien für ihre Fähigkeiten bei Verhören und ihr Wissen über militante Gruppen bekannt. Den Angaben zufolge arbeiten die beiden Länder bereits seit drei Jahrzehnten bei der Terrorabwehr zusammen. Mehrere Anschläge seien dadurch vereitelt worden.

Unterdessen versuchte Paris, Kontakt zu den Entführern der beiden vor fünf Tagen entführten französischen Journalisten aufzunehmen. Bislang habe sich jedoch niemand zu der Tat bekannt, sagte Außenminister Bernard Kouchner am Montag. Er gehe jedoch davon aus, dass die Fernsehjournalisten am Leben seien. Sie waren am Mittwoch gemeinsam mit drei afghanischen Begleitern nördlich von Kabul verschleppt worden.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat nach der schweren Schlappe bei der Bestätigung seiner Minister durch das Parlament die Winterpause der Abgeordneten vorerst gestrichen. Die sitzungsfreie Zeit beginne auf Anordnung des Präsidenten erst, wenn das Kabinett vom Parlament bestätigt sei, teilte Karsais Büro am Montag mit. Bei einer Abstimmung im Parlament in Kabul fielen am Sonnabend 17 der 24 von Karsai nominierten Minister durch. Das Parlament sollte am 5. Januar für 45 Tage in die Winterpause gehen. Damit hätte Karsai neue Vorschläge erst wieder ab dem 20. Februar vorlegen können.

*** Aus: Neues Deutschland, 5. Januar 2010


US-Nachhilfe in Kundus ****



Die USA erhöhen ihre Präsenz im Einsatzgebiet der Bundeswehr in Nordafghanistan, berichtete Spiegel online am Montag (4. Jan.). Nach Informationen des Internetportals werden rund 2500 der zusätzlichen 30000 US-Soldaten für Afghanistan am zweitgrößten Standort der Bundeswehr in Kundus stationiert. Etwa 1000 Trainer für die afghanische Polizei und Armee werden demnach bis Sommer 2010 nach Kundus entsandt. Zudem sollen bis zu 1500 Fallschirmjäger das US-Lager sichern und gemeinsam mit afghanischen Einheiten gegen die Taliban vorgehen. Das Büro von US-General Stanley McChrystal, dem Chef der NATO-Truppe ISAF, habe Spiegel online die Planungen bestätigt.

Für die Ausbildung der Soldaten und Polizisten errichtete die US-Armee demnach in den vergangenen Monaten ein riesiges Camp beim Flughafen in Kundus, in dem gleichzeitig 4000 afghanische Soldaten trainiert werden sollen. Nach deutschen Schätzungen sei das Feldlager viermal so groß wie die unweit gelegene deutsche Basis. In dem Bericht heißt es: »Die massive US-Offensive, noch vor der Afghanistankonferenz in London Ende Januar beschlossen und in Gang gebracht, setzt die Bundeswehr und die deutsche Politik unter Druck.« Die Bundeswehr, die bisher mit etwa 1100 Soldaten in Kundus präsent ist, rechne damit, daß die US-Truppen nicht nur die Ausbildung forcieren, sondern »auch härter gegen Taliban und eingesickerte Al-Qaida-Mitglieder vorgehen werden«.

Nach mehrfachen Anschlägen auf die neue NATO-Versorgungsroute durch den Norden Afghanistans gilt das Gebiet laut dem Bericht mehr denn je als strategisch wichtig. Der Chef der Internationalen Afghanistan-Truppe ISAF, US-General Stanley McChrystal, habe schon mehrfach ein robustes Vorgehen in dem Gebiet gefordert. Schon jetzt aber seien in Kundus stationierte US-Spezialeinheiten der geheim agierenden Task Force 373 »fast jede Nacht aktiv«. Wörtlich: »Sie nehmen Verdächtige fest und eliminierten schon mehrfach gesuchte Talibananführer.« Erst am Wochenende hätten Elitekämpfer 19 Aufständische getötet.

Die Taliban steigern unterdessen ihre Attacken gegen die westlichen Besatzer. Am Sonntag wurden fünf NATO-Soldaten bei zwei Anschlägen getötet. Wie ein ISAF-Sprecher am Montag mitteilte, kamen in der südafghanischen Provinz Kandahar vier US-Soldaten durch einen Sprengsatz ums Leben. Die Taliban bekannten sich zu dem Anschlag. Ebenfalls durch einen Sprengsatz wurde ein britischer Soldat in der Provinz Helmand während einer Fußpatrouille getötet. Die fünf Soldaten sind die ersten Todesopfer der ISAF in diesem Jahr. In Afghanistan sind rund 113000 ausländische Soldaten stationiert. Für die Besatzer war 2009 mit rund 520 Toten das verlustreichste Jahr seit dem Einmarsch 2001. Erst am Mittwoch waren bei einem Talibananschlag sieben CIA-Agenten auf dem Stützpunkt Chapman in der ostafghanischen Provinz Chost getötet worden. Auch ein Oberst des jordanischen Geheimdienstes kam dabei ums Leben, wie die Zeitung Washington Post am Sonntag berichtete.

Der afghanische »Präsident« Hamid Karsai strich am Montag (4. Jan.) die Winterpause des Parlaments in Kabul. Die Abgeordneten hatten 17 der 24 von ihm vorgeschlagenen Minister am Sonnabend abgelehnt. Die sitzungsfreie Zeit soll auf Anordnung des Präsidenten erst beginnen, wenn das Kabinett vom Parlament bestätigt sei.

**** Aus: junge Welt, 5. Januar 2010


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